Handball:Wirklich? Ein normales Turnier?

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"Es war schon abenteuerlich, was wir alles erlebt haben in den vergangenen Jahren", sagt Handball-Bundestrainer Alfred Gislason. (Foto: Martin Rose/Getty)

Seit er im Amt ist, hat Alfred Gislason vor allem Corona-Chaos erlebt. Die WM im Januar könnte sein erstes richtiges Turnier als Bundestrainer werden. Zwei Härtetests sollen zeigen, wo sein Team eigentlich steht.

Von Carsten Scheele

Seit März 2020 ist Alfred Gislason Coach der deutschen Handballer, und ja, vielleicht, eventuell geht er im Januar endlich in sein erstes, ganz gewöhnliches Turnier als Bundestrainer.

Da war zuvor eine WM in Ägypten, doch was war das für ein Turnier im Corona-Winter 2021 in der Blase in Kairo, als ganze Mannschaften ihre Teilnahme ablehnten, Gruppengegner Kap Verde sogar während des Turniers zurückzog? Bei den Deutschen hatten vorab wichtige Spieler abgesagt, weil ihnen die Situation vor Ort zu unsicher erschien. Das Team landete im allgemeinen Chaos auf Rang zwölf.

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Es folgten die nachgeholten Sommerspiele in Tokio, als nach der aufreibenden Corona-Saison kaum ein Spieler mehr bei Kräften war. Resultat: Platz sechs. Und die EM 2022, bei der es dann noch turbulenter zuging. Hier hatte das deutsche Team das Virus selbst im Reisegepäck; 16 infizierte Spieler plus ein infizierter Co-Trainer, so die Bilanz. In einer Tour schickte Gislason Infizierte mit dem Krankentransport nach Hause, nominierte neue Spieler nach, die teilweise wenige Stunden nach ihrer Ankunft auf dem Spielfeld standen. Platz sieben war am Ende ein ziemlich achtbares Ergebnis.

Und jetzt, im Januar 2023, die Weltmeisterschaft in Polen und Schweden. Endlich ein normales Turnier?

Wo diese Mannschaft im Vergleich mit der Weltspitze steht, ist ungewiss

Gislason lacht sein röhrendes Lachen, wenn man ihn danach fragt. "Danke für die Frage", entgegnet er, und der Isländer sieht das tatsächlich so. Ein Turnier, bei dem der Fokus auf dem Sportlichen liegt, was wäre das schön. Eine WM oder EM, die Gislason tatsächlich mit jenen Spielern bestreiten kann, die er auch dafür vorgesehen hat - ein Traum. "Es war schon abenteuerlich, was wir alles erlebt haben in den vergangenen Jahren", sagt Gislason. Es würde ihn "sehr freuen", wenn die anstehende WM "ein normales Turnier werden würde".

Wobei, so ganz normal läuft es auch jetzt wieder nicht. Vor dem Euro-Cup, der am Donnerstag in Mannheim beginnt und der dem deutschen Team zwei Härtetests gegen Europameister Schweden (19 Uhr/Sport1) und am Samstag in Spanien beschert, haben wieder fest eingeplante Spieler abgesagt: Fabian Wiede (Füchse Berlin) verletzte sich zuletzt am rechten Fuß, für ihn rückte kurzfristig Franz Semper von der SG Flensburg-Handewitt ins Aufgebot. Auch Kreisläufer Jannik Kohlbacher wird fehlen, darüber hinaus die Langzeitgeplagten Julius Kühn (Knöchelbruch), Sebastian Heymann und Timo Kastening (beide Kreuzbandriss).

Der Bundestrainer könnte ihn gut gebrauchen, doch Fabian Wiede fällt für die Härtetests gegen Schweden und Spanien verletzt aus. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Alles noch nicht dramatisch, sagt Gislason: "Einzelne Ausfälle sind nicht so schlimm. Es passiert immer, dass der ein oder andere nicht spielen kann." Das Fehlen von Wiede schmerzt ihn aber schon. Der Berliner ist eine jener Kräfte, die der Bundestrainer gerne als Stammspieler bezeichnet. Wiede spiele eine "sehr zentrale Rolle". Er war auch diesmal vorgesehen, so Gislason. Er sagt zugleich: "Es nützt nicht zu jammern, das haben wir im Januar gelernt." Und für die WM sei Wiede fest vorgemerkt in allen Planungen.

Wo das Team nun steht, mit oder ohne Wiede, ist eine interessante Frage. Die Leistungen der DHB-Auswahl bei den vergangenen großen Turnieren können ja kaum ernsthaft bewertet werden. Wo ist diese Mannschaft im Vergleich mit der Weltspitze einzuordnen? Weit hinter den Dänen, Schweden und Franzosen? Oder doch nur ein Stück dahinter?

Bei der WM sind im deutschen Team nicht die Spezialkräfte, sondern die Allrounder gefragt

Klar ist: Nach den Abschieden von Patrick Wiencek, Johannes Bitter (beide Karriereende in der Nationalmannschaft) und Hendrik Pekeler (er pausiert offiziell) verfügt das DHB-Team nicht gerade über überbordende internationale Erfahrung. Andererseits haben die vielen jungen Spieler, die während der Corona-Wirren zu unerwarteter Spielzeit kamen, gezeigt, was in ihnen steckt. Zuvorderst der junge Torhüter Till Klimpke, der sich den zweiten Stammplatz neben Andreas Wolff gesichert hat. Gegen die großen Nationen gab es zuletzt stets Niederlagen (bei der EM gegen Spanien, Norwegen und Schweden), diese fielen allerdings nicht so deutlich aus, dass der Rückstand nicht vielleicht aufzuholen wäre.

"Wir können nach dieser Woche sehen, wo wir wirklich stehen", sagt Gislason. Der erste Kontrahent Schweden ist gleich ein ordentliches Kaliber. "Wir freuen uns riesig auf diesen Gegner", verkündet der Trainer und erinnert daran, dass seine Auswahl schon bei der EM in der Hauptrunde beim 21:25 "ziemlich gut" mitgespielt habe - auch wenn letztlich eine Niederlage verbucht wurde. Die Hoffnung ist, dass der Abstand zum Europameister vor heimischer Kulisse und mit weniger Verletzungssorgen noch kleiner ausfällt.

Und da Corona gerade in den Hintergrund rückt, hat der Bundestrainer sogar Zeit, über Taktisches zu referieren. Er hat sich vorgenommen, seine Mannschaft an spezieller Stelle etwas weniger zu fordern: Hatte Gislason zuletzt häufig auf Spezialkräfte gesetzt, etwa auf reine Abwehrspieler, die nach jedem Angriff ausgewechselt werden, sind bei der WM die Allrounder gefragt. Er wolle erreichen, "dass wir weniger wechseln müssen", sagt Gislason, was in der Abwehrmitte eher gegen eine Nominierung des Leipzigers Simon Ernst spricht - und für Julian Köster (VfL Gummersbach) und Tim Zechel (HC Erlangen), die vorne wie hinten einsetzbar sind.

Auch mit der Verjüngung des Kaders will es Gislason nicht zu weit treiben. So hat er als Ersatz für den verletzten Kastening den mittlerweile 33 Jahre alten Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) zurückgeholt. Der war ursprünglich schon raus aus dem Nationalteam. "Leistung wird belohnt", sagte Gislason lapidar. Und Groetzki sei nun mal "in der Form seines Lebens".

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