Kiel, Flensburg und der Titelkampf:In der Handball-Bundesliga geht's ziemlich wild zu

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Mathias Gidsel (vorne) zieht ab: Der Däne war von den Kielern im Spitzenspiel am Sonntag nicht zu halten. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Die Zeiten verlässlicher Prognosen im Handball scheinen vorbei zu sein: Die Füchse siegen hoch gegen Kiel, Flensburg wirft nur sieben Tore in einer Halbzeit. Was ist nur los in der besten Liga der Welt?

Von Carsten Scheele, Hannover

Der Blick auf die Tabelle der Handball-Bundesliga war in den vergangenen Jahren eine bisweilen eintönige Angelegenheit. Sehr häufig stand der THW Kiel ganz oben, manchmal die SG Flensburg-Handewitt, hinter den beiden Nordteams kam punktemäßig lange nichts. Im Sommer 2021 etwa, da zankten sich Kiel und Flensburg bis zur letzten Sekunde um den Meistertitel, schlossen die Saison mit jeweils 68 Punkten ab, letztlich lag Kiel hauchdünn vorne. Auf Platz drei: Magdeburg, 15 Zähler dahinter.

Insofern ist das aktuelle Tableau für Freunde weniger planbarer Saisonverläufe ziemlich reizvoll: Es geht sogar ausgesprochen wild zu, vorne stehen nicht etwa Kiel oder Flensburg, sondern die zuletzt noch gehörig kriselnden Rhein-Neckar Löwen, mit 14:0 Punkten. Dahinter folgen die Füchse Berlin, nach diesem furiosen 34:26-Sieg über Kiel am Sonntag, an dem übrigens auch Flensburg verloren hat (21:26 in Lemgo). Die Niederlage kam überraschend, weil die Flensburger vor wenigen Tagen selbst noch groß aufgespielt und dem aktuellen Meister SC Magdeburg die erste Saisonpleite beigebracht hatten.

Wer sein Geld dieser Tage auf einen künftigen neuen Handball-Meister setzen möchte, darf dies natürlich gerne tun. Vielleicht ist es aber eine bessere Idee, es zu lassen.

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Schon die vergangene Saison verlief erfrischend außergewöhnlich, da sich Magdeburg die Freiheit nahm, so gut wie gar nicht zu verlieren und sich mit großem Abstand den Titel zu schnappen - auch, weil andere Klubs von Corona heftig getroffen wurden, der SCM dagegen kaum. Diesen Coup dürften sie in Kiel und Flensburg als singuläres Ereignis interpretiert haben, im Sinne von: Wird schon nicht wieder passieren, so ein Durchmarsch. Doch nun zeichnet sich nicht nur ab, dass es wieder schwer werden wird für die etatmäßigen Favoriten. Der Kreis der Titelanwärter hat sich nach jetzigem Stand sogar vergrößert.

Kiel kassiert erstaunlich viele Gegentore, Flensburg wirft dagegen nur sieben in einer Halbzeit

Der hohe Sieg der Berliner Füchse mit acht Toren Differenz illustrierte anschaulich, dass die Verfolgerteams der Liga richtig gut gearbeitet und ihren Rückstand verkürzt, wenn nicht gar bereits wettgemacht haben. Der THW Kiel ist immer noch der Klub mit der größten Reputation und dem größten Etat; doch das heißt nicht automatisch, dass er die besten Spieler auf die Platte schicken kann. Ein entscheidender Mann beim 34:26 war etwa der Däne Mathias Gidsel, 23, wertvollster Spieler der Sommerspiele 2021 in Tokio, der anschließend nahezu bei allen Topvereinen in Europa im Gespräch war - und sich für Berlin entschied. Die Verwunderung war zunächst groß, als der Klub die Verpflichtung des torgefährlichen Linkshänders zur Saison 2022/23 bekanntgab, doch die Füchse scheinen die passenden Argumente gehabt zu haben, um einen der begehrtesten Spieler in die Hauptstadt zu locken.

Das zahlt sich nun aus, Gidsel (sechs Tore) war von den Kielern nicht einzufangen, hinterher sagte der Däne, man habe "der Liga gezeigt, dass sie mit uns rechnen können". Ein Kampfansage? Ja, durchaus.

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Auf Seiten der Kieler konstatierte Patrick Wiencek nach zuletzt 74 Gegentoren in zwei Partien zerknirscht, der Gegner sei "in allen Belangen besser gewesen als wir". Solche Sätze formulieren Angestellte des THW normalerweise sehr selten. Noch schlimmer hatte es allerdings die Flensburger in Lemgo erwischt. Nur sieben Tore in der ersten Halbzeit, das war ein kaum zu erklärender Wert für eine Mannschaft, die so sehr über das Tempospiel kommt wie Flensburg. Nun steht die SG nach sieben Saisonspielen in der Tabelle bereits mit fünf Minuspunkten da, hinter Klubs wie Erlangen und Hannover-Burgdorf. Die Erlanger etwa waren bislang im unteren Mittelfeld einzuordnen, dürfen dank jahrelanger akribischer Arbeit nun aber ebenfalls als Beispiel dafür gelten, wie die weniger solventen Klubs aufgeholt haben. Das wird von den Etablierten respektvoll zur Kenntnis genommen, Flensburgs Kapitän Johannes Golla erklärte nach der Pleite in Lemgo recht schonungslos: "Heute war alles zu schlecht. So verspielen wir alle Ziele, die wir haben."

Lemgos slowenischer Torhüter Urh Kastelic fasste es auch sehr schön zusammen: "Diese Liga ist verrückt." Es könne "immer alles passieren".

Bis Pekeler und Sagosen beim THW zurückkehren, heißt es: durchhalten!

Manche Dinge lassen sich natürlich relativieren und erklären. So hatte Flensburg ein deutlich schwereres Auftaktprogramm mit Spielen gegen die Füchse, Rhein-Neckar Löwen und Magdeburg als der verlustpunktfreie Tabellenführer aus Mannheim, der erst im Laufe des Oktobers und Novembers die meisten großen Kaliber vorgesetzt bekommt. Könnte sein, dass die Löwen dann nicht mehr verlustpunktfrei vorne stehen. Aber wer weiß das schon?

In Kiel wiederum war man bislang positiv überrascht, wie geräuschlos die Saison bis zum Füchse-Spiel verlaufen ist. Man hatte ja Probleme erwartet, denn selbst der THW kann nicht auf Dauer zwei hochkarätige Spieler wie Hendrik Pekeler (Achillessehnenriss) und Sander Sagosen (Fraktur des Sprunggelenks) ersetzen. Beide werden wohl erst zur Rückrunde wieder verlässlich eingreifen können. Bis dahin heißt es: durchhalten.

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