Handball:Geldverbrenner auf Platz eins

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So packt der Tabellenführer zu: Dainis Kristopans (rechts) gegen seinen - deutlich kleineren - Gegenspieler Matej Klima aus Leipzig. (Foto: Roland Sippel/Eibner/Imago)

Der THW Kiel verliert zwei Spiele nacheinander und will "bei null" anfangen. Der Tabellenführer heißt MT Melsungen. Alles Anzeichen für eine kurzweilige Saison.

Von Carsten Scheele

Es gibt ein paar Gewissheiten im deutschen Handball, und eine davon lautet, dass der THW Kiel fast immer gewinnt. Oder mindestens so gut wie nie verliert. Wenn der Klub, der mit 23 Titeln deutscher Rekordmeister ist, doch mal verliert, greift die zweite Regel: Danach wird wieder gewonnen. Insofern kommen zwei Kieler Niederlagen binnen vier Tagen mindestens unerwartet. So eine Derbypleite gegen die SG Flensburg-Handewitt in letzter Sekunde (27:28) kann natürlich passieren, insbesondere auswärts. Das sind immer sehr besondere Spiele.

Aber die knackige Heimniederlage gegen die MT Melsungen (30:35), die passte schon sehr schlecht ins Kieler Selbstverständnis. Dies sei "eine Situation, die wir nicht wollten", sagte THW-Trainer Filip Jicha. Auch Linksaußen Rune Dahmke erklärte, man könne die Saison getrost "bei null" anfangen.

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Nun läuft im Ligabetrieb gerade erst der fünfte Spieltag, einige Teams haben mehr Partien absolviert als andere, aber es zeichnet sich ab, dass es eine kurzweilige Spielzeit werden dürfte. Zum einen, weil die Spitzenteams, die sich allesamt ordentlich personell verstärkt haben, unerwartet Minuspunkte sammeln: Meister Kiel hat nach dem Melsungen-Spiel schon vier, Flensburg drei; nach dem gefeierten Derbyerfolg reichte es am Montagabend gerade so zu einem Unentschieden gegen Lemgo (31:31). Die Rhein-Neckar Löwen haben erst zwei Spiele absolviert, aber keines davon gewonnen. Von den nominellen Top fünf der Liga halten sich bislang nur die Füchse Berlin frei von Verlusten.

Melsungen und Hannover überraschen mit Siegen gegen Spitzenteams

Stattdessen gibt es zwei Mannschaften, die zeigen, dass die Kluft zwischen Kiel, Flensburg, Magdeburg, Berlin, Mannheim und den Klubs dahinter gar nicht so groß ist wie gedacht. Zum einen die TSV Hannover-Burgdorf, ein typischer Mittelstandsklub der Liga, der mit dem früheren Bundestrainer Christian Prokop sehr gut gestartet ist; unter anderem haben die "Recken" die hoch eingeschätzten Rhein-Neckar Löwen aus der Halle geballert (35:29), Hannover ist vorerst Dritter. Und natürlich Tabellenführer Melsungen.

Die MT hatte jahrelang den Ruf, mit sehr viel Geld deutsche Nationalspieler zu holen und die Erwartungen dann konsequent unterzuerfüllen. Melsungen habe "gefühlt 60 Millionen Euro verbrannt, um dann nicht mal in Europa zu spielen", regte sich Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning auf. Doch da hat sich einiges gewandelt.

Trainer Roberto Parrondo, der schon mit Vardar Skopje die Champions League gewann, hat zusammen mit Sportdirektor Michael Allendorf den Kader aufgeräumt; unter anderem wurde Nationalspieler Kai Häfner nach Stuttgart verkauft und dafür ein wunderbar ungleiches Duo geholt. Dem riesenhaften Letten Dainis Kristopan (2,15 Meter, neu aus Paris) wurde der für Handballverhältnisse wirklich kleine spanische Spielmacher Erik Balenciaga (1,69 Meter, neu aus Toulouse) an die Seite gestellt. Ein Riese und ein Zwerg, wenn man so will, die dem Spiel der Mannschaft aber extrem guttun.

Bei 8:0 Punkten zum Saisonstart rastet in Melsungen noch niemand aus. Die vier Siege hätten "noch null Aussagekraft", sagte Kapitän Timo Kastening. Aber der Klub weiß schon, dass er gerade dabei ist, das ramponierte Image in der Branche etwas zu korrigieren.

Kiel braucht schon wieder einen neuen Torhüter

Das Image des THW Kiel ist immer noch, dass der Klub, wenn alles läuft, deutscher Meister werden kann. Aber die Saison wird schwerer als erwartet. Erledigt hat sich die Hoffnung, dass zwei prägende Spieler wie Torwart Niklas Landin und Mittelmann Sander Sagosen annähernd geräuschlos ersetzt werden können. Und die nächste Notlage zwischen den Pfosten ist schon aufgezogen: Kiel dachte, man sei im Tor in der Saison eins nach Landin mit dem Franzosen Vincent Gérard sehr gut aufgestellt, bevor im Sommer 2025 der spanische Weltklassemann Gonzalo Perez de Vargas nach Kiel kommt. Doch nun hat sich Gérard an den Adduktoren verletzt und fällt aus. "Wir unterhalten uns nicht mehr über Wochen, sondern über Monate", bis Gérard zurückkehre, sagte Geschäftsführer Viktor Szilagyi.

Kiel hat gehandelt und am Dienstag Gérards Landsmann Samir Bellahcene von Dunkerque HGL verpflichtet. Der ist ein ordentlicher Koloss, fast 120 Kilogramm schwer, er soll mit Tomas Mrkva das neue Gespann bilden. "Ein Traumverein für mich", sagte Bellahcene.

In den kommenden zweieinhalb Wochen wird Kiel ausschließlich in der Champions League aktiv sein, das ist vielleicht ganz gut, um abseits der Bundesliga auf andere Gedanken zu kommen. Doch der Druck wird schnell zurückkehren, Ende September folgt das wirklich schwere Auswärtsspiel beim SC Magdeburg. Fährt der THW dort mit der dritten Liga-Niederlage nacheinander nach Hause, wären die Gewissheiten im deutschen Handball endgültig passé.

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