Transfers im Handball:So weit planen die Handball-Klubs voraus

Lesezeit: 3 min

Kommt nach Kiel, allerdings erst in zwei Jahren: Torwart Gonzalo Perez de Vargas (hinten), hier im Duell mit dem Dänen Mikkel Hansen. (Foto: Zsolt Szigetvary/AP)

Der THW Kiel holt einen der besten Torhüter der Welt - allerdings erst für die Saison 2025/26. So versuchen die Klubs, Ablösesummen zu vermeiden, gehen aber auch Risiken ein.

Von Carsten Scheele

Man stelle sich vor, dass der Kieler Manager und Kaderplaner Viktor Szilágyi drei Ordner auf seinem Schreibtisch platziert hat. Auf dem Etikett des ersten steht "Saison 2023/24", hier werden alle Verträge jener Spieler abgeheftet, die zu der in zwei Wochen startenden Saison nach Kiel gewechselt sind. Szilágyi braucht aber zwei weitere Ordner, einen für 2024/25 und sogar einen für 2025/26, demnächst vielleicht sogar einen bis 2026/27. So weit gehen die Kaderplanungen in Sachen neue Spieler mittlerweile voraus.

Der Transfermarkt im Handball unterscheidet sich von jenem in anderen Sportarten. Bei den Fußballern geht es oft darum, auf Wegkäufe im eigenen Team kurzfristig mit einem Zugang zu reagieren. Es gibt Dominoeffekte; holt Team A den Spieler X, braucht Team B schnell Ersatz und holt Spieler Y, was wiederum Team C unter Zugzwang setzt. Dass die Bayern einst darauf hofften, Robert Lewandowski möge bleiben, um anschließend eine Saison lang ohne echten Ersatz auf der Mittelstürmerposition zu absolvieren, wäre im Handball wohl nicht passiert.

Deutsche Handball-U21 holt WM-Titel
:Die Junioren entfachen die Euphorie

Nach einer furiosen Turnierleistung sind die deutschen U21-Handballer Weltmeister. Vor der Heim-EM der A-Mannschaft im Januar werden bereits Rufe nach einem schnellen Umbruch laut.

Von Ralf Tögel

Auch hier gibt es Abstrahleffekte, allerdings mit viel Vorlauf. So wussten die Kieler bereits seit mehr als einem Jahr, dass Welttorhüter Niklas Landin in seine Heimat Dänemark zurückkehren wird. Szilágyi konnte mit Trainer Filip Jicha in Ruhe eine Lösung ersinnen, die nun folgendermaßen aussieht: In diesem Sommer kommt der Franzose Vincent Gérard, ein früherer Olympiasieger, zunächst bis 2024 und mit der Option auf Verlängerung. Für die Saison 2025/26 hat der Klub soeben schon den Spanier Gonzalo Perez de Vargas verpflichtet. Richtig, für den Saisonstart in zwei Jahren!

Wer garantiert den Kielern, dass sich Perez de Vargas in der Zwischenzeit nicht verletzt?

Aber hey, was für ein Torwart! Der Spanier gehört zu den drei besten Torstehern der Welt, und die Kieler haben davon profitiert, dass sein bisheriger Klub, der FC Barcelona, finanziell erheblich angeschlagen ist. "Wenn man nur die kleinste Möglichkeit hat, einen Spieler wie Gonzalo nach Kiel zu holen, sollte man diese ergreifen", sagte Szilágyi nun. Perez de Vargas ist aktuell 32 Jahre alt, kommt in zwei Jahren mit 34 Jahren nach Kiel. Bestes Torhüteralter also.

Auch für den Sommer 2024 ist schon einiges fix, dann kommt der Däne Emil Madsen von GOG Gudme für den rechten Rückraum, außerdem Rechtsaußen Lukas Zerbe, der seinen Vertrag bereits im Sommer 2022 unterschrieben hat. All diese Spieler ziehen mit Ablauf ihrer bisherigen Angestelltenpapiere um, kosten also keine Ablösegelder, was sich meist positiv auf die Gehälter auswirkt - und für Planungssicherheit auf beiden Seiten sorgt. Noch ein Beispiel: Für Kiel war es zwar ein harter Schlag, dass sie den Norweger Sander Sagosen in dessen Heimat zum Handballprojekt nach Kolstad ziehen lassen mussten. Aber: Sie wussten dies fast zwei Jahre im Voraus und konnten reagieren. Seit diesem Sommer steht das große Spielmachertalent Elias Ellefsen a Skipagotu von den Färöer im Kieler Kader.

Natürlich birgt das Frühbucherkonzept auch Risiken. Wer garantiert den Kielern, dass Perez de Vargas innerhalb der kommenden zwei Jahre nicht in ein Leistungsloch plumpst? Oder sich beidseitig doppelt die Achillessehne reißt? Auf der anderen Seite hätte sich Sagosen seinen Wechsel nach Kolstad vielleicht noch einmal überlegt, hätte er bei seiner Unterschrift vor zwei Jahren gewusst, in welch finanzieller Schieflage sich sein neuer Verein mittlerweile befindet.

Auch andere Klubs arbeiten so; die Füchse Berlin holten zum Beispiel mit mehr als einem Jahr Vorlauf den Dänen Mathias Gidsel. Hätten sie länger gewartet, hätten sie ihn vermutlich nicht bekommen, weil andere Großklubs in den Poker eingestiegen wären. Die Rhein-Neckar Löwen wiederum sicherten sich die Dienste des Kroaten Ivan Martinovic, der zur Saison 2024/25 aus Melsungen kommt. "Weitsichtig" seien Transfers dieser Machart, lobte gerade Bundesliga-Chef Frank Bohmann.

Natürlich kann es auch im Handball passieren, dass schnell Ersatz hermuss. So hat der THW gerade auf die Verletzung von Steffen Weinhold reagiert und den erfahrenen Spanier Eduardo Gurbindo aus Bukarest geholt. Ob dieser länger als eine Saison bleiben darf, ist fraglich, denn für 2024/25 sind die Planungen auf der Position des Linkshänders im Rückraum im Grunde abgeschlossen. Dann kommt Emil Madsen, alles schon eingetütet.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungMagdeburgs Sieg in der Champions League
:Signale aus der stärksten Liga der Welt

Der Titelgewinn des SC Magdeburg kommt nicht so überraschend, wie ein flüchtiger Blick glauben macht. Längst deuten die Entwicklungen in der Bundesliga auf große Zeiten hin.

Kommentar von Ralf Tögel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: