TSV 1860 München:Eine Frage der Wertschätzung

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Vom Geld seiner Fans hätte auch der TSV 1860 München gerne etwas mehr - nicht nur vor dem Stadion, sondern auch drinnen. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Ist das Grünwalder Stadion eine Geldvernichtungsmaschine im Gewand eines Kulturguts? 1860 will bei der Stadt München eine Mietsenkung erzwingen - und hat den Vertrag auf den letzten Drücker unterschrieben.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

An diesem Samstag ist wieder Feiertag in München-Giesing. Die Sonne scheint, die Menschen stehen vor den Kneipen und in den Grünanlagen, und im Stadion spielen dann die Löwen. Sie spielen gegen den VfB Oldenburg in der dritten Liga, aber was macht das schon. Vielleicht steigen sie dieses Jahr ja wirklich auf und spielen nächstes Jahr nicht mehr gegen den VfB Oldenburg.

Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein, und womöglich ist es das auch. Denn wirtschaftlich gesehen hat der TSV 1860 München mit dem Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße enorme Sorgen. Er verdient ja nichts, wenn die Anhänger ihr Bier in den Kneipen und in den Grünanlagen trinken. Und er verdient nicht einmal dann etwas, wenn sie im Stadion trinken oder essen - weil die Stadt einen Catering-Vertrag geschlossen hat, der die Vereine mit null Cent am Umsatz beteiligt. Dabei sind sie es doch, die mit ihren Spielen die Menschen ins Stadion bringen, die dort dann etwas konsumieren. "Deutschlandweit nahezu einmalig und unüblich" sei das, sagt Marco Sautner, Managing Director beim 1860-Vermarkter Infront.

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Der TSV hat ausgerechnet, wie viel er alleine durch die wegfallende Beteiligung am Catering verliert, und kommt bei einer Annahme von 1,50 Euro Beteiligung pro Zuschauer auf rund 400 000 Euro je Saison. Und er hat nach dem Austausch mit vielen anderen Fußballvereinen auch die anderen Positionen kalkuliert, die seiner Meinung nach im Grünwalder Stadion nicht der Norm entsprechen. Demnach summiert sich die sogenannte Marktunüblichkeit auf 1,7 Millionen Euro pro Spielzeit. Das heißt, die Löwen gehen nach ihrer Rechnung Jahr für Jahr mit einem entsprechenden finanziellen Nachteil gegenüber den Konkurrenten ins Rennen.

Die Akkus für die LED-Bandenwerbung müssen nach jedem Spiel 100 Kilometer weit gefahren werden - auch das verursacht Kosten

"Diese 1,7 Millionen Euro entsprechen zufällig nahezu exakt dem jährlichen Defizit, das wir erwirtschaften", sagt Marc-Nicolai Pfeifer, der kaufmännische Geschäftsführer des TSV 1860. Übersetzt bedeutet das aus Sicht Pfeifers: Würde der Klub marktüblich beziehungsweise fairer behandelt werden von der Stadt München, wäre die Chance auf ein ausgeglichenes Finanzergebnis größer, und weder Gesellschafter noch Sponsoren oder Fans müssten für dieses Unverhältnis aufkommen. Beide Gesellschafter, der e.V. und die Investorenseite um Hasan Ismaik, sind sich in dieser Sache einig - und Einigkeit der Gesellschafter ist bei Sechzig bekanntlich keine Selbstverständlichkeit. Höchste Zeit also für eine kleine Aufschlüsselung der Marktunüblichkeit.

So verursacht alleine die so genannte Sechzger-Alm am Trainingsgelände für Sponsoren und Partner 190 000 Euro Kosten pro Saison, weil das Grünwalder Stadion nicht über einen adäquaten VIP-Bereich verfügt. Die Miete der Alm selbst beläuft sich auf rund 80 000 Euro, aber es kommen ja noch unvermeidliche Zusatzkosten dazu, etwa 34 000 Euro für den Busshuttle zum Stadion und zurück - und 36 000 Euro Miete für die Toilettencontainer. Auch wichtige Leute müssen ja mal auf die Toilette. "Wir können den VIPs ja bei ihrem Engagement keine ganz simplen mobilen Toiletten zur Verfügung stellen", sagt Wilson Thomas Pearce, der bei Infront für die 1860-Vermarktung verantwortlich ist.

Hier könnte Ihre Werbung stehen: Die Beinahe-LED-Tafel der Münchner Löwen beim DFB-Pokalspiel gegen Dortmund. (Foto: ActionPictures/Imago)

Fehlende Werbemöglichkeiten auf der Anzeigetafel, die statt eines LED-Bildschirms über nostalgische Zahlentäfelchen verfügt, schlagen mit geschätzten 40 000 Euro zu Buche. Die Einnahmen aus einem Werbebanner vor der Stehhalle in Höhe von ebenfalls 40 000 Euro kommen nicht bei den Löwen an, weil die Vermarktung dieser Werbefläche im Nutzungsvertrag nicht dem Klub überlassen ist. Die LED-Bandenwerbung wiederum verursacht Kosten von mehr als 100 000 Euro. Ein Grund dafür ist auch die unzureichende Stromkapazität, die den Einsatz von Akku-Modulen erfordert. Sie müssen nach jedem Spiel ins knapp 100 Kilometer entfernte Lager gebracht werden, da es im Stadion bislang keine Lade- und Lagerungsmöglichkeit gibt.

Hat viel gerechnet: 1860-Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Ein Nachteil von 430 000 Euro ergibt sich laut der Auflistung aus einem im Ligavergleich unüblichen Verhältnis von Steh- zu (lukrativeren) Sitzplätzen. Derzeit sind es noch 63 Prozent Stehplätze, als Normalfall werden 30 Prozent angenommen. Schade auch aus Sicht Pfeifers, dass das Baureferat zur Absturzsicherung "vor besten Sitzplätzen ohne Rücksprache einfach Geländer erhöht und keine Alternativen wie Plexiglas realisiert" habe, so dass diese Plätze nicht mehr zu verkaufen seien - ein weiteres Minus von 100 000 Euro.

Auch das Namensrecht am Stadion ist nicht vermarktet - und steht den Vereinen nicht zur Verfügung

Ein großes Thema ist auch die Verpflichtung, wegen der innerstädtischen Lage des Stadions Kombitickets für den öffentlichen Nahverkehr anzubieten. 245 000 Euro kommen hier zusammen, wenn man wie der TSV 1860 einen Vergleichswert in Höhe von einem Euro pro Ticket annimmt. Zusätzliche 56 000 Euro sind einem steuerlichen Effekt zuzuschreiben: Die Münchner Verkehrsbetriebe MVG stellen die Rechnung mit sieben Prozent Umsatzsteuer, die Eintrittskarten müssen aber mit 19 Prozent verkauft werden. Sechzig suchte das Gespräch mit den Zuständigen. "Wir wollten beim Verkehrsverbund faire Verhandlungen führen, unsere vielen Argumente vortragen und mit der Do-or-die-Regel brechen", sagt Bernd Grossmann, Leiter Finanzen und Controlling beim TSV - also mit dem Prinzip, dass ein Monopolist nach Belieben Konditionen diktieren kann. Bislang allerdings ohne Erfolg. Im Gegenteil: Nun stieg der Preis pro Zuschauer zur neuen Saison nochmals um acht Cent.

Aktuell wird das Namensrecht am Stadion von der Stadt nicht vermarktet, dieses Recht steht auch den Vereinen nicht zur Verfügung. Der TSV 1860 München hatte diverse Interessenten und reichte ein Konzept ein. "Die Antwort haben wir leider zuerst aus den Medien erhalten. Damit fehlt natürlich in der Gesamtbetrachtung eine weitere erhebliche Erlösquelle, und gleichzeitig wird den städtischen Betrieben eine Möglichkeit zur Unterstützung durch Sponsoring oder eine andersartige Bewertung des Mietzinses genommen", sagt Pfeifer. Beim Ligakonkurrenten FSV Zwickau ist beispielsweise die 100-prozentige städtische Tochtergesellschaft Gebäude- und Grundstücksgesellschaft Zwickau mbH (GGZ) Namensgeberin des Stadions.

1860-Investor Ismaik hat unlängst über Facebook angemahnt, der Klub habe im Grünwalder Stadion keine Zukunft - man mag das als eine Drohkulisse interpretieren für den Fall, dass die Stadt weder die Mietkonditionen noch die Bedingungen für die künftigen Umbaumaßnahmen ändert. Alle beim TSV 1860 München würden sich bessere Konditionen wünschen. Aber Pfeifer berichtet: "Trotz Einbindung aller Entscheider, vieler Gespräche und mehrfacher Ausführung der Argumente hat die Stadt für die neue Spielzeit die Mietkonditionen erneut nicht angepasst."

Die Mieterhöhung im vergangenen Sommer überraschte nicht nur den Verein

Dabei geht es dem TSV 1860 München auch darum, Verschlechterungen aus dem vergangenen Sommer zu korrigieren. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens zur vergangenen Saison mussten die Löwen damals zwei Ad-hoc-Änderungen im Mietvertrag hinnehmen: Am 17. April 2021 erhielten sie laut internem Mailverkehr ein Vertragswerk ohne Mieterhöhung, aber mit einer neuen MVV-Verpflichtung in Aussicht gestellt; am 7. Mai 2021 wurde demnach dann ein Vertrag mit einseitiger Unterschrift des Sportamts zugestellt - mit der MVV-Klausel und einer Mieterhöhung unter Verweis auf das Bewertungsamt. Dieses wiederum soll sich auf Nachfrage laut dem TSV überrascht von der Sache gezeigt haben.

Der Klub weigerte sich bis zuletzt, unter den Konditionen für 2022/23 zu unterschreiben - drei Tage vor dem Spiel gegen Oldenburg fühlte er sich nun allerdings von der Stadt dazu genötigt. Er erhielt ein Schreiben mit der Ankündigung, die Partie werde sonst wegen Haftungsfragen nicht dort stattfinden. Für das Pokalspiel gegen Borussia Dortmund war ein separater Vertrag aufgesetzt worden.

Zunehmend verwundert zeigen sich die Verantwortlichen der Löwen, weil das Bewertungsamt in den Gesprächen eigentlich ein grundsätzliches Verständnis für die Auflistung und Addition der Marktunüblichkeiten signalisiert habe. Das Referat für Bildung und Sport habe ihnen allerdings auch zu verstehen gegeben, dass es derzeit andere Prioritäten gebe bei der Stadt München: Das Bewertungsamt bewerte momentan andere Projekte. Für die Wertschätzung des Stadions wolle es sich erst im zweiten Halbjahr Zeit nehmen, obwohl es dem TSV 1860 definitiv bereits für diese Saison versprochen gewesen sei. So lautet zumindest die Version der Löwen.

"Es kann nicht sein, dass vonseiten der Stadtregierung immer suggeriert wird, es werde verhandelt, dies aber aus Sicht der Vereine gar nicht der Fall ist."

Als Präsidiumsvertreter um Robert Reisinger und Hans Sitzberger, Aufsichtsräte, Geschäftsführer und Abteilungsleiter im Mai bei einem Termin im Rathaus waren, um Möglichkeiten der Mietsenkung zu besprechen, erfuhr die Entourage laut Sitzberger: Dafür sei es zu spät. Weil der neue Vertragsentwurf zur Stadionüberlassung ja bereits an Sechzig verschickt worden sei. "Dabei waren die Termine rechtzeitig angebahnt, und die Gespräche laufen ohnehin bereits seit knapp zwei Jahren ohne Ergebnis", klagt Sitzberger.

Die Opposition im Stadtrat stellte sich unlängst hinter die Löwen. "Die Landeshauptstadt sollte dem TSV 1860 bei den Konditionen entgegenkommen und zur Möglichkeit einer Mietminderung transparent Auskunft geben", teilte Manuel Pretzl, der Fraktionsvorsitzende von CSU und Freie Wähler, mit. Seine Fraktion habe bereits einige Anträge gestellt: "die Anpassung des Vereinsanteils beim Kombiticket auf einen Euro, die Prüfung einer möglichen Vermarktung des Stadionnamens, die Einrichtung eines Runden Tischs mit allen Nutzern zur Klärung drängender Fragen." Bei CSU und den Freien Wählern stelle man sich die Frage, "warum trotz langer Verhandlungsdauer noch keine Einigung erzielt wurde", erklärte Pretzl: "Es kann nicht sein, dass vonseiten der Stadtregierung immer suggeriert wird, es werde verhandelt, dies aber aus Sicht der Vereine gar nicht der Fall ist."

Die Koalition aus SPD, Grünen, Volt und Rosa Liste äußerte sich ebenfalls zum Stand der Dinge. Aufgrund eines entsprechenden Stadtratsbeschlusses werde geprüft, "welche Miethöhe für das unsanierte Stadion marktüblich ist". Dieser Prozess sei allerdings "sehr umfangreich" und erfordere "das Zusammentragen und Analysieren einer Vielzahl an Daten und Informationen". Sobald das Ergebnis vorliege, könne "eine Aussage über die Höhe der zukünftigen Miete getroffen werden". Bei 1860 warten sie gespannt, wann es so weit ist.

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