Im Rückblick glich es einem Wunder, dass noch Menschen bei dieser Phoenix Open in der Lage waren, ihre Handykameras hochzuhalten und wackelfrei zu filmen. Am späten Sonntagnachmittag ging das berühmt-berüchtigte Profigolfturnier der amerikanischen PGA Tour in Arizona zu Ende, es siegte in einem Playoff der Kanadier Nick Taylor, aber der Sport war diesmal mehr denn je eine Randnotiz. Ein Blick in die sozialen Mediendienste wie X oder Instagram reichte, um sich ein Bild von der Veranstaltung zu machen, die den Namen der in der Abfallwirtschaft tätigen Firma Waste Management in seinem Titel trägt. Golf spielte da kaum eine Rolle.
Statt imposanter Golfschläge tauchten Aktionen ganz anderer Natur zu Hunderten im Netz auf: Halbnackte Männer rutschten schlammige Abhänge hinunter, ihre aufgedunsenen Bäuche zu Surfbrettern umfunktioniert. Alkohol spritzte reihenweise über Köpfe in die Luft. Frauen leerten riesige Bierbecher in einem Zug aus und ließen sich von johlenden Männern feiern. Zigmal fielen Drinks tragende Fans rüde auf die, Pardon!, Schnauze bei Versuchen, über den von heftigen Regengüssen glatt geschmirgelten Graslehm zu schreiten. Männer prügelten so heftig miteinander, dass sie von mehreren anderen Männern nicht entzweit werden konnten. Besoffene wurden auf Schultern weggeschleppt wie Mastvieh.
Golf:Die Dahmen&Higgs-Show
Souverän verteidigt die Phoenix Open ihren Titel als Krawallturnier der amerikanischen PGA Tour. Diesmal entsteht sogar ein noch nie dagewesener Moment der Ausgelassenheit: Zwei Golfprofis ziehen mitten im Wettbewerb blank.
Zum Glück ging nicht jener Unfall im Internet viral, bei dem eine Frau von der Zuschauertribüne stürzte. Dafür aber eine Szene mit einem oberkörperfreien Mann, der - sich überschlagend - in den Sandbunker der berühmten 16. Spielbahn hechtete und einen Schneeengel mit den Armen unter dem Jubel der Menge vollführte. Er wurde vom Sicherheitspersonal umgehend abgeführt. Dank des Internets weiß man auch: Uriniert wurde wenig überraschend kreuz und quer. Manchmal sogar auf einem Hocker sitzend, wartend aufs nächste Bier.
Diesmal wurden Grenzen überschritten, die den Veranstalter dazu veranlassten einzuschreiten
Der südkoreanische Profi An Byeong-hun beschrieb bei X all das, was sich seit dem Donnerstag auf der Golfanlage namens TPC Scottsdale abgespielt hatte, treffend so: "Shitshows. Alles total außer Kontrolle an jedem Loch." Dan Rappaport, einer der renommiertesten Golfreporter der USA, der schon viel gesehen hat, resümierte seinerseits bei X: "Sie haben die Menge verloren." Ja, wahrscheinlich hat es noch nie ein Golfturnier gegeben, das derart aus dem Ruder lief wie die diesjährige Waste Management Phoenix Open, bei der die Fans schon ab fünf Uhr morgens sprintend die Anlage fluteten.
Nun war dieses Event zwar schon immer dafür bekannt, anders zu sein als die üblichen millionenschweren PGA-Turniere, quasi das gefeierte schwarze Schaf der Tour, lauter, prolliger, alkoholgeschwängerter, was das Fanverhalten betrifft. Am wildesten ist die Stimmung stets an dem kurzen Par 3 der 16. Bahn, das von errichteten Logen umrandet ist und "Coliseum" heißt. Jeder Fehlschlag wird gnadenlos ausgebuht. So laut wie an diesem Fleck ist es bei keinem Turnier weltweit im Golf.
Doch diesmal wurden Grenzen überschritten, die sogar den Veranstalter dazu veranlassten einzuschreiten. Vorübergehend wurde am Samstag der Alkoholverkauf gestoppt. Die Pforten am Eingang wurden geschlossen, Besucher wurden in den Shuttlebussen nur noch zu den entfernten Parkplätzen gefahren, andere nicht mehr zurück zur Anlage. In einer Erklärung entschuldigte sich die Phoenix Open bei den "großartigsten Golffans (...) aufrichtig für etwaige Unannehmlichkeiten". Diese Mitteilung griff allerdings deutlich zu kurz, denn auch viele der Spieler litten unter dem ausgearteten Verhalten der Besucher. Es spielten sich teils bizarre Szenen auch auf den Fairways ab.
So stürmte etwa Masters-Champion Zach Johnson auf eine Gruppe zu, die ihn fortwährend angepöbelt hatte, und erwiderte nicht ganz jugendfreie Worte. Billy Horschel fauchte dauernde Zwischenrufer an, um Ruhe bei Schlägen flehend: "Es ist unser f.... Beruf!" Auch der dreimalige Major-Sieger Jordan Spieth geriet in Auseinandersetzungen. Ob und welche Konsequenzen die PGA Tour ziehen wird, um Zuschauer wie Profis gleichermaßen mehr zu schützen, ist noch unklar, immerhin gab es auch Positives zu berichten. Bei der "People's Open", wie das Turnier mit den rund 200 000 Besuchern für sich wirbt, wurden mehr als 190 Millionen Dollar für wohltätige Einrichtungen gesammelt.