Golf:Die Dahmen&Higgs-Show

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Nein, das sind keine Fans. Das sind echte Golfprofis - Joel Dahmen (links) und Harry Higgs haben sich tatsächlich obenrum nackig gemacht. In einem offiziellen Turnier. Das gab es so noch nie in dieser sonst eher gesittet ausgeübten Sportart. (Foto: Mike Mulholland/AFP)

Souverän verteidigt die Phoenix Open ihren Titel als Krawallturnier der amerikanischen PGA Tour. Diesmal entsteht sogar ein noch nie dagewesener Moment der Ausgelassenheit: Zwei Golfprofis ziehen mitten im Wettbewerb blank.

Von Gerald Kleffmann

Und dann geschah es tatsächlich. Joel Dahmen und Harry Higgs hatten es ja angekündigt. Auf Twitter.

Am Sonntagmorgen hatte Dahmen, 34, Golfprofi aus Clarkston im US-Bundesstaat Washington, seine Fans informiert, dass er mit Higgs an diesem Schlusstag der Phoenix Open im Zweier-Flight spielen würde. Er und Higgs! Das war - für die, die nicht jedes Detail im Golf verfolgen - so, als würden Dick&Doof, Tom&Jerry, Statler&Waldorf auftreten. "Träume werden wahr", schrieb Dahmen begeistert. Dahmen und Higgs sind auch zwei, die sich necken, foppen, ärgern. Im Spaß natürlich alles.

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Dahmen legte gleich mal vor, noch vor der vierten Runde. Higgs, 30, der Kollege aus Camden im US-Bundesstaat New Jersey, würde sein Shirt ausziehen, an der 16. Bahn, tönte Dahmen - wenn es genügend Retweets seiner Botschaft gäbe. Es gab sie dann, selbstverständlich. Tausende wollten dieses Spektakel sehen.

So kam es, dass an diesem sonnigen Nachmittag im Tournament Players Club (TPC) Scottsdale nahe Phoenix , an einer Bahn, die - für Profis - lächerlich kurze 148 Meter misst, etwas nie Dagewesenes zu bestaunen war: Nach einem Putt, einem gelochten dritten Schlag zum Par, zog Higgs sein Shirt hoch, über den Kopf - und zum Vorschein kam seine vollgeformte Plauze samt Brusthaar.

Sackweise Müll: Auf der berühmten 16. Spielbahn der Phoenix Open werfen die Fans besonders gerne Bierbüchsen und Becher aufs Grün. Das können sie wirklich gut. (Foto: Mike Mulholland/AFP)

Das war aber erst der Beginn der Dahmen&Higgs-Show. Sofort sprangen die Zuschauer hoch, hüpften, tobten, rasteten aus. Bierbüchsen flogen aufs Gras, Flüssigkeiten spritzten über die Köpfe. Die Person, die die Fernsehkamera schwenkte, wusste offenbar nicht, was die Kamera als Erstes filmen sollte. Den Irrsinn auf den Tribünen? Doch die beiden Spieler?

Angesteckt vom brodelnden Mob, stand auch Dahmen plötzlich obenrum nackig da, sein Hemd gar wie ein Lasso schwenkend, breitbeinig auf dem kurz geschorenen Grün stehend. Higgs rannte kreuz und quer und ballte im Sprung die Faust. Die Szenen fluteten sämtliche Golfkanäle im Internet. Ein 40 Sekunden langes Video wurde bereits 1,3 Millionen Mal angesehen.

Das Besondere an diesem Ereignis war, dass Golf eher selten bis nie solche Bilder bietet. Man legt Wert auf gutes Benehmen. Die Etikette gilt als etwas Heiliges. Man sollte nicht laut reden. Nicht wild gestikulieren. Anständig gekleidet sein. Den Gegner achten. Dahmen und Higgs? Haben alle Regeln missachtet.

Die Phoenix Open ist das Woodstock, die Copacabana, die Kö im Karneval - hier muss gefeiert werden

In St. Andrews, der Wiege des Golfsports in Schottland, wären beide wohl von Scotland Yard abgeführt worden. In Augusta, dem Spielort des Masters, hätte man sie vielleicht in die grünen Sakkos gesteckt, die nur den Siegern vorbehalten sind, allerdings hätte man ihnen die Ärmel hinterrücks zusammengeknotet, zu einer Zwangsjacke. Hier, in Arizona? Wurden Dahmen und Higgs gefeiert wie Helden. Sogar die PGA Tour, die offizielle Dachorganisation dieses Events, veröffentlichte Bilder, wie die zwei abgingen.

Alle wissen eben: An diesem Ort muss das so sein. Diese Phoenix Open ist kein normales Turnier, auch wenn es zur PGA Tour zählt und der Playoff-Sieger Scottie Scheffler 1,47 Millionen Dollar erhielt, eine übliche Summe für ein Event in dieser Größenordnung. Die Phoenix Open ist das Woodstock, die Copacabana, die Kö im Karneval - hier muss gefeiert werden, und wer hier nicht feiert, ist nicht bei der Phoenix Open, deren Titelsponsor quasi das Programm vorgibt: Die Veranstaltung heißt WM Phoenix Open, benannt nach dem Konzern Waste Management, der in der Abfallwirtschaft Millionen scheffelt. Und Müll, ja, der wird tonnenweise von den Fans produziert.

Die Maßlosigkeit jedenfalls wird bei diesem Turnier perfekt organisiert und vermarktet, besonders ausgeprägt an der 16. Bahn. Sie ist komplett umrandet von Zuschauertribünen und -logen. 20000 Besucher stehen dann erhöht vom Grün und grölen von den Rängen wie im alten Rom, als seien sie im Colosseum, zu den Spielern herab, die wie Gladiatoren vorbeiziehen. Die Plätze sind nicht billig. 450 Dollar kostet das Tagesticket, und wenn sich 34 Personen zusammentun, sind 11 000 Dollar für die ganze Woche fällig. Frühstück, Lunch, Bar inklusive. Und, immerhin, auch Parkplätze. Alle Boxen sind übrigens immer vermietet. Für die Profis kann der Gang vorbei zum Spießrutenlauf werden oder zum umjubelten Vorbeischreiten.

Held für einen Moment: Sam Ryder gelingt ein Ass - der Amerikaner brachte den Ball direkt mit dem Abschlag im Loch unter. So feiert er - und die Fans feiern ihn. (Foto: Mike Mulholland/AFP)

Wer den Ball so richtig weit weg vom Grün ballert, wird höhnisch ausgelacht. Wer ein Ass schlägt und auf dem Par 3 mit nur einem Schlag den Ball im Loch versenkt, wird gefeiert wie ein Gott. Sam Ryder traf diesmal als Erster direkt, sein Hole-in-One wurde sofort als "Shot heard round the world" bezeichnet - in Anlehnung an einen historischen Schlag aus dem Jahr 1935. Damals hatte der legendäre Gene Sarazen als erster Spieler jemals ein Albatros beim Masters geschlagen - er hatte nur zwei statt fünf Schläge auf der 15. Bahn benötigt und kurz darauf das Masters gewonnen.

Carlos Ortiz gelang dann am Sonntag wie Ryder auch ein Ass. Und wieder spritzte das Bier durch die Luft. Die Sicherheitskräfte der Phoenix Open waren permanent in Alarmbereitschaft. 250 000 Fans kamen in der Woche. Allein am Samstag, berichtete Golfweek, wurden 25 Menschen mit Alkoholvergiftung behandelt, 54 Notrufe gab es nur an dem Tag. Manche stürzen gerne auch mal von der Tribüne runter.

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Diesmal herrschte besonders an den Schlusstagen eine aufgeheizte Stimmung, weil es diesmal besonders viele verästelte Dramen gab. Der Profi Charley Hoffman musste Spottrufe ertragen, weil er sich zuvor massiv als Befürworter der gerade im großen Stil aufgezogenen Turnierserie in Saudi-Arabien hervorgetan hatte. Das kam nicht gut an. Der junge Amerikaner Sahith Theegala, der dank einer Einladung des Turniers mitspielen durfte, führte lange und wurde überraschend Dritter. Seine Eltern waren aus Indien in die USA immigriert, sein Clan, der in Kompaniestärke ihm auf dem Platz gefolgt war, begeisterte auch die US-Medien. Die Hauptdarsteller aber, das waren Dahmen und Higgs mit ihrer Striptease-Nummer.

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