Sofyan Amrabat bei der WM:Wer Marokko schlagen will, muss an ihm vorbei

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Zur Not auch Sitzfußball: Sofyan Amrabat gegen Spaniens Gavi. (Foto: Javier Garcia/Shutterstock/Imago)

Sofyan Amrabat verkörpert den Stil der WM-Überraschungsmannschaft wie kein anderer. Schon jetzt wird über einen möglichen Transfer nach dem Turnier spekuliert.

Von Sebastian Fischer, Doha

Als Sofyan Amrabat das Al-Thumama-Stadion in Doha verließ, bekam er eine kleine Vorschau auf die nächsten Wochen. Bald, im Januar, beginnt im Fußball wieder die sogenannte Transferperiode, Spieler dürfen ihren Verein wechseln. Transferexperten werden fürs Fernsehen vor den Geschäftsstellen der Klubs stehen, Ankünfte von Spielerberatern kommentieren, über mutmaßliche Vertragsinhalte twittern.

Amrabat, der Mittelfeldspieler Marokkos, ging nach dem Sieg im Viertelfinale gegen Portugal schwerfällig an den Journalisten vorbei, das Knie mit Eis gekühlt, er hatte die nächste aufopferungsvolle Leistung hinter sich. Da wurde er gefragt, ob die Gerüchte stimmen, dass der FC Liverpool an ihm interessiert sei. "Darüber spreche ich nicht", sagte er wenig überraschend.

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Marokko, die nun beste afrikanische Mannschaft der WM-Geschichte, spielt an diesem Mittwoch im Halbfinale gegen Weltmeister Frankreich. Angeblich sollen weit mehr als 20 000 ihrer Fans dabei sein, es gibt 30 Extraflüge aus Marokko nach Doha. "Wir spielen zu Hause", sagte Trainer Walid Regragui in der Pressekonferenz am Vortag der Partie. Die Fans sind ein Grund für den Erfolg, die Fähigkeiten des Trainers ein anderer. Regragui selbst betonte: "Der Schlüssel für uns ist der Teamspirit. Wir spielen als Kollektiv."

Müsste man aber einen Fußballer hervorheben, der den marokkanischen Stil verkörpert, das unnachgiebige Verteidigen, viel Disziplin und Leidenschaft und zur rechten Zeit Raffinesse, dann wäre es Amrabat, 26, vom AC Florenz. Keine Minute hat er bislang verpasst, trotz seiner so arbeitsintensiven Position im defensiven Mittelfeld: Er ist eine Art Türsteher zwischen den zwei marokkanischen Viererketten im 4-1-4-1.

41 Mal hat er im Turnier den Ball zurückerobert, so oft wie kein anderer Spieler

Besonders im Achtelfinale gegen Spanien ragte er heraus: Er lief viel und in die richtigen Räume, versperrte Wege, gewann den Ball, immer wieder. 41 Mal hat er im Turnier den Ball zurückerobert, so oft wie kein anderer Spieler. Und: Hatte er ihn einmal und wurde von den hoch pressenden Spaniern angegriffen, behauptete er ihn in der Regel; mal mit seinem Rücken als Schutzschild, mal mit einem kurzen Sprint in einen freien Raum. Und dann gelangen ihm auch noch ein paar Pässe, die Konter initiierten.

Die italienische Gazzetta dello Sport nennt Amrabat seiner Trikotfarbe in Florenz gemäß "den violetten Casemiro", nach dem Brasilianer und wohl derzeit besten defensiven Mittelfeldspieler der Welt, von ähnlich kompakter Statur. Ob Amrabat aber weiter in Violett spielt? Weiter in der Serie A? In der europäisch drittklassigen Conference League? Die in Transfergeschichten so bewanderte wie aufgeregte Gazzetta hat seinen geschätzten Marktwert jedenfalls schon mal mehr als verdoppelt. Von 10 Millionen Euro vor dem Turnier auf 25 Millionen.

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Würde man Amrabat die Entdeckung des Turniers nennen, wäre das aber nicht ganz richtig. Denn entdeckt hat ihn die Fußballbranche schon längst. In ihren Plänen vorgesehen hatten ihn vor Jahren auch schon Dick Advocaat und Ruud Gullit, als sie als Trainer und Co-Trainer für die niederländische Nationalmannschaft verantwortlich waren.

Als er mit 21 in der Champions League spielte, interessierten sich die Niederländer wieder für ihn

Amrabat wurde in Huizen in den Niederlanden als Sohn marokkanischer Eltern geboren, spielte in der Jugend für den FC Utrecht und die niederländische U15. Auch sein Bruder Nordin ist Fußballprofi, inzwischen ehemaliger marokkanischer Nationalspieler - und trug in der U21 das niederländische Trikot. Sofyan lief von der U17 an für Marokko auf. Nachdem er 2017 zu Feyenoord Rotterdam wechselte und mit 21 in der Champions League spielte, aber noch nicht für Marokkos A-Elf im Einsatz gewesen war, interessierten sich die Niederländer wieder für ihn.

Er habe sich mit Advocaat getroffen und nach zwei Stunden Gespräch überlegt, vielleicht doch für sein Geburtsland zu spielen, so hat es Amrabat mal in einem Interview für die Klubmedien der Fiorentina erzählt. Doch dann habe der Chef des marokkanischen Fußballverbands ihn mit seinen Eltern nach Marokko eingeladen. "Wir haben ein WM-Qualifikationsspiel geschaut, Marokko spielte gegen Gabun und gewann 3:0, in Casablanca. Es war total voll, vielleicht 60 000, 70 000 Zuschauer." Danach, sagte er, "wusste ich, dass ich für kein anderes Land spielen kann. Das war wohl ein smarter Move vom Verbandsboss."

Amrabat ist einer von zahlreichen Spielern in Marokkos Kader, die nicht im Land geboren wurden. Hakim Ziyech vom FC Chelsea und Noussair Mazraoui vom FC Bayern sowie Zakaria Aboukhlal vom FC Toulouse wuchsen ebenfalls in den Niederlanden auf. Kapitän Romain Saïss und Flügelspieler Sofiane Boufal kommen genau wie Trainer Regragui aus Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht, was dem Spiel am Mittwoch eine zweite, durchaus brisante Bedeutungsebene verleiht.

Worauf es fußballerisch ankommen wird? Nicht auf Ballbesitz, sagte Regragui. Er wundere sich darüber, wie oft seit Beginn der marokkanischen Erfolgsgeschichte bei dieser WM die Statistik zitiert werde. Es gehe um Effektivität und darum, die Franzosen nicht zum Abschluss kommen zu lassen. Es klingt nach viel Arbeit im defensiven Mittelfeld.

Er habe bis tief in die Nacht behandelt werden müssen, habe eine Spritze bekommen, hatte Amrabat schon nach dem Spanien-Spiel erzählt. Er habe sich nicht "hundertprozentig frisch" gefühlt, sagte er nach dem 1:0 gegen Portugal. Und nun? Trainer Regragui sagte, dass nach jetzigem Stand niemand ausfallen werde - aber auch für niemanden der Einsatz sicher sei.

Ambrabat klang nach dem Viertelfinale allerdings ziemlich überzeugt, dem Eisbeutel überm Knie zum Trotz. "Das ist die WM", sagte er: "Da musst du alles geben und wie verrückt bis zum Ende rennen."

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