Fußball: WM-Qualifikation:Der letzte Anlauf

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DFB-Kapitän Michael Ballack, der große Unvollendete, startet gegen Aserbaidschan in eine Saison, die ihm endlich den WM-Titel bescheren soll.

Christian Zaschke

Es ist ein seltsamer Ort, um den letzten großen Anlauf zu starten. Große, halbfertige Häuser stehen allerorten, es wird gebaut, Staub hängt in der Luft, dazu mischt sich der Geruch von Öl. Hier und da werden ganze Straßenzüge abgerissen, und der Verkehr rauscht wie ein Wildbach durch die Stadt, ungezügelt, unkontrollierbar - es sei denn, man gerät in die kleinen Straßen, dort stehen die Autos im Stau, zur Hälfte Ladas, zur Hälfte Wagen aus dem Westen und aus Fernost.

Maß genommen für die Vollendung seiner Vita: DFB-Kapitän Michael Ballack (re.), hier im Testspiel gegen Norwegen im Februar. (Foto: Foto: Getty)

Baku ist eine Stadt im Wandel, eine Stadt im Aufbruch - ein seltsamer Ort zwar, aber vielleicht ein ganz passender für Michael Ballack, der sich aufmacht in eine Saison, die eine große werden soll. Das WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan an diesem Mittwoch (18 Uhr MESZ, ARD) bedeutet für ihn den Auftakt in eine Spielzeit, an deren Ende, wenn alles perfekt läuft, das WM-Finale in Südafrika steht.

"Man träumt vom Titel"

Es ist ein beschwerlicher Weg vom brummenden Baku bis nach Johannesburg, wo am 11. Juli 2010 das WM-Finale gespielt wird. Das hat Ballack schon wieder am Dienstag erfahren müssen, als er das Abendtraining abbrach wegen Schmerzen im Oberschenkel. Eine Vorsichtsmaßnahme, hieß es aus der medizinischen Abteilung , sein Einsatz sei nicht gefährdet. Doch Ballack wird im September 33 Jahre alt, es ist das letzte Mal, dass er in eine Saison geht, an deren Ende der größte Titel stehen könnte. "Man träumt vom Titel, klar", sagte er am Dienstag in Baku, "aber wenn man sich nicht konzentriert, kann man schon auf dem Weg stolpern". Damit meinte er zum einen das Spiel gegen Aserbaidschan, zum anderen die Partie in Russland im Oktober, in der es um den Gruppensieg geht - nur der Erste ist direkt für die WM qualifiziert, der Zweite muss in die Relegation.

Das Spiel an diesem Mittwoch wird wohl keine Aufschlüsse darüber geben, ob es ein gutes Jahr wird für Ballack. Gewinnen die Deutschen hoch, wird es heißen, die Aserbaidschaner waren zu schwach, gewinnen sie knapp, wird es heißen, die Saison sei noch jung, man suche noch den Rhythmus. Andere Varianten sind schwer vorstellbar, "wir sollten genug Klasse haben, um drei Punkte mitzunehmen", sagt Ballack. Er spricht wie immer ruhig, gelassen, kein bisschen aufgeregt. Am besten drückt sich diese Erzählhaltung im Ballackschen "Och" aus, mit dem er hin und wieder Sätze beginnt. Das wirkt insofern stets recht lustig, weil es bei Ballack - nach den Maßstäben des Sports - so oft um große Dramen geht.

Titel und zweite Plätze

Er hat jede Menge Titel gewonnen, unter anderem viermal die deutsche Meisterschaft, dreimal den DFB-Pokal und zweimal den FA-Cup, aber im kollektiven Gedächtnis sind eher seine vielen zweiten Plätze verankert. Ballack verlor zwei Champions-League-Finals, er wurde WM- und EM-Zweiter, verpasste zweimal mit Bayer 04 Leverkusen dem Meistertitel um Haaresbreite (einmal schoss er am letzten Spieltag ein Eigentor, in Unterhaching), ein Pokalfinale verlor er auch. Fast immer rankten sich gute Geschichten um diese Niederlagen.

Diese zum Beispiel: Bei der WM 2002 beging er im Halbfinale ein taktisches Foul, um eine Großchance der Südkoreaner zu verhindern - er wusste, dass er dafür die gelbe Karte sehen und im Finale gesperrt sein würde. Dieses Foul wird gern als Michael Ballacks Opfer für die Mannschaft verklärt; es war allerdings tatsächlich eine dramatische Szene, die noch an Kraft gewann, als Ballack kurze Zeit später das Siegtor erzielte. Ein wichtiger internationaler Titel fehlt ihm noch, deshalb gilt er vielen trotz seiner Klasse als ein großer Unvollendeter.

Aus der deutschen Mannschaft, die ihn nun auf seinem Weg zur Vollendung begleitet, ragt er heraus. Zum einen, weil er ihr Kapitän ist, zum anderen, weil er der Älteste ist. Die zweite Führungsebene im Team besteht aus Spielern wie Philipp Lahm und Per Mertesacker, beide Mitte 20. Bisher stand Ballack noch Torsten Frings zur Seite, ebenfalls 32. Frings ist einer, der wie Ballack über Fußball denkt - und der nicht mit flachen Hierarchien aufgewachsen ist wie die nachrückende Generation. Aber Frings wurde von Bundestrainer Joachim Löw nicht berücksichtigt. Ballack hat Frings angerufen, als er die Nachricht gehört hatte, und er hat ihm versichert, alle wüssten um seine Klasse, er solle den Kopf nicht in den Sand stecken.

Letzter Weg mit Frings

Das hat er am Dienstag in Baku erzählt, und es war aus seinen Worten zu hören, dass er den alten Weggefährten gern dabei hätte. Innenpolitisch war das eine interessante Äußerung, denn Joachim Löw plant offensichtlich anders. Michael Ballack aber will den letzten langen Weg mit Frings gehen, weil der zu ihm passt: Die beiden verhalten sich im Fußball zueinander wie der genialische Sherlock Holmes zum pragmatischen Dr. Watson. In Baku und vielleicht auch danach noch länger muss Ballack jedoch ohne Frings auskommen; Thomas Hitzlsperger bildet mit ihm das Paar im zentralen Mittelfeld.

Seine DFB-Karriere hat Ballack unter Berti Vogts begonnen. Der trainiert nun die Auswahl Aserbaidschans und sagte am Dienstag: "Ballack wird in Deutschland unterschätzt." Selbst ein hoher Sieg gegen das Team von Vogts kann daran nichts ändern - ein Sieg am Ende der langen Saison, die in Baku beginnt, könnte das sehr wohl.

© SZ vom 12.08.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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