Frankreichs Nationalmannschaft:Deschamps hat grotesk viele Optionen

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Eine Vaterfigur: Didier Deschamps inmitten seiner Nationalspieler. (Foto: Franck Fife/AFP)

Während Testspielgegner Deutschland ohne Bundestrainer dasteht, hat Frankreich Didier Deschamps - seit elf Jahren schon. Er hat ein extrem starkes Team beisammen, das er immer wieder verändert.

Von Oliver Meiler, Paris

Didier Deschamps hat schon viele Stürme überstanden, ziemlich gelassen. Oft schon wurde dem Trainer der Bleus vorgeworfen, er sei stur, starrsinnig gar, der idealtypische und klischierte Baske eben. Und er? Unbeirrbar. Wie er zum Beispiel auf Olivier Giroud bestanden hat, seinem Mittelstürmer, obschon der ein etwas höheres Fußballeralter erreicht hat. Selbst in Zeiten relativer Erfolglosigkeit und trotz vorhandener Alternativen auf der Position bot ihn Deschamps immer auf. Tore und Trophäen gaben "Dédé" recht. Weltmeister in Moskau 2018, Finalist in Doha 2022. Es gab auch Durchhänger, klar, aber seine natürliche Autorität, diese stille Kraft im Auftritt, rettete Deschamps über alle Baissen.

Elf Jahre ist er nun schon Sélectionneur, neulich hat er seinen Vertrag mit dem französischen Fußballverband verlängert: bis 2026. Eine Epoche. In der laufenden Qualifikation für die Europameisterschaft steht Frankreich nach fünf Spielen mit fünfzehn Punkten da. Und null Gegentoren. Als man ihn vor ein paar Tagen fragte, wie er das nur mache, so lange in derselben Funktion, sagte er: "Du darfst nur keine halben Dinge tun." Einfach weitermachen des Weitermachens willen - "das ist kein guter Motor".

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Und tatsächlich: Schaut man genau hin, variiert Deschamps sein Team ständig, als wollte er sich nicht langweilen. Er schraubt an den Übergängen, holt neue Spieler dazu. Von der Mannschaft, die vor fünf Jahren in Russland den Titel gewann, stehen noch sechs Spieler im aktuellen Kader. Das ist deshalb besonders erstaunlich, weil jene Herrschaften mit einem Durchschnittsalter von etwas mehr als 25 Jahren die jüngsten Weltmeister waren seit Brasilien 1970. Deschamps ist ja auch ein glücklicher Coach, er hat stets Optionen.

Griezmann ist der Schalter im Zentrum - auf ihn verzichtet Deschamps nie

Als Hugo Lloris, der Ewigtorwart, im vergangenen Winter nach 145 Länderspielen aufhörte, stand Mike Maignan von der AC Milan bereit: erfahren, modern, mit sicheren Händen und Füßen, vielleicht einer der besten Keeper der Gegenwart. In der Abwehr hat es ein bisschen gedauert, bis Dayot Upamecano seinen Platz fand, doch Deschamps wartete zuversichtlich. In Katar war "Upa" dann ganz da. Im Mittelfeld spielt sich gerade Aurélien Tchouaméni von Real Madrid recht fix in die Gunst der Franzosen, man vermisst N'Golo Kanté gar nicht mehr, und das will etwas heißen.

Antoine Griezmann ist der Schalter im Zentrum, Verteiler und Balancierer, frei in seinen Bewegungen. Deschamps verzichtet nie auf ihn, "Grizou" ist das pragmatische Hirn der Bleus: Extravagant sind zuweilen nur seine Frisuren. Griezmann erinnert Deschamps wohl an sich selbst, damals, als Spieler mit viel Sinn für Tempi und Verlagerungen. Einen schwierigen Moment gab es zwischen den beiden, als Lloris aufhörte und die Frage nach der Kapitänsbinde aufkam. Griezmann hätte sie gerne getragen; er fand, er habe sie sich verdient. Doch Deschamps machte ihn nur zum Vize und schob die Hauptverantwortung dem Superstar im Team zu: Kylian Mbappé, noch immer erst 24, auch er Weltmeister 2018.

In der Offensive, an Mbappés Seite, hat Deschamps geradezu grotesk viele Optionen. Giroud ist als Neuner meist gesetzt, am Dienstagabend beim Länderspiel gegen Deutschland fällt er allerdings wegen einer Knöchelverletzung aus. Zuletzt wechselte der Trainer Marcus Thuram für ihn ein, den früheren Gladbacher und Neumailänder von Inter, der auch gleich traf, sein erstes Tor in Blau - auf der Tribüne saß Vater Lilian, eine Fernsehkamera von TF1 schwenkte sehr prompt hoch in die Ränge.

In Frankreich ist man aber überzeugt, dass der Sturm bald mit "Pariser Akzent" sprechen wird, wie die Zeitung Le Parisien mit einiger Aufregung schreibt. Gemeint ist, dass das neue Angriffstrio von PSG, zusammengekauft in diesem Sommer, sehr zeitnah auch Deschamps Stammsturm sein wird. In ihrem Drang, den wegzugswilligen Mbappé wenigstens für ein weiteres Jahr glücklich zu sehen, haben die Katarer dessen guten Freunde Randal Kolo Muani von Eintracht Frankfurt und Ousmane Dembélé vom FC Barcelona nach Paris geholt. Beide wollten das unbedingt und sorgten für mittelprächtige Verwerfungen auf dem Transfermarkt und Ärger bei ihren früheren Vereinen.

Für seine Nationalspieler ist Deschamps eine Art Vaterfigur

Nach Jahren, die Reals System der Galácticos nachempfunden waren, und nach dem Wegzug von Neymar Junior und Lionel Messi in diesem Sommer, setzt man in Paris nun auf lokale Helden, auf Identifikationsfiguren fürs Publikum. Kolo Muani kommt wie Mbappé aus Bondy, einer Pariser Banlieue, sie sind gleich alt. Mbappé und Dembélé sind schon lange Kumpel, schier unzertrennlich. Da wächst etwas zusammen, das zusammengehört. Mbappé sehr rasant über links, Dembélé furios über rechts, Kolo Muani im Zentrum. Wenn die nun mal eine Weile im Verein an ihren Automatismen feilen, hat Deschamps wohl seinen Stammblock in der Spitze für die kommenden Jahre. So viel Zukunft war selten.

Der Trainer ist jetzt 54 Jahre alt, eine Vaterfigur. Im Team hat sich trotz Konkurrenz eine konstante Harmonie eingestellt. Deschamps redet offenbar viel und mit allen auch individuell. Wenn die jungen Spieler etwas von ihm wollen, so erfährt man aus seiner Entourage, etwas weniger Laufarbeit in den Übungseinheiten zum Beispiel, spielen sie in der Umkleidekabine Musik aus den Achtzigerjahren, um ihn in die passende Stimmung zu bringen. So locker geht es da zu. Mit Erfolg ist halt alles etwas einfacher.

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