Julian Nagelsmann zog mit der Hand an dem kleinen Hebel, an dem sich jeder handelsübliche Bürostuhl in der Höhe verstellen lässt. Er zog, doch nichts geschah. Also hüpfte Nagelsmann etwas fester mit dem Po auf die Sitzfläche, doch wieder geschah: nichts. "Ich bin wohl leichter geworden über Weihnachten, deswegen drückt es mich höher", staunte er - doch dann flutschte sein Sitz doch noch ganz plötzlich in die gewünschte Tiefe.
Manchmal dauern die Dinge im Leben halt etwas länger, auch wenn sich der Grund für die Warterei rational nicht vollumfänglich erklären lässt. Das weiß selbstverständlich auch Nagelsmann, der auf seiner Pressekonferenz vor dem Spiel bei RB Leipzig (Freitag, 20.30 Uhr) sehr gerne schon am frühen Mittwochnachmittag Vollzug gemeldet hätte - bei der leidigen Suche des FC Bayern nach einem Nachfolger für den mindestens bis zur Sommerpause verletzten Stammtorwart Manuel Neuer.
BVB und Youssoufa Moukoko:"Wenn nicht, werden sich unsere Wege eben trennen"
Eigentlich hat der BVB vor dem Ligastart Gründe zu guter Laune: Angreifer Haller ist genesen, Verteidiger Ryerson kommt. Doch die Hängepartie um Moukoko und weitere offene Personalien trüben die Stimmung.
Anstelle einer definitiven Kunde hatte sich Nagelsmann zumindest ein Wortspiel überlegt, das er freundlicherweise auch noch als solches kennzeichnete. Freudig rief er aus, die Transferverantwortlichen von der Säbener Straße "arbeiten - Achtung Wortspiel! - Sommer wie Winter daran, den Kader zu verstärken. Das ist auch jetzt der Fall." Kurz nach dem Auftritt des Bayern-Trainers sickerte dann durch, dass Gladbachs mit diesem Bonmot gemeinter Torwart Yann Sommer beim Training seiner Mannschaft fehle und er bereits auf dem Weg nach München sei, um dort seinen Medizincheck zu absolvieren. Und auch wenn die offizielle Bestätigung der Bayern am späten Nachmittag noch ausstand, so hatten die zähen Gespräche um Sommer bereits am Dienstagabend ein Ende gefunden, worüber zuerst der Schweizer Blick berichtete, und was sich auch mit SZ-Informationen deckt.
Weit spannender als die Ablösesumme ist die kolportierte Laufzeit von Sommers Vertrag
Die tapfer verhandelnden Gladbacher hatten dem Vernehmen nach nicht nur das erste Angebot des deutschen Rekordmeisters abgelehnt, sondern auch noch die Offerten Nummer zwei, drei und vier. Irgendwann aber war dann offensichtlich eine Schmerzgrenze erreicht, die bei acht Millionen Euro plus eine Million Euro an möglichen Bonuszahlungen liegen soll. Nicht wenig Ablöse für einen 34-jährigen Torwart, dessen Vertrag in Mönchengladbach nur noch bis Ende Juni datiert war. Der Anteil der Sonderausschüttung für den Fall, dass die Bayern mit Sommer die Champions League gewinnen sollten, war im Zuge der Verhandlungen kleiner und der Sockelbetrag größer geworden. Bloß kein Bares für Rares, das dürfte die kaufmännische Kalkulation der Gladbacher gewesen sein.
Kompliziert verliefen die Verhandlungen allerdings, weil zunächst mehrere Klubs eine Verbundlösung erzielen mussten: Gladbach konnte Sommer erst ziehen lassen, als klar war, dass der Schweizer Ersatztorhüter Jonas Omlin, 29, als Ersatz von HSC Montpellier verpflichtet werden konnte. Das bestätigte auch Nagelsmann, als er ausführte, es seien "nicht immer nur zwei Parteien, die zufriedengestellt werden müssen, manchmal sind auch ein paar mehr beteiligt."
Weit spannender als die Ablösesumme ist jedoch die kolportierte Laufzeit von Sommers Vertrag bis ins Jahr 2025 - vor allem aus Sicht des nur zwei Jahre älteren Manuel Neuer, der bislang keinen Grund vernommen haben dürfte, weswegen er nach seiner Genesung nicht mehr die Nummer eins im Tor der Bayern sein sollte. Beim Skitourengehen hatte sich Neuer im Dezember eine Fraktur des Unterschenkels zugezogen. Und "ein Knochenbruch ist etwas, das sehr gut verheilt", sagte Nagelsmann am Mittwoch. Vor diesem medizinischen Hintergrund dürfte in der anstehenden Rückrunde Sommers Motivation für den Wechsel hinterfragt werden. Kommt er, um Neuer im Stile des treuen und genügsamen Sven Ulreich vorübergehend zu ersetzen und vom Gewinn der Champions League zu träumen? Oder kommt er, um Neuer zu verdrängen?
Sommers Motivation für den Wechsel könnte auch Nagelsmann noch beschäftigen, der angab, er habe zu ihm bislang noch "keinen Kontakt" gehabt. Doch auch ohne mit Sommer ein tiefgründiges Bewerbungsgespräch geführt zu haben, zeigt sich der Trainer zuversichtlich, dass der neue Torwart schon in der Partie gegen Verfolger Leipzig sein Debüt geben könnte. Ein erfahrener Torwart benötige keine längere Eingewöhnungsphase, findet Nagelsmann, es reichen vielleicht "15 Minuten. Das ist kein Hexenwerk, das man erst mal sechs Monate studieren muss."