Niederlande bei der EM 2021:Oranje leuchtet wieder

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So sieht Vorfreude aus: Memphis Depay (rechts) und Wout Weghorst, einziger Bundesliga-Spieler im niederländischen Kader, beide Torschützen beim 3:0 im letzten EM-Test gegen Georgien. (Foto: Pro Shots/Imago)

Nach sieben Jahren Abstinenz dürsten die Niederlande nach einem großen Turnier. Durch den Ausfall einiger Stammkräfte zählt das Team von Frank de Boer zwar nicht zu den Favoriten - dennoch sind die Erwartungen groß.

Von Ulrich Hartmann

Am Sonntag um 21 Uhr wird vermutlich ein Seufzen durch die Niederlande gehen. Vielleicht ist es sogar bis nach Deutschland zu hören. Es ist fast sieben Jahre her, dass die niederländische Fußballmannschaft eine Partie bei einem großen Turnier absolviert hat. Am 12. Juli 2014 gewann sie bei der Weltmeisterschaft in Brasilien das Spiel um Platz drei, 3:0 gegen den Gastgeber.

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2016 verpasste sie die Teilnahme an der Europameisterschaft in Frankreich, 2018 jene an der Weltmeisterschaft in Russland. Am Sonntagabend wird im Johan-Cruyff-Stadion in Amsterdam vor 16 000 Zuschauern das EM-Spiel gegen die Ukraine angepfiffen. Die Erleichterung geht in den Niederlanden allerdings mit Debatten darüber einher, welche Mannschaft der Bondscoach Frank de Boer in welcher taktischen Anordnung ins Rennen schicken wird.

Arjen Robben wird jedenfalls nicht mitspielen. Der 37-Jährige hat sich zwar generös angeboten, de Boer hat aber dankend verzichtet. Dabei hätte der Trainer einen Flügelstürmer durchaus gebrauchen können, um das vom Volk traditionell eingeforderte 4-3-3-System umzusetzen. Das einst von Cruyff etablierte 4-3-3 ist in den Niederlanden ein Heiligtum, aber mangels Flügelstürmern ist de Boer entschlossen, mit einem 5-3-2 zu spielen. Das erzürnt die Traditionalisten. Leute vom Fach hingegen goutieren den Kniff.

Entlang der Seitenlinien werden sich international weniger bekannte Außenverteidiger wie Denzel Dumfries (PSV Eindhoven) und Owen Wijndal (AZ Alkmaar) bewegen. Kein Wunder, dass Robben-Fans da vor Wut leuchtend orange Ohren bekommen. Die Qualität zeigt sich im Zentrum: in der Dreier-Abwehr mit Stefan de Vrij (Inter Mailand), Matthijs de Ligt (Juventus Turin) und Daley Blind (Ajax Amsterdam) sowie im Mittelfeld mit Georginio Wijnaldum (FC Liverpool, bald Paris St. Germain), Frenkie de Jong (FC Barcelona) und Davy Klaassen (Ajax).

Im Angriff setzt de Boer auf eine Doppelspitze mit Memphis Depay (Olympique Lyon, bald vielleicht FC Barcelona) und Wout Weghorst (VfL Wolfsburg). Letzterer ist der einzige von 22 niederländischen Bundesligaspielern, der berücksichtigt wurde. Kein Jeremiah St. Juste aus Mainz, kein Justin Kluivert aus Leipzig, kein Javairo Dilrosun von Hertha BSC und kein Jeffrey Gouweleeuw aus Augsburg.

"Manchmal ist es ganz gut, ein Außenseiter zu sein", sagt Juves Matthijs de Ligt

Eigentlich sollte ja der Trainer Ronald Koeman den Wiederaufbau des Nationalstolzes dirigieren. Aber als der sich im August 2020 spontan zum FC Barcelona verabschiedete, übernahm de Boer. Für das Vertrauen in ihn war der Auftakt zur WM-Qualifikation jüngst im März nicht gerade förderlich, als die Niederlande 2:4 in der Türkei verloren.

"Wir gelten bei der EM nicht als Favorit", sagt der Mittelfeldmann Marten de Roon (Atalanta Bergamo). "Aber 2014 gehörten wir auch nicht zu den Favoriten", verweist Memphis Depay auf den Halbfinal-Besuch damals in Brasilien, wo er neben Wijnaldum, de Vrij, Blind und Joel Veltmann als einer von fünf heutigen Nationalspielern bereits mitgewirkt hat. "Manchmal ist es ganz gut, ein Außenseiter zu sein", sagt der hochbegabte 21 Jahre alte de Ligt. Die Erwartungen in den Niederlanden mögen eher überschaubar sein, die Hoffnungen sind insgeheim trotzdem groß.

"Manchmal ist es ganz gut, ein Außenseiter zu sein": Der niederländische Nationalspieler Matthijs de Ligt (Mitte, bei einem Länderspiel gegen Schottland) hofft auf eine erfolgreiche EM seines Teams. (Foto: Miguel Morenatti/dpa)

Da können Zyniker auch unken, die besseren Chancen aufs Halbfinale hätten die niederländischen WM-Schiedsrichter Björn Kuipers und Danny Makkelie - das Viertelfinale wird von den gewichtigen TV-Experten trotz der Ausfälle von Abwehrchef Virgil van Dijk (Kreuzbandriss), Torwart Jasper Cillessen (Corona) und Mittelfeldtalent Donny van de Beek (Adduktoren) als Minimalanforderung formuliert. Die Vorfreude ist gewaltig unter den gut 17 Millionen Menschen im Land.

Zum ersten Spiel kommt der König Willem-Alexander und mit ihm jene Königin Maxima, die vor sieben Jahren gleich zweimal geweint hatte: erst, als die Niederlande im Halbfinale gegen Argentinien verloren hatten, und dann, als im Finale ihr Heimatland Argentinien gegen Deutschland unterlag. Im vergangenen Oktober ließ man vom Hofe aus trotzdem zu, dass der damals fürs deutsche Siegtor verantwortliche Mario Götze zu PSV Eindhoven wechselte.

Nach siebenjähriger Turnierabstinenz, die durch Corona auch noch schmerzlich verlängert wurde, dürstet man umso mehr danach, Europa zu zeigen, dass man wieder da ist. Und zwar nicht nur durch einen Seufzer, der am Sonntagabend von Westen her über den Kontinent weht.

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