Österreich bei der EM 2021:Best of Bundesliga

SOCCER - UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2020, preview, AUT vs SVK VIENNA,AUSTRIA,06.JUN.21 - SOCCER - UEFA

Führungsspieler: David Alaba.

(Foto: imago images/GEPA pictures)

Vor der Euro wollten die Österreicher nicht zu viel über die Enttäuschung von 2016 reden. Natürlich tun sie es doch. Hoffnung macht zum Auftakt gegen Nordmazedonien der Kader - und vor allem ein Stürmer mit Schmäh.

Von Felix Haselsteiner

"Gestern war gestern, heute ist heute. Wir reden nicht über 2016", sagte Alexander Dragovic bei einer Presserunde am Mittwoch. Dann redete er über 2016.

"Verkackt" habe man damals, bei der Europameisterschaft in Frankreich, der ersten, für die sich Österreich sportlich qualifiziert hatte. Man habe etwas gutzumachen, sagte Dragovic. "Wir haben uns zu viel Druck gemacht, wir wollten zu viel." So geht die Analyse der EM, über die man nicht reden möchte, dann aber doch recht viel redet. Und die beim Innenverteidiger Dragovic wohl auch deshalb so präsent ist, weil er in gewisser Weise zum Sinnbild des Misserfolgs wurde: Beim ersten Spiel gegen Ungarn (0:2) sah Dragovic nach 66 Minuten die rote Karte. Beim 0:0 gegen Portugal fehlte er gesperrt. Und als es im letzten Spiel gegen Island ums Weiterkommen ging, verschoss Dragovic einen Elfmeter. Verkackt eben.

Auf den Schweizer Koller folgte der Deutsche Foda als Trainer, auf euphorische Offensive pragmatischer Sicherheitsfußball

Es spricht Bände, dass es an den ersten Tagen im Teamquartier in Seefeld, das die Österreicher nach den Deutschen bezogen haben, nicht nur um das kommende, sondern immer noch um das vergangene Turnier geht. 2016 hängt weiterhin wie eine dunkle Wolke über der Mannschaft, der damals von den Experten eine gute EM, von den eigenen Landsleuten sogar der Titel zugetraut wurde. Wenn er nicht gar erwartet wurde.

Fußball EM - Training Österreich

Er setzt die Leitplanken: Der deutsche Team-Trainer Franco Foda.

(Foto: Robert Jaeger/dpa)

Der österreichische Fußball hat vom Euphorie-Gipfel die Gondel zurück ins Tal genommen. Unter dem Trainer Marcel Koller verpassten die Österreicher die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2018 und entließen daraufhin den einst wohl beliebtesten Schweizer, der jemals in Österreich arbeitete, um sich dann unter Franco Foda neu zu erfinden. Weg von Kollers offensiver, mutiger, bisweilen naiver Herangehensweise, hin zu ergebnisorientiertem, sicherem, bisweilen aber eben auch langweiligem Fußball.

Fodas Herangehensweise brachte das Mindestziel EM-Qualifikation ein, mit teilweise herausragenden Spielen - etwa einem 4:1-Sieg in Nordmazedonien, dem ersten Gruppengegner am Sonntag. Diese überzeugenden Auftritte, zu denen auch ein in Österreich gerne erwähntes 2:1 gegen den damaligen Weltmeister Deutschland kurz vor der WM 2018 zählt, liegen allerdings einige Zeit zurück: Die unmittelbare Vorbereitung auf die Europameisterschaft wurde geprägt von einer desaströsen Leistung Ende März gegen Dänemark, als Österreich 0:4 verlor. Weil dem Ergebnisfußballtrainer Foda damit sein Hauptargument - das Ergebnis - abhanden gekommen war, wurde mitunter sogar leise nach einem Trainerwechsel noch vor der EM gefragt. Die Rückendeckung im Verband hat der Trainer vorerst, die Österreicher sind zumindest ein bisserl skeptisch. Der beliebteste Deutsche, der jemals in Österreich gearbeitet hat, ist er jedenfalls nicht.

"Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen", sagte Alexander Dragovic am Mittwoch noch, bevor einer derjenigen im österreichischen Kader den virtuellen Presseraum betrat, der in diesem Jahr dafür sorgen soll, dass Österreich dieses Mal wirklich zu der Überraschungsmannschaft wird, die bereits vor fünf Jahren angekündigt wurde.

Sasa Kalajdzic jedenfalls begegnet der EM mit jener ehrlichen Unbekümmertheit, die allgemein als Schmäh bekannt ist. Wie es ihm vor seiner ersten EM geht? "In mir sieht es recht entspannt aus." Wie er seine Tore gerne erzielt? "Mit'm Schädel is' ma' am liebsten." Wo er 2016 war? "Beim Public Viewing. Es macht mich stolz, dass da dieses Jahr Leute stehen werden und mich anfeuern."

Sabitzer, Arnautovic, Alaba: Die entscheidenden Akteure haben entscheidende Schritte gemacht

Kalajdzic fühlt sich sichtlich wohl im österreichischen Kader, der eine Art "Best of Bundesliga" ist. Deutsche Bundesliga, versteht sich. 20 von 26 Spielern sind sogenannte Legionäre in Deutschland. Dass nur zwei Spieler - Alexander Schlager (Linzer ASK), der zweite Torwart, und Andreas Ulmer (RB Salzburg) - aus der heimischen Liga kommen, spricht für das unheimliche Potential der Mannschaft, die Foda zur Verfügung steht.

Das gilt auch deshalb, weil die Mischung diesmal stimmt: Junge Talente wie Christoph Baumgartner (Hoffenheim), 21, oder Kalajdzic, 23, mischen sich mit erfahrenen Akteuren wie dem rechtzeitig von einem Kreuzbandriss genesenen Julian Baumgartlinger (Leverkusen), 33, oder Martin Hinteregger (Eintracht Frankfurt), 28.

Die Protagonisten, die wohl über den österreichischen Erfolg entscheiden werden, haben entscheidende Schritte in ihrer Karriere gemacht. Marcel Sabitzer ist nun Kapitän in Leipzig, Marko Arnautovic spielt zwar in China, paart seine unbestechliche Klasse als Stürmer aber mittlerweile mit etwas mehr Seriosität und ist aufgrund seiner Torgefahr der wichtigste Spieler der Mannschaft. Und David Alaba ist beim Nationalteam in jeglicher Hinsicht anzumerken, dass er Verantwortung nicht nur übernehmen will, sondern das auch kann.

2016 spielte Alaba in drei EM-Spielen erst auf der Sechs, dann auf der Acht und schließlich auf der Zehn. Er wirkte dreimal überfordert und natürlich war auch er ein Sinnbild des damaligen Scheiterns: Den Elfmeter im dritten Gruppenspiel, den letztlich Dragovic verschoss, traute sich Alaba damals nicht zu. Diesmal hat der 28-Jähriger, der nach dem Turnier vom FC Bayern zu Real Madrid wechselt, das Rüstzeug für eine mental wie auch fußballerisch zentrale Rolle, auch wenn ihn die Positionsdebatte weiterhin verfolgt: Bei dem Überangebot an zentralen Mittelfeldspielern im Kader - wäre es nicht sinnvoller mit Alaba als Linksverteidiger?

Acht Spieler von 2016 sind auch 2021 noch dabei, und vielleicht braucht es diesmal gar keine künstliche Vermeidungstaktik, um das Drama der letzten EM aus den Köpfen zu bekommen. Vielleicht könnte man sich auf den pessimistischen Realismus verlassen. "Wir haben damals geglaubt, dass wir nach der Qualifikation schon Könige sind", war ein weiterer Satz von Alexander Dragovic. Es war ein letzter Rückblick. Einer, der unausgesprochen die Wahrheit enthielt, dass sich die Österreicher diesmal nicht schon vor dem Turnier als Könige fühlen.

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