Fußball-Bundesliga:Eine Liga für Reiseweltmeister

Lesezeit: 1 min

Von wegen "Fußball für alle" - bleibt die Tabelle so wie sie ist, müssen viele Menschen zum nächsten Bundesliga-Stadion bald lange reisen.

Claudio Catuogno

Sigmar Gabriel hat sich noch gar nicht zu Wort gemeldet, dabei wäre das Phänomen ein klassisches Themenfeld für die SPD. Immerhin ist ja der soziale Friede bedroht in einem Land, welches die Versorgung seiner Bürger nicht mehr flächendeckend gewährleisten kann, sondern ganze Landstriche der emotionalen Versteppung anheimfallen lässt.

Bonjour Tristesse: Sollte Hertha BSC aus der Bundesliga absteigen, würde der Osten ganz von der Karte der Erstligastandorte verschwinden. (Foto: Foto: Getty)

Nicht nur der Hausarzt, der Tante-Emma-Laden und der öffentliche Personennahverkehr ziehen sich nämlich auf bedrohliche Weise aus der Fläche zurück. Sondern auch der Bundesligafußball. Aber bisher kein Wort aus dem linken Lager zu diesem Fall von Klientelpolitik, zu dieser Umverteilung von Ost nach West.

Es gab eine Zeit, da war der Erstligafußball noch über das Land verstreut wie die Städtenamen über die Wetterkarte: von Rostock bis München, von Hamburg bis Freiburg, von Cottbus bis Kaiserslautern. Und der "einfache Facharbeiter" aus Sigmar Gabriels Gerechtigkeits-Apellen (jener fleißige Mann, der früher mit seiner Hände Arbeit noch seine Familie ernähren konnte, ganz ohne Zuschüsse vom Amt), er musste damals von keinem Ort der Republik länger als zwei Stunden mit dem Auto fahren, um ein Stadion zu erreichen. Selbst wenn er mit Tempo 80 über die Landstraße kroch, weil auf der Rückbank die lieben Kleinen ihre selbstgebastelten Fahnen aus dem Fenster hielten. Glückliche Zeiten!

In Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern sind sie schon länger passé, doch die Krise des Ostfußballs galt bisher als Regionalphänomen (als Fall für die ewig mürrische Linkspartei, wenn überhaupt). Sollten im Sommer aber tatsächlich Hertha BSC Berlin, der 1. FC Nürnberg und Hannover 96 in die zweite Liga absteigen, wie es ihr Tabellenstand derzeit nahelegt - was dann? Dann wird es zwischen Hamburg und Bremen im Norden sowie der Achse Frankfurt-Stuttgart-München im Süden keinen Erstliga-Standort mehr geben, der östlicher liegt als: Borussia Dortmund!

Sozialromantik in der Bundesliga

Ach doch, einen: den VfL Wolfsburg. Aber der ist - national betrachtet - ja eher das Marketinginstrument eines Autobauers als ein Fußballklub fürs Facharbeiterherz.

Der Deutsche: Zum Glück ist er Reiseweltmeister, sogar in der Krise. Er wird das noch eine Weile bleiben müssen, will er seinen geliebten Fußball weiterhin in den als modern, sicher und familienfreundlich bekannten deutschen Stadien sehen, und nicht nur im Bezahlfernsehen.

"Fußball für alle!" - jahrzehntelang war das schlicht die Realität. Beim Blick auf die aktuelle Tabelle klingt es plötzlich wie Sozialromantik.

© SZ vom 01.02.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bundesliga, 20. Spieltag
:Farbtupfer im Schneeinferno

Bochum glänzt in Berlin mit neuen Trikots, bei Gladbachs Offensivfeuerwerk gegen Bremen schaut sogar die Sonne raus und van Buyten schlägt gleichzeitig mit Frau Holle zu. Die Bilder des Spieltags.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: