Fußballer von vulkanischen Inseln, die nach getaner Arbeit auf dem Platz "Huh" brüllen? Das hatten wir doch schon mal?! Wer sich hier an die Isländer von der Europameisterschaft 2016 erinnert fühlt, hat den Sound sofort im Ohr. Wie ein Donnergroll des Wikingergottes Thor klang es damals, wenn die Isländer sich in den Stadien mit ihren Fans einschworen. Aber diesmal sind nicht nur die Protagonisten andere, sondern auch der Schlachtenruf. Das "Huh" haben die Spieler von den Kapverden zu einem "Huh huh aaahh" erweitert - dazu wackeln die Hüften, wenn die Tubarões Azuis tanzend ihre Siege feiern.
"Die blauen Haie", so heißt das Nationalteam auf Portugiesisch, der Amtssprache des Archipels vor der Küste Nordwestafrikas. Wobei man sich prächtig gelaunte Raubfische vorstellen muss, die derzeit reihenweise Beute machen. Aktuellster Fang: die Auswahl Mauretaniens, die sich die Spieler im Achtelfinale des Afrika Cups mit 1:0 einverleibt haben. Und weil die formidablen Kapverdier zuvor in der Gruppenphase auch schon etablierte Teams wie Ghana hinter sich ließen, gelten sie nun bei dem Turnier an der Elfenbeinküste als blaues Wunder.
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"Ich bin überglücklich über unseren Weg", sagte Nationaltrainer Pedro Leitão Brito, den alle nur "Bubista" nennen: "Uns ist klar, dass hier viele größere Teams unterwegs sind, aber wir versuchen trotzdem, eine Chance zu haben gegen die afrikanischen Mächte."
Der 54-Jährige ist ein Mann mit melancholischen Gesichtszügen, in dessen Gebaren die Saudade-Klagelieder der großen Inselpoetin Cesária Évora widerhallen. Wie viele seiner Spieler verließ er die Heimat einst als Profi, ehe er als Trainer zurückkehrte und alle bekannten Klubs der Inselgruppe abklapperte. Das Schwanken zwischen Fern- und Heimweh, der Weltschmerz, die Isolation im tiefblauen Atlantik - das ist mehr als kapverdische Folklore. Nun aber muss die Schwere pausieren, weil das Nationalteam schon vor den inselweit wichtigen Karnevalstagen für Samba-Stimmung sorgt.
Kostproben der Heiterkeit liefern die Videokanäle des kapverdischen Verbandes, doch neben all den Tanzeinlagen ist auch ein Teamspirit zu erahnen, der diese No-Name-Gruppe ausmacht. Stürmer Bebé (Rayo Vallecano), eine Art großer, alter Mann des kapverdischen Fußballs, berichtet etwa davon, wie überrascht er war, als er vor dem Turnier mit den Kollegen zusammentraf: Es seien alle in Topform gewesen, "sie zeigten alle solch enormes Können, dass wir jetzt mehr wollen: Wir wollen Geschichte schreiben." Anfangs habe keiner an sein Team geglaubt, doch das hat sich geändert, nachdem es mit späten Toren die Favoriten Ägypten (2:2) und Ghana (2:1) geärgert hat.
Bebés Werdegang ist typisch für die Reiserouten kapverdischer Fußballer. Geboren vor den Toren Lissabons als Kind von Einwanderern aus der einstigen portugiesischen Kolonie, wechselte er als 20-Jähriger zu Manchester United. Dort hofften sie nach Cristiano Ronaldos Abschied auf den nächsten Transfertreffer aus atlantischen Breitegraden (Ronaldo stammt aus Madeira). Und auf Synergien mit dem bis heute populärsten Spieler mit kapverdischer Migrationsgeschichte: Nani, dessen Eltern ebenso von den Inseln stammen. Obwohl er sich unter dem damaligen Trainer Alex Ferguson nicht durchsetzen konnte, hält Bebés Vita für einen Kapverdier Bemerkenswertes bereit: Eine Handvoll Einsätze und sogar ein Tor in der Champions League, dazu etliche Treffer in Spanien und jetzt auch ein Freistoßtor aus 40 Metern - mit dem bisher schönsten Treffer dieses Afrika Cups brachte er sein Team in der Vorrunde gegen Mosambik in Führung.
24 Profis aus 24 Vereinen: In der Mannschaft spiegelt sich der Geist einer ganzen Nation
Gegen Mauretanien blieb die Hauptrolle aber seinem Offensivkollegen Ryan Mendes vom türkischen Klub Fatih Karagümrük SK vorenthalten, dessen Elfmetertor in der 88. Minute eine zähe Angelegenheit zugunsten der Blauhaie entschied. Türkei, Spanien, aber auch Frankreich, Niederlande und Portugal - in diesen Ländern verdienen die meisten kapverdischen Profis gutes Geld, das sie daheim auf den Inseln Santiago oder São Vicente nicht ansatzweise bekämen.
So spiegelt sich in der Mannschaft mit sage und schreibe 24 Profis aus 24 verschiedenen Vereinen (und 16 verschiedenen Ländern) der Geist einer ganzen Nation. Die Kapverden sind eine Ansammlung an Kosmopoliten, an Fußball-Globetrottern, die eine Leidenschaft eint: die Sehnsucht nach Erfolg mit ihrem Heimatland oder dem Zuhause ihrer Eltern. Der Außenseiter-Anstrich reicht so weit, dass in Abwehrchef Roberto Lopes, Linksaußen Willy Semedo und Torwart Vozinha Kleinstklubs wie die Shamrock Rovers (Irland), Omonia Nikosia (Zypern) und AS Trencin (Slowakei) plötzlich gefeierte Nationalspieler abstellen müssen. Wie lange noch, das hängt vom Viertelfinale am Samstag ab; dann ist Südafrika der Gegner.