Norwegen im WM-Achtelfinale:Die Gesprächstherapie setzt Energie frei

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Norwegens Spielerinnen galten als zerstritten, doch das 6:0 gegen die Philippinen scheint sie vereint zu haben. (Foto: Phil Walter/Getty Images)

Ein Jahr lang stritten sich die Norwegerinnen, bis mitten in das WM-Turnier hinein - dann redeten sie endlich offen miteinander und schafften so möglicherweise einen Wendepunkt. Das 6:0 gegen die Philippinen beweist, wozu das Team fähig ist.

Von Felix Haselsteiner, Auckland/Wellington

Zwei Flanken und zwei Abschlüsse brauchte es, dann war die norwegische Welt wieder in Ordnung. In der sechsten und der 17. Spielminute flog der Ball jeweils in hohem Bogen durch den Eden Park in Auckland, beide Hereingaben fanden den Weg in den Strafraum der Philippinen, und weil Sophie Haug dort zweimal sehenswert direkt abschloss, war dieses Spiel des großen, strauchelnden Favoriten gegen den kleinen Gruppengegner schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt entschieden - und das mit den ersten Toren des norwegischen Teams bei dieser WM.

Mit 6:0 sollte die Partie enden und eine knappe Konstellation in WM-Gruppe A auflösen: Weil Gastgeber Neuseeland gegen die Schweiz zur selben Zeit in Dunedin nur 0:0 spielte, sind nun die zwei Mannschaften im Achtelfinale, mit denen man vorab hatte rechnen können. Die Schweiz mit Trainerin Inka Grings auf dem ersten, Norwegen auf dem zweiten Platz - wobei diese Endbilanz nicht einmal annähernd das Drama beschreibt, mit dem die Norwegerinnen ihre Pflichtaufgabe Achtelfinale erfüllten.

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Höchst dramatisch war diese Gruppenphase verlaufen, seit dem katastrophalen Auftakt mit einem 0:1 gegen Neuseeland, das zwar im Heimatland dieser WM große Euphorie entfachte, nicht aber in Norwegen, wo sich das Team eigentlich rehabilitieren will für die Schmach der EM 2022. Ein unglaubliches 0:8 gegen England und ein 0:1 gegen Österreich hatte vor einem Jahr zum überraschenden Vorrundenaus geführt und beschäftigte die Beteiligten bis in das Turnier in Neuseeland hinein. Vor allem die bekanntesten Spielerinnen.

Für Stürmerin Ada Hegerberg - sechsmalige Champions-League-Siegerin mit Olympique Lyon und Weltfußballerin von 2018 - sollen sich bei der WM ihre großen Träume mit dem Nationalteam erfüllen. Nach einer fünfjährigen Pause aufgrund von Streitigkeiten mit dem Verband war sie 2022 zurückgekehrt, wollte triumphieren, scheiterte tragisch und stand daher diesmal unter besonderer Beobachtung. Das führte allerdings dazu, dass die Weltöffentlichkeit ihr dabei zusehen konnte, wie sie vor dem zweiten Gruppenspiel gegen die Schweiz nach dem letzten Warmmachen plötzlich in der Kabine verschwand. Hegerberg hatte sich dem Vernehmen nach an der Leiste verletzt und fehlte auch im Spiel gegen die Philippinen, sie möchte zum Achtelfinale fit sein - doch ohnehin ist fraglich, ob sie überhaupt das Spiel so prägen soll, wie das alle erwarten.

Trainerin Hege Riise, die nach der verpatzten EM übernahm, will mannschaftliche Geschlossenheit und setzt daher auf einen eher eigenwilligen Umgang mit ihren besten Spielerinnen - das zeigt vor allem die Debatte um Caroline Graham Hansen. Vor einem Monat gewann die Flügelspielerin noch die Champions League mit dem FC Barcelona, weshalb es durchaus überraschend kam, dass Riise im zweiten Gruppenspiel plötzlich auf sie verzichtete. Hansens Ärger entlud sich in einem Wutanfall im norwegischen Fernsehen. "Respektlos" sei Riise ihr gegenüber: "Ich habe das Gefühl, dass man ein ganzes Jahr lang auf mir herumgetrampelt ist - alle sagen ständig, dass wir als Team und als Nation zusammenhalten müssen, aber ich habe das Gefühl, dass ich als Letzte dastehe."

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Hansens deutliche Worte fanden so viel Beachtung, dass sie tags darauf in einer eigens einberufenen Pressekonferenz eine vorgeschriebene Entschuldigung ablas. "Überemotional" sei sie nach dem Spiel gewesen, auch gegenüber ihrer Trainerin - vielleicht aber war Hansen auch einfach nur endlich einmal ehrlich, in einer Gemeinschaft, die - so berichteten es norwegische Medien - sich teilweise gegenseitig nicht ausstehen konnte.

Riise wollte nach dem Einzug ins Achtelfinale nicht genauer auf die Grundstimmung im Team eingehen. "Mit sportlichem Erfolg", sagte sie, würden sich auch die "Nebenthemen" klären. Zahlreiche Gespräche zwischen ihr und den Spielerinnen, insbesondere mit Hansen, habe es allerdings gegeben in der vergangenen Woche. Es sei eine "besondere Mentalität" entstanden angesichts der Tatsache, dass die Norwegerinnen fast raus waren und jenen hohen Sieg brauchten, den sie dann auch erreichten: "Man konnte sehen, dass die Energie wieder ins Team zurückgekehrt ist nach diesen Tagen, die sehr schwierig waren. Wir wissen, dass wir sehr gut spielen können, auch Caroline, die heute sehr gut war", befand Riise.

Hansen erzielte das 3:0 gegen die Philippinen mit einem Distanzschuss, doch diesmal sprach sie nach dem Spiel im norwegischen Fernsehsender NRK nicht über das Drama des Jahres zuvor. Sondern über die "harten Tage", in denen der Fokus "auf den falschen Themen" gelegen habe. Dann ging es wieder um den Fußball, um die drei Tore von Hegerberg-Ersatz Haug und darum, dass dieses 6:0 vielleicht ein entscheidender Wendepunkt sein könnte - im Turnierverlauf, aber auch im angespannten Verhältnis der Spielerinnen untereinander und ihrer Trainerin.

Womöglich haben die Norwegerinnen nun zusammengefunden, die sich ein Jahr lang gegenseitig die Schuld für ihren Misserfolg gaben, bei denen sich die Akteurinnen stritten und bei denen die Entscheidungen der Trainerin nicht akzeptiert, sondern öffentlich kritisiert wurden. Was auch immer intern passiert sein mochte, eines war am Sonntagabend ganz offensichtlich, sogar ohne den Einsatz von Ada Hegerberg: Fußballerisch ist für dieses Team nahezu alles möglich.

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