Länderspiel:Wenn Engländer und Franzosen die Marseillaise singen

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Frankreichs Fußballer erleben emotionale Tage (Foto: AFP)

Das Länderspiel in Wembley soll ein Signal der Unbeugsamkeit senden. Aber die Spieler wären schon gerne gefragt worden, ob sie antreten wollen.

Von Claudio Catuogno, Paris/München

Das Wembleystadion ist eines von vielen Gebäuden auf der ganzen Welt, die kurz nach den Terrorattacken von Paris in den französischen Nationalfarben erstrahlten. Der 133 Meter hohe Bogen über den Tribünen leuchtet seitdem in blau, weiß und rot. Über dem Eingang jenes Stadions, in dem die englische Nationalmannschaft zu Hause ist, steht nun: "Liberté, Egalité, Fraternité." Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und bevor an diesem Dienstag das Freundschaftsspiel zwischen England und Frankreich angepfiffen wird, soll im Stadion der Text der französischen Nationalhymne verteilt und auf den Großleinwänden eingeblendet werden, damit alle gemeinsam die Marseillaise singen.

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In einem Sport, der häufig mit Nationalismen aufgeladen ist und in dem es in den Fanblocks nicht unüblich ist, die Nationalhymne des Gegners auszupfeifen, ist das ein starkes Zeichen. Und vermutlich hatte Noël Le Graët auch die Wirkung solcher Gesten im Sinn, als er mehr oder weniger im Alleingang entschied, dass dieses lange vereinbarte Spiel trotz des Terrors in Paris stattfinden wird. Selbst wenn es auch in Frankreich viele gibt, die ein seltsames Gefühl bei dem Gedanken empfinden, Fußball zu spielen oder anzuschauen, vier Tage nachdem beim Stade de France drei Bomben hochgegangen sind. Nicht zuletzt im Kreis der französischen Nationalmannschaft finden das einige seltsam.

Aber Noël Le Graët ist nicht nur der Präsident des französischen Fußballverbands FFF, er ist auch Politiker: Für die Sozialistische Partei war er mal einige Jahre lang Bürgermeister einer Kleinstadt in der Bretagne. Er weiß also, was Symbolpolitik ist.

"Ich hatte nie einen Zweifel daran, dass dieses Match stattfinden wird", sagte er der Zeitung L'Équipe, schon unmittelbar nach dem Abpfiff der beklemmenden Partie gegen die deutsche Nationalelf an jenem schwarzen Freitagabend, an dem in Paris 129 Menschen ihr Leben ließen, habe er gewusst: "Wir müssen zeigen, dass das Leben weitergeht, dass das Trikot etwas bedeutet, dass Frankreich weiterhin aufrecht ist." Seines Wissens nach gebe es auch keinen Spieler, der sich "unwohl fühlt bei dem Gedanken, dass dieses Spiel stattfindet".

Möglicherweise ist sich Noël le Graët da allerdings auch deshalb so sicher, weil er seine Spieler gar nicht gefragt hat.

Als der Nationaltrainer Didier Deschamps am Montagabend in London vor die Presse trat, erstmals seit den schwarzen Stunden im Stade de France, sagte er jedenfalls, dass er jetzt nichts mehr sagen werde zu der Frage, ob man nun spielen solle oder nicht. "Die Entscheidung wurde am Samstagmorgen getroffen." Vom frühen Samstagmorgen bis zum Abflug nach London am Montag verbargen sich Les Bleus hinter den Mauern ihres Trainingszentrums in Clairefontaine. Von den Ereignissen im Stadion haben sie ihren Familien und Freunden nur am Telefon erzählt.

Einer, der "nahe dran ist", sagte der Zeitung Le Parisien: "Das verstehen einige nicht. Die Welt ist besorgt wegen der Attentate, und man übersteht schwierige Phasen doch besser, wenn man mit seinen Liebsten zusammen ist." Warum können die Deutschen vor ihrem Test gegen Holland zwei Tage frei nehmen - und die Franzosen müssen "allein in Clairefontaine bleiben? Hätte man sie nicht wenigstens für 24 Stunden freilassen können?"

Dass sich das Team in der Lage sieht, zu spielen, hat es am Sonntag auf seiner Facebook-Seite mitgeteilt. Sogar Lassana Diarra ist ja in London dabei, obwohl seine Cousine unter den Opfern einer der Schießereien in der Innenstadt ist. Aber die Spieler stellen sich offenbar schon die Frage, wie man in diesen schwierigen Stunden miteinander umgeht, und da hat der Präsident Le Graët seine eigene Vorstellung: "Die Spieler sind hin und hergerissen, ob sie am Dienstag spielen sollen?", sagte er RTL-France: "Ich habe ihnen diese Frage nicht gestellt. Sie spielen!"

Aber das Ergebnis ist doch dann wenigstens zweitrangig? Nein, auch das nicht. "Einmal auf dem Rasen, sind die Spieler auch Wettkämpfer. Sie werden alles tun, um ein schönes Spektakel zu veranstalten." Didier Deschamps hat in London allerdings nicht den Eindruck gemacht, als gehe es ihm um Sieg oder Spektakel. "Wir sind hier, um unser Land zu repräsentieren", sagte er, "und unsere Farben, blau, weiß und rot. Vielleicht mit noch mehr stolz als sonst."

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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