Frankreich nach dem WM-Aus:Deutschland als Vorbild

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Didier Deschamps tröstet Karim Benzema nach der Niederlage gegen Deutschland. (Foto: REUTERS)

Didier Deschamps ist zu Hause ungefähr das, was Franz Beckenbauer in Deutschland lange war: einer, von dem man sagt, was er anfasst, werde zu Gold. Mit dem WM-Aus endet für Frankreichs Trainer eine Serie. Er ist dennoch stolz. Und hat bereits ein neues Ziel.

Von Claudio Catuogno, Rio de Janeiro

Didier Deschamps, 45, ist ein beneidenswerter Trainer, jedenfalls war er das vor dem Spiel. Anders als sein deutscher Widerpart Joachim Löw interessiert sich Deschamps ja durchaus für das, was über ihn gesagt und geschrieben wird, regelmäßig durchforstet er das Internet nach seinem Namen, über manchen Journalisten hat er ein Dossier angelegt.

Aber wenn Didier Deschamps nun also nach Didier Deschamps gegoogelt hatte in den letzten Wochen - dann stand da nur Nettes, nur Positives - und sogar viel Euphorisches. Keine französische Zeitung oder Nachrichtenagentur stellte zum Beispiel die Frage, ob Didier Deschamps "stur an seiner Linie festhalten" werde gegen die Deutschen oder ob er endlich "über seinen Schatten" springe.

Über Löw wurden zuletzt ständig solche Sachen geschrieben. Der glückliche Monsieur Deschamps hingegen hatte keine aufgeregten Debatten über Personal und System abzuwehren. Seine Wunschelf ist die Wunschelf der meisten Franzosen gewesen bei diesem Turnier. Rechtsverteidiger spielte darin übrigens ein gewisser Mathieu Debuchy, 28, von Newcastle United. Und im Dreier-Mittelfeld, das wieder von den Herren Yohan Cabaye, Blaise Matuidi und Paul Pogba gebildet wurde, gab es auch keinen, der das besser könnte, aber mürrisch wird, wenn er es spielen muss.

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Freistoß Kroos, Kopfball Hummels, der Rest ist diszipliniertes Verteidigen: Deutschland erreicht durch ein Tor nach einer Standardsituation das Halbfinale. Beim 1:0 gegen Frankreich schafft Bundestrainer Löw erfolgreich ein dichtes Zentrum - und zeigt, dass er sich von seinen taktischen Prinzipien lösen kann.

Doch nun betrat Didier Deschamps um kurz nach halb vier Uhr Ortszeit den Presseraum des Estádio do Maracana von Rio, er war jetzt nicht mehr ganz so beneidenswert. Seine Elf hatte verloren, und auch er hatte verloren: das erste WM-Spiel überhaupt in seiner Karriere. Zuvor hatte er als Spieler und Trainer zehn Partien bei Weltmeisterschaften ohne Niederlage bestritten, darunter das WM-Finale von 1998. Er war damals der Kapitän.

Jede Serie endet irgendwann. Wie es ihm jetzt geht? "Ein Gefühl der Frustration natürlich", sagt Deschamps. "Bei meinen Spielern, bei mir, wir sind alle sehr enttäuscht. Für uns ist jetzt Schluss, für die Deutschen geht das Turnier weiter." Für einen wie ihn, der laut seinem Umfeld eine "fast pathologische Beziehung zum Gewinnen entwickelt hat", ist so eine Niederlage besonders schwer zu verkraften.

Sie hatten durchaus an ihre Chance geglaubt, die Franzosen - gerade wegen dieses Trainers. Deschamps ist zu Hause ungefähr das, was Franz Beckenbauer in Deutschland lange war, ehe er sich erst in Geschäftsbeziehungen und dann in Widersprüchen verwickelte: einer, von dem man sagt, was er anfasst, werde zu Gold.

Aber nun haben sie noch nicht mal ein Tor geschossen gegen die Deutschen - obwohl das doch zu Beginn der WM ihre große Stärke zu sein schien: 3:0 gegen Honduras, 5:2 gegen die Schweiz. Dabei hatte Deschamps seine Elf auch im Sturm so aufgestellt, wie sich das im Laufe der vergangenen Spiele als möglichst effektiv herausgestellt hatte: mit dem Real-Madrid-Angreifer Karim Benzema in der Zentrale, dazu mit dem jungen Antoine Griezmann auf dem rechten Flügel.

"Antoine sollte Geschwindigkeit ins Spiel bringen", sagte Deschamps, "das hat auch gut funktioniert." Und auch Benzema "hatte ja seine Chancen - es lag kein allzu großer Niveauunterschied zwischen uns und den Deutschen. Es war knapp. Manuel Neuer hatte ein paar außergewöhnliche Paraden. Aber am Ende haben wir gegen einen Gegner verloren, der ein bisschen besser war".

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Das Spiel war verloren, den Kampf um die Deutungshoheit wird Deschamps aber ziemlich sicher gewinnen. In der Heimat - und in seinem Team sowieso. "Ich habe der Mannschaft in der Kabine gesagt, dass ich sehr stolz darauf bin, was wir hier in den letzten Wochen geleistet haben, die Spieler, das gesamte Team. Ich will jetzt versuchen, das Positive zu sehen, auch wenn das in diesem Moment noch schwerfällt", sagte Didier Deschamps.

Mit dem Einzug ins Viertelfinale hatten die Franzosen ihr selbstgestecktes Ziel ja bereits erreicht. Man darf schließlich nicht vergessen, dass die Entwicklung der Équipe tricolore zuletzt keinesfalls so kontinuierlich verlief wie jene der deutschen Elf, die nun seit 2002 immer mindestens im WM-Halbfinale stand. Bei den Franzosen musste Deschamps bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren erst mal eine Menge Scherben aufkehren; der Spielerstreik von Südafrika 2010 ist da nur das heftigste Beispiel ewiger Streits und Skandale.

Und nun, sagt der Trainer Didier Deschamps, könne diese deutsche Elf durchaus ein Vorbild sein mit ihrer kontinuierlichen Weiterentwicklung über eine lange Phase. In zwei Jahren findet die Europameisterschaft in Frankreich statt, der Vertrag von Didier Deschamps hat sich bereits automatisch bis dahin verlängert. Erst bei diesem Turnier will er seine junge, talentierte Elf so weit haben, dass sie einen Titel gewinnen kann. "Die Spieler müssen so ein Spiel jetzt als gute Erfahrung nehmen", sagt er. "Wir hatten zuletzt ja nicht so viele Spiele auf diesem Niveau."

© SZ vom 05.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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