Künstler haben sie ihn schon oft genannt. Auch schon Zauberer, Filou oder König der billigen Zahnpastastreiche. Dazu natürlich Scarface, wegen der Narben im Gesicht. Und früher, bei Galatasaray Istanbul, auch mal Ferraribery. Aber Chef? Darf man den Münchner Mittelfeldspieler Franck Ribéry wirklich einen Chef nennen?
An diesem Dienstagabend bestreitet Frankreich sein drittes Gruppenspiel gegen Schweden. Theoretisch ist zwar noch ein Aus möglich, aber dazu müsste die Equipe Tricolore mit mindestens zwei Toren Unterschied gegen die bereits ausgeschiedenen Schweden verlieren und zugleich England der Ukraine mit weniger Toren Unterschied unterliegen. An ein solches Szenario glaubt höchstens derjenige, der auch Philipp Lahm Zahnpastastreiche zutraut.
Daher ist es verständlich, dass der französische Fußball bereits auf den weiteren Turnierverlauf schielt - und die Frage, ob sie dieser Turnierverlauf auch noch weiter als bis zum vorher ausgegebenen Minimalziel Viertelfinale führen kann.
Trainer Laurent Blanc, seit den desaströsen Tagen bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika im Amt und verantwortlich für eine Serie von 23 Spielen ohne Niederlage, hat eine feine Auswahl mit einer Vielzahl interessanter Spieler zusammengestellt. Da ist etwa Jeremy Menez, 25, der Mann, der nie lächelt und der zuletzt beim 2:0-Sieg gegen die Ukraine nicht nur wegen seines Tores überzeugte. Oder Yohan Cabaye, 26, der Rhythmusgeber im zentralen Mittelfeld. Oder der Abräumer Yann M'Vila, 21, dessen Startelf-Debüt bei dieser EM wahrscheinlich noch kommt.
"Großer Bruder der jungen Generation"
Manche Vertreter jener Zeit, in der die Equipe Tricolore die WM 1998 und die EM 2000 gewann, vermissen allerdings eine zentrale Figur. "Wir haben keinen richtigen Leader", sagte dieser Tage Marcel Desailly, der bei den beiden Turniersiegen mit dem heutigen Nationaltrainer Blanc die Innenverteidigung bildete. "Karim Benzema ist als Stürmer zu weit weg vom Geschehen, Samir Nasri ist zu jung und Franck Ribéry ist von seiner Persönlichkeit her kein Chef."
Doch das sehen nicht mehr alle in Frankreich so kritisch. Le Parisien nennt den mittlerweile 29-jährigen Ribéry schon "den großen Bruder der jungen Generation". Ribéry sei reifer denn je, meinte am vergangenen Sonntag L'Equipe. Und nicht nur manche Fans und Journalisten betonen, es habe ein Wandel stattgefunden - sondern auch Ribéry selbst betont es. Schon vor dem Turnier hatte er in einem Interview gesagt, er wolle die Chefrolle übernehmen. Nach dem Spiel gegen die Ukraine, bei dem der Bayern-Profi zu Recht die Auszeichnung als "Spieler des Spiels" erhielt, sagte er: "Ich trage eine große Verantwortung."
In den beiden bisherigen Partien war zumindest erkennbar, dass Ribéry nicht nur versuchte, mit Tricks und spielerischer Finesse zu glänzen. Sondern dass er auch viel Laufarbeit leistete und sich in den Phasen, in denen es nicht so lief, um Struktur bemühte - auch wenn diese Bemühungen gegen England nicht so fruchteten. Franck Ribéry war noch kein richtiger Chef, aber so ein bisschen cheffig wirkte es schon.