Formel 1 in den USA:Räikkönen siegt, Vettel kämpft, Hamilton muss warten

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Iceman: Kimi Räikkönen (links, mit Sonnenbrille) feiert vor Noch-nicht-Weltmeister Lewis Hamilton (ohne Sonnenbrille). (Foto: AP)
  • Lewis Hamilton muss auf seinen fünften Formel-1-Titel warten. In Texas fährt er auf Platz drei, aber weil Sebastian Vettel Vierter wird, reicht der Vorsprung noch nicht aus.
  • Kimi Räikkönen gewinnt erstmals seit 2013 wieder ein Formel-1-Rennen. Max Verstappen fährt von Platz 18 auf Rang zwei.
  • Der WM-Titel wird damit frühestens am 28. Oktober beim Großen Preis von Mexiko vergeben.

Von Philipp Schneider, Austin

Wenige Tage vor dem Rennen, in dem sich Lewis Hamilton zum fünfmaligen Weltmeister aufschwingen wollte, war er zu Besuch in New York City. Dort stand er am Abend an der Straße, Ecke Broadway und Seventh Avenue. Mitten auf dem Times Square. Wie immer im Leben von Lewis Hamilton wusste man mal wieder, dass er dort rumstand, weil er von dem Moment ein Video drehte, das er anschließend in den Sozialen Netzwerken mit der Menschheit teilte. In dem Video sieht man einen grinsenden Hamilton, der plötzlich in seine Handykamera ruft: "Mama, ich habe es geschafft!". Dann schwenkt er das Handy, und auf der berühmtesten Videowand der Welt sieht der Zuschauer: Lewis Hamilton. Kleiner Hamilton filmt überlebensgroßen Hamilton. Wächst so ins Riesenhafte. Es war dasselbe Prinzip wie der Spruch, den er sich vor Jahren unter die Schulterblätter hatte tätowieren lassen: "Still I rise". Er wachse noch immer.

Natürlich war die ganze Szene auf dem Times Square inszeniert. Wie so vieles im Leben der öffentlichen Person Lewis Hamilton. Er war in New York geladen zu einer Tagung von Nasdaq-Unternehmen, und diese hatten den riesigen Hamilton auf der Videowand möglich gemacht. Der Gruß an die Mama auf dem Times Square sollte der passende Prolog werden zur Weltmeisterwerdung in Austin.

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Diese aber hat vier Tage später der nicht inszenierte Hamilton, also der wahrhaftige Rennfahrer, knapp verpasst. Um Haaresbreite. Auf dem Circuit of the Americas wurde Hamilton nur Dritter. Und weil direkt hinter ihm Vettel über die Ziellinie rollte, wird Hamilton nun frühestens beim nächsten Rennen in Mexiko Weltmeister, wenn er dort Siebter wird. Dabei hatte es lange Zeit so ausgesehen, als hätte ihm sein Rivale Vettel den Pokal freundlich in den Schoß gelegt.

Wegen einer misslungenen Reifenstrategie und einer frühen Pause Hamiltons an der Versorgungsstation fuhr Vettels Teamkollege Kimi Räikkönen zum ersten Mal seit 2013 als Sieger ins Ziel, gleich danach kam Max Verstappen im Red Bull. "Grande Kimi! Grande Kimi", riefen die Verantwortlichen in der Box der Scuderia. Die Verwirrung war riesig. Denn Räikkönen fragte im Vorbereitungsraum für die Siegerehrung allen Ernstes nach bei Hamilton: "Und bist du jetzt Weltmeister?" Das war ein herrlicher Scherz, denn in der Schlussphase dieses Rennens waren tatsächlich Kenntnisse in höherer Mathematik gefragt, um durchzublicken, ob Hamilton Weltmeister werden würde.

Oder halt doch nicht. Um die Entscheidung ein weiteres Mal zu vertagen, musste Vettel verhindern, dass Hamilton acht Punkte mehr einfährt. Das war umso schwieriger, als Vettel in Austin von Rang fünf starten musste, also aus der dritten Reihe, nachdem er um drei Plätze strafversetzt worden war, weil er am Freitag im Training auf nasser Strecke sein Tempo nicht genug gedrosselt hatte, als die Stewards rote Flaggen schwenkten.

Vettels Teamkollege Räikkönen, als einziger Fahrer der Spitzengruppe auf der weichsten und schnellsten Reifenmischung, zog von Position zwei gestartet gleich in der ersten Kurve vorbei an Hamilton, der von der Pole Position ins Rennen ging. Hamilton war schlau genug, Räikkönen Platz zu lassen und bloß keinen Unfall zu riskieren in einem Duell, in dem die Weltmeisterschaft ohnehin nicht entschieden würde. Dieser Teil der Strategie von Ferrari ging auf. Der zweite Teil sah vor, dass Vettel schnell Plätze gut machen würde. Also bloß keinen Unfall riskieren.

Noch in der ersten Runde setzte Vettel an zu einem Überholmanöver, am Ende der langen Gerade schob er sich vorbei an Daniel Ricciardo im Red Bull. Ricciardo konterte, fuhr völlig legitim auf Kampflinie. Im engen Kurvengeschlängel berührten sich die Reifen von Vettels Ferrari und Ricciardos Red Bull.

Verstappen verstellt den Weg

Und Vettel drehte sich. Mal wieder. Wie schon in Suzuka, nach einem Kontakt mit Max Verstappen. Wie schon in Monza, nach einem Kontakt mit Hamilton. Vettel fing seinen Ferrari wieder ab, fuhr noch einmal weiter, aber er war jetzt zurückgefallen auf Rang 15.

"Das war unnötig aufregend. Es ist ein bisschen bitter, wir hätten auf jeden Fall das Rennen gewinnen können", klagte Vettel. Mit wir meinte er: ich.

Vettel startete eine Aufholjagd, schon nach fünf Runden lag er auf Platz zehn. Und nachdem Ricciardo seinen Red Bull wegen Batterie-Problemen am Straßenrand parken musste, war Vettel Siebter.

Nach der elften Runde kam Hamilton zum ersten Boxenstopp, fiel vorübergehend hinter seinen Teamkollegen Valtteri Bottas zurück, der ihn selbstredend schnell wieder passieren ließ. An der Spitze machte Hamilton Jagd auf Räikkönen, er setzte an zum Überholmanöver, doch ehe es dazu kam, fuhr Vettels Teamkollege brav an die Box. Vettel lag nun vor Räikkönen auf Platz drei - und nachdem sich auch noch Bottas frische Reifen aufgezogen hatte, befand sich Vettel plötzlich 17 Sekunden hinter Hamilton auf Rang zwei.

Vettel, der als einziger Fahrer in der Spitzengruppe noch auf den alten Reifen rollte, ließ nun seinerseits Räikkönen passieren. Der Finne sollte das Tempo hochhalten, um sich, das war der Plan, nach einem absehbaren weiteren Stopp von Hamilton wieder in Führung zu bringen. Nach 27 von 56 Runden hielt auch Vettel an der Versorgungsstation, danach war er Fünfter. An Hamiltons Reifen bildeten sich nun Blasen, er rollte quasi auf der letzten Rille. Räikkönen schloss immer weiter auf, pro Runde rollte er 1,6 Sekunden schneller als Hamilton. Dessen Vorsprung, der mal mehr als 40 Sekunden betragen hatte, schrumpfte 20 Runden vor Schluss auf 9 Sekunden.

Gerade so rettete sich Hamilton an die Box, ließ sich frische Reifen aufziehen, und als er wieder auf die Strecke bog, lag er auf Position drei, nur 3,4 Sekunden vor Vettel.

Selbstredend ließ ihn der geradezu berüchtigt selbstlose Bottas passieren, für Hamilton bedeutete dies: Um sich schon in Austin zum Weltmeister zu krönen, musste er noch an Verstappen vorbei, was angesichts der riskanten Fahrweise des Holländers immer ein kleines bis mittelgroßes Risiko bedeutet. Und zugleich musste Bottas verhindern, dass er noch von Vettel überholt würde. Hamilton legte auf den frischen Pneus eine schnellste Rennrunde nach der nächsten vor. Sechs Runden vor Schluss trennten ihn 1,6 Sekunden von Verstappen. 1,6 Sekunden trennten ihn von der Weltmeisterschaft. Hamilton griff an, Verstappen konterte, Hamilton probierte es erneut, Verstappen verstellte den Weg. Und dann schnappte sich Vettel in der letzten Runde auch noch Bottas. Weltmeister wird Hamilton jetzt frühestens am Sonntag. In Mexiko Stadt.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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