Formel 1:Hamilton wandelt auf dem Weg des Paten

F1 Grand Prix of USA - Previews

Lewis Hamilton steht in Austin vor seinem fünften WM-Titel.

(Foto: AFP)
  • Lewis Hamilton kann zum fünften Mal Weltmeister werden. Ihm würde es am Sonntag bereits genügen, zu gewinnen und mindestens einen Fahrer zwischen sich und Sebastian Vettel zu lassen.
  • Der Brite könnte in den Geschichtsbüchern des Motorsports in die zweithöchste Zeile rücken, was Titel angeht. Darüber stünde dann nur noch ein Name: Michael Schumacher.
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Von Philipp Schneider, Austin

Der Mann, den manche für einen der größten Rennfahrer der Geschichte halten, vor allem er selbst, sitzt schon am Tisch, als der Mann den Raum betritt, der sich möglicherweise eines nicht mehr allzu fernen Tages als größter Rennfahrer der Geschichte bezeichnen darf. Die zwei Rennfahrer verbindet eine gemeinsame Geschichte. Vor elf Jahren waren sie Teamkollegen bei McLaren. Sie fuhren gegeneinander um die Weltmeisterschaft. Mit so viel Härte und Hass, dass am Ende keiner von ihnen Weltmeister wurde. Sondern Kimi Räikkönen im Ferrari.

Ganz in Schwarz ist der Neuankömmling gekleidet. Schwarze Hose. Schwarzes Shirt. Schwarze Jacke. Schwarzes Stirnband. Dazu auf dem Kopf eine schwarze Kappe. Der Neuankömmling trägt ein Outfit, in dem er sich guten Gewissens unter die Trauernden einer Beerdigung mischen könnte. Wären da nicht die Schuhe in textmarkerorange. Kaum lässt es sich erkennen, dass er nach Austin, Texas gereist ist, um die Party seines Lebens zu feiern. Am Sonntag, irgendwann gegen 15 Uhr texanischer Zeit, könnte der Name des Mannes in Schwarz in den Geschichtsbüchern des Motorsports in die zweithöchste Zeile rücken. Und darüber stünde dann nur noch ein Name: Michael Schumacher.

Der Neuankömmling zieht sich das Stirnband vom Kopf, dann setzt er sich neben den anderen großen Rennfahrer. Die beiden nicken sich zu. Distanziert, aber mit Respekt. Sie wissen: Sie sitzen heute vielleicht zum letzten Mal nebeneinander auf einer öffentlichen Bühne. Ihre gemeinsame Reise in der Formel 1 endet am Ende der Saison. Und wenn diese Reise ein Wettbewerb war, dann hat ihn Lewis Hamilton gegen Fernando Alonso gewonnen. Hamilton, sehr wahrscheinlich bald fünfmaliger Weltmeister, wird weiterfahren. Alonso wird aus der Rennserie fliehen und wohl ein zweimaliger Weltmeister bleiben.

Frage aus der Journalistenrunde: Fernando, wer sind die größten fünf Rennfahrer aller Zeiten? Alonso überlegt. Es gibt Fragen, die schmerzen mehr als eine klaffende Wunde. Darf man sich nach so einem Einwurf selbst nennen? Als zweimaliger Weltmeister? Hm, sagt Alonso. Er zieht seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. Als müsse er ganz besonders hart nachdenken. "Wahrscheinlich Michael, Fangio, Senna, Prost, Lewis." Ja, sagt Alonso, das seien wohl die besten Fünf. Kein Alonso. Kein Sebastian Vettel. Stattdessen Schumacher, Fangio, Senna, Prost. Und Hamilton.

"Wenn es einem aus unserer Generation gelingt, fünf Titel zu gewinnen, dann bin ich froh, dass es Lewis ist", sagt Alonso. "Er hat das Talent und die Leidenschaft. Und selbst als er in einem Auto saß, das nicht gut genug war, um Weltmeister zu werden, so hat er trotzdem Talent gezeigt."

Da klang mit: wie er, Fernando Alonso. In der Formel 1 geht es nicht nur um Talent, um Geschwindigkeit, um ein Gefühl für die richtige Linie. Wer Erfolg haben möchte, der muss vor allem weniger falsche Entscheidungen treffen als die anderen Fahrer. Und er muss für ein Team fahren, dem weniger Fehler unterlaufen als den anderen. Das ist die Lehre aus der gemeinsamen Geschichte von Alonso und Hamilton. Es ist aber auch die Lehre aus der gemeinsamen Geschichte von Hamilton und Sebastian Vettel.

Hamilton muss eigentlich nur noch gemächlich ausrollen lassen

Alonso verkrachte sich nach dem Gewinn seiner zwei Weltmeisterschaften erst mit McLaren, dann mit Renault, dann mit Ferrari. Hamilton hingegen hatte nach seinem ersten Titel 2008 mit McLaren fünf schwierige Jahre durchzustehen. Dann aber wechselte er in genau dem richtigen Moment in ein Team, von dem damals niemand ahnen konnte, dass es die nächsten Jahre so derart dominieren würde - Mercedes. Nur ein einziges Mal, 2016, musste er den Titel seinem damaligen Teamkollegen Nico Rosberg überlassen, er gewann die Weltmeisterschaften 2014, 2015, 2017.

Nun, 2018, muss er eigentlich nur noch gemächlich ausrollen, vier Rennen vor dem Ende einer Saison, in der er sich lange Zeit ein packendes Duell mit dem viermaligen Weltmeister Vettel geliefert hatte. Bei 67 Punkten Vorsprung auf den Ferrari-Piloten würde es ihm am Sonntag bereits genügen, das Rennen in Austin zu gewinnen und mindestens einen Fahrer zwischen sich und Vettel zu lassen - seine Chancen erhöhen sich dadurch, dass Vettel drei Startplätze zurück versetzt wird, da er im Training bei einer Rotphase zu schnell fuhr. Dann wäre Hamilton im Alter von 33 Jahren fünfmaliger Weltmeister. Genau wie Juan Manuel Fangio. Eine "verrückte" Vorstellung sei das, in der Anzahl der Weltmeisterschaften mit dem Argentinier gleichzuziehen, sagt Hamilton. "Fangio war immer ... Er ist immer wie ein Pate für uns Rennfahrer gewesen." Noch ein paar Runden nur, dann ist Hamilton selber ein Pate.

Wenn es soweit ist, und niemand bezweifelt mehr, dass es sehr bald so sein wird, dann fehlen Hamilton nur noch zwei Titel bis zu Schumachers Bestmarke. Für zwei weitere Jahre hat sich Hamilton noch an Mercedes gebunden. Sieht so also Hamiltons Plan aus? Gleichzuziehen mit dem Unvergleichlichen?

Ross Brawn, der inzwischen für den Formel-1-Eigner Liberty Media arbeitet, der aber gemeinsam mit Jean Todt und Michael Schumacher jenes legendäre Triumvirat bildete, das bei Ferrari fünf Meisterschaften in Serie gewann, hält es nicht mehr für ausgeschlossen, dass sich Hamilton noch in die oberste Zeile der Geschichtsbücher der Formel 1 arbeiten könnte. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das eines Tages sagen würde, aber Lewis ist derjenige, der Michaels Rekorde brechen kann. Er hat alles unter Kontrolle."

Vergleiche von Rennfahrern unterschiedlicher Jahrzehnte sind immer unfair. Der Vergleich der Anzahl ihrer Rennsiege verbietet sich allein schon, weil die Zahl der Rennen seit Jahren steigt. Aber es ist auch so: Aktuell hat Hamilton 71 Grand Prix gewonnen, 20 fehlen ihm noch zu Schumachers Bestmarke. Bis Ende 2020 wird er garantiert noch 46 Mal an den Start gehen. Und Vettel?

Vettel erkennt das unfreiwillig komische Bild

Vettel steht vor dem Rennen, das seine zweite knappe Niederlage nacheinander im Kampf um eine Weltmeisterschaft mit Hamilton besiegeln könnte, mit dem Rücken an einer Wand des Fahrerlagers in Austin. Fernsehkameras und Mikrofone stehen dicht vor ihm, bilden einen Halbkreis, der Vettels Fernsicht auf weniger als einen halben Meter begrenzt. Die Verantwortlichen von Ferrari hatten, warum auch immer, keine Lust, die Pressekonferenz in einem der Zelte zu veranstalten. Und so kommt es, dass aus den dicken, grauen Wolken über Texas Nieselregen auf Vettel herniedergeht.

Was für ein Bild.

Ja gut, spricht Vettel also in den feuchten Vorhang aus Nieselregen. Mit Sicherheit seien die vergangenen Wochen nicht gut für Ferrari gewesen, die Ergebnisse, die Punkteausbeute. "Wir lassen uns davon nicht unterkriegen." Und gerade, als Vettel unterkriegen gesagt hat, fällt ein dicker Tropfen Wasser, der sich oberhalb an einem Wandvorsprung verdichtet haben musste, auf seine Stirn. Vettel schaut überrascht. Dann dämmert ihm, dass er gerade ein sehr komisches Bild abgegeben haben musste, weswegen er beschließt, die Situation mit einer lautmalerischen Illustration des Offensichtlichen zu retten. "Platsch", sagt Vettel. Dann lacht er.

Ferrari macht zu viele Fehler

Ähnlich überraschend wie der Tropfen in Austin war nach der Sommerpause die Wende im Titelkampf über Vettel hereingebrochen. In nur fünf Wochen hatten Mercedes und Hamilton die Rennen von Monza, Singapur, Sotschi und Suzuka gewonnen. Nachdem der Ferrari in Spa, dem Rennen vor dieser irren Serie, technisch noch derart überlegen gewesen war, dass Vettel Hamilton bei der steilen Bergfahrt hoch aufs Eau Rouge links liegengelassen hatte, als säße der im silbernen Safety Car. Doch in "den letzten Wochen" sei bei der Scuderia "ein bisschen der Speed verloren gegangen", findet Vettel. Zudem leistete sich Vettel gleich eine Reihe an Fahrfehlern, von denen der Ausrutscher in der regennassen Sachskurve am Hockenheimring sicher der ärgerlichste war. Ferraris Renningenieur Riccardo Adami und Chefstratege Inaki Rueda verloren in Monza, Singapur und Suzuka den Überblick. Und dann zeigten sich bei der Scuderia auch noch tiefe Risse auf höchster Hierarchieebene: Teamchef Maurizio Arrivabene und Technikchef Mattia Binotto lieferten sich einen Machtkampf.

Binotto war es, der nach dem Tod des allmächtigen Konzernchefs Sergio Marchionne im Juli sagte, der jetzige Ferrari sei stärker als der Silberpfeil. Und dass es nun nicht mehr genüge, um den Titel nur mitzufahren. Das mochte sein. Aber wer Erfolg haben möchte in der Formel 1, der muss weniger falsche Entscheidungen treffen als alle anderen. Vor allem muss er, und das ist so gut wie unmöglich, in dieser Hinsicht besser sein als Lewis Hamilton.

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