Formel 1 in Singapur:Freie Fahrt für alle - hinter Red Bull

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Eng, verwinkelt und kaum zum Überholen geeignet: der Marina Bay Street Circuit vor der Skyline von Singapur. (Foto: Then Chih Wey/Xinhua/dpa)

Auf dem engen Stadtkurs von Singapur wird aus Spaß schnell Crash. Weil Max Verstappen den Formel-1-Titel bereits so gut wie sicher hat, fahren die meisten Teams ihr eigenes Rennen. Und die Piloten geben umso lustvoller Gas.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Die Geschichte ist zwar 15 Jahre her, sie ist trotzdem immer noch peinlich für die Formel 1, und sie soll nach Willen des Brasilianers Felipe Massa jetzt ein gerichtliches Nachspiel bekommen. 2008 war Massas Landsmann Nelson Piquet junior beim allerersten Nachtrennen absichtlich in die Balustraden gekracht, um seinen Teamkollegen Fernando Alonso zum Sieger beim Großen Preis von Singapur zu küren. Massa sah sich dadurch um WM-Punkte und am Ende der Saison um den Titel geprellt.

Die Posse, in der es auch um den ehemaligen Formel-1-Boss Bernie Ecclestone geht, soll neu verhandelt werden. Wie gut, dass Singapurs Bauwirtschaft zumindest optisch die Makellosigkeit wiederhergestellt hat: Die Mauer von damals ist weg, wenn an diesem Wochenende wieder durch die Tropennacht gerast wird. Was keineswegs bedeutet, dass es nicht anderswo krachen wird, nicht mit Betrugsabsicht, sondern eher aus Übereifer.

Absichtlich rückwärts in die Mauer: Nelson Piquet junior beim ersten Flutlichtrennen der Formel 1 im Jahr 2008 in Singapur. (Foto: Zuma Press/Imago)

Vier Kurven und ein kleiner Tunnel sind dem Marina Bay Street Circuit verloren gegangen, da an dieser Stelle eine schwimmende Bühne und das dazugehörige Amphitheater umgebaut werden. Statt dem verwinkelten Ort der Schande eröffnet sich dort nun eine kaum 400 Meter lange Gerade, auf der die Rennwagen einem Knick entgegenrasen. Dort könnte sich eine neue Überholmöglichkeit auftun - es wäre lediglich die dritte auf dem Flutlicht-Kurs. Allerdings wären damit auch neue Risiken verbunden. Nicht nur, weil die eng gezirkelte Innenstadtrunde eine hundertprozentige Safety-Car-Wahrscheinlichkeit hat. Die Formel 1 entwickelt sich wieder zu einem Kontaktsport.

Mit einem weiteren Doppelerfolg könnte Red Bull seinen Konstrukteurstitel so früh wie noch kein anderes Team erfolgreich verteidigen

Bei der Probe aufs Exempel haben die fürsorglichen Gastgeber sicherheitshalber ein weiteres "Vorsicht, Gefahr"-Warnschild aufgestellt, obwohl sich Weltmeister Max Verstappen und Teamkollege Sergio Perez nur zu Promotion-Zwecken mit Kehrmaschinen duellieren. Doch aus Spaß kann rasend schnell Crash werden in dieser Rennsaison. Nachdem praktisch klar ist, wer die Champions sein werden, heißt es für alle anderen: freie Fahrt.

Zuletzt in Monza, auch einer an sich wenig überholfreundlichen Piste, haben die Piloten hinter dem einsamen Spitzenreiter Max Verstappen munter die Auseinandersetzung gesucht. Egal, ob es um Platz drei ging zwischen den beiden Ferrari-Piloten Carlos Sainz jr. und Charles Leclerc oder im Talent-Duell von Lando Norris und Oscar Piastri bei McLaren, es ging ans Eingemachte. Autos, die sich im direkten Zweikampf berühren, Rad-an-Rad-Duelle bis zu den Hinterbänklern. Garantiert wollen da einige den Frust besiegen, dass Max Verstappen schon wieder enteilt ist. Für das Publikum kann das nur gut sein, dass der Motorsport zu seinem Ur-Prinzip zurückkehrt.

"Ich hoffe, dass der neue Streckenabschnitt das Rennen besser macht", sagt Verstappen ungerührt. 14 Mal in Serie hat ein Red-Bull-Pilot in dieser Saison gewonnen, in Singapur scheint der Fortgang der perfekten Saison am ehesten gefährdet. Denn ob der Stop-und-Go-Charakteristik ist es die Strecke, die dem aktuell besten Rennwagen am schlechtesten liegt - und für den Niederländer handelt sich um einen der wenigen Orte, an denen er noch nie gewinnen konnte: "Stadtkurse sind für unser Auto härter. Ich erwarte, dass es für uns enger wird."

Das scheint im sonst so regulierten Stadtstaat Programm zu sein. Die Veranstalter des Äquator-Rennens werben nicht ohne Grund mit dem Spruch "Nichts kommt dem näher". Man erinnere sich nur an den Start von 2017, als in einer Ketten-Reaktion vier Champions auf einen Streich von der Piste gekegelt wurden - Verstappen, Alonso, Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen. Was für ein Spektakel, zusätzlich noch verzerrt durch die tropische Nacht. Ähnlich explosive Geschehnisse können sich auch diesmal wieder entwickeln. Das in dieser Saison enger denn je zusammen liegende Feld ist immer für Überraschungen gut. Zu verlieren hat ja keiner was.

Deshalb heißt es: volle Attacke, ob Champion oder Rookie. Verstappen und Perez werden zumindest die kontrollierte Offensive probieren. Mit dem siebten Doppelerfolg der beiden könnte Red Bull Racing seinen Konstrukteurstitel bereits sieben Rennen vor Saisonende erfolgreich verteidigen, so früh wie noch kein anderes Team. "Ein bisschen mehr Risiken, ein bisschen mehr Chaos als sonst wo", sagt Verstappen über seine Angststrecke. Die Kulisse steht: Direkt hinter der Boxengasse dreht sich ein enormes Riesenrad - was wäre dazu passender als eine Runde Autoscooter?

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