Formel 1 in Österreich:"Ich glaube nicht, dass wir das im Sport brauchen"

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"Ich hatte großes Glück, eine dieser Phasen zu haben - und Max hat jetzt eine": Lewis Hamilton weiß, dass er einst von denselben Prinzipien der Formel 1 profitierte wie nun Verstappen. (Foto: Jakub Porzycki/Imago)

Während der Seriensieger Max Verstappen die Konkurrenz auch beim Sprint in Spielberg in Grund und Boden fährt, macht Lewis Hamilton einen Vorschlag, wie es die Formel 1 in Zukunft verhindern könnte, dass ein Team nach Belieben dominiert.

Von Philipp Schneider, Spielberg

Max Verstappen und Sergio Pérez waren soeben erst aus ihren noch dampfenden Rennwagen geklettert, als sie eine Diskussion starteten, die ein bisschen so aussah, als würden sie sich eine Weltmeisterschaft in Pantomime liefern. Oder zumindest eine kleine Runde "Activity" am Wohnzimmertisch spielen. Die beiden Red-Bull-Piloten fuhren sich immer wieder aufgeregt durch die Haare, und zwischendurch stellten sie mit Armen und Händen ihr hektisches Rad-an-Rad-Duell durch die ersten Kurven dieses Sprints in Spielberg nach.

Ein Comic-Zeichner hätte den beiden kleine Wölkchen über die Köpfe gezeichnet, die dann so ähnlich ausgesehen hätten wie die größeren Exemplare, die sich den ganzen Tag lang schon in den Tälern der Steiermark abgeregnet hatten. Zweifelsfrei gab es ein bisschen was zu diskutieren.

Redebedarf: Nach dem Sprint in Spielberg treffen sich Max Verstappen und Sergio Pérez zu einem leidenschaftlichen Austausch (Foto: Peter Fox/Getty Images)

Auf nasser Strecke und Mischreifen hatte Pérez den schlecht startenden Pole-Setter Verstappen vor Kurve eins zunächst überholt. Auf dem Weg den Berg hinauf zu Kurve drei drückte Pérez dann seinen Teamkollegen ein bisschen ins Gras, woraufhin Verstappen erbost in den Funk schrie: "Er hat mich abgedrängt! Was zum Teufel?!" Bis in Kurve fünf beharkten sie sich weiter, ehe Verstappen vorbei war und die Führung auch bis ins Ziel rettete. "Max war wohl etwas sauer, dass ich in Kurve zwei reingegangen bin, aber ich habe ihn nicht gesehen", erklärte Pérez.

Und Verstappen war noch immer ganz aufgebracht. "Das war nicht sehr nett. Wie er das gemacht hat, ist nicht okay", klagte der Sieger nach diesem Kurz-Rennen über 24 Runden und 100 Kilometer. Einem Rennformat, das die Formel 1 vor zwei Jahren eingeführt hatte, und das an ausgewählten Wochenenden dazu beitragen soll, dass sich die Spannung in der Rennserie erhöht.

Verstappen baut WM-Vorsprung weiter aus - Hülkenberg überrascht

Blöderweise fraß diese an sich gute Idee in Spielberg mal wieder ihren Schöpfer. Weil nämlich das ohnehin himmelhoch überlegene Team Red Bull sich auch noch die zusätzlichen acht (Verstappen), beziehungsweise sieben (Pérez) Sonderpunkte schnappte, dürften die insgesamt sechs Sprints dazu führen, dass der Niederländer seinen dritten WM-Titel noch früher feiern darf als ohnehin schon: 70 Zähler Vorsprung hat Verstappen nun in der WM-Wertung bereits auf Pérez. Rang drei belegte Carlos Sainz im Ferrari.

Einen starken sechsten Platz erkämpfte sich Nico Hülkenberg im Haas, der von Platz vier ins Rennen gestartet war und das Duell der beiden Red-Bull-Piloten zu Beginn sogar nutzen konnte, um sich vorübergehend auf Platz zwei vorzukämpfen. "Die nasse Strecke ist uns absolut entgegengekommen. Die abtrocknende Strecke hat dann aber ganz schön Reifen gefressen, bei uns mehr als bei anderen", sagte Hülkenberg. "Als es richtig nass war, war es okay."

Versuchte auf nasser Fahrbahn die Fehde zwischen den Red-Bull-Piloten für sich zu nutzen: Nico Hülkenber (vorne) im Haas. (Foto: Joe Klamar/AFP)

Da das Fahrerfeld am Sonntag nicht in derselben Startreihenfolge in den eigentlichen Grand Prix rollen wird, werden sich Verstappen (Startplatz eins) und Pérez (15) nicht sofort dazu ermuntert fühlen können, ihre Fehde des Vortags fortzusetzen. Aber da abermals eine Chance auf feuchte Witterung besteht, könnte sich ja vielleicht doch noch so etwas ähnliches wie Spannung entwickeln...

Mateschitz und Swarovski: Boulevard-Zerstreuung am Rande des Rennwochenendes

Andererseits, den rund 100 000 Besucher an der Rennstrecke zwischen Freitag und Sonntag dürfte es ziemlich egal sein, wie hart Verstappen für seine Überlegenheit rackern muss. In den orangenen Zeltburgen rund um die Rennstrecke versammeln sich ja traditionell ohnehin fast ausschließlich Niederländer. Und für die übrigen Einheimischen in Spielberg gab es zum Glück eine Geschichte zur Zerstreuung an diesem Wochenende: Im Vorfeld des ersten Rennens ohne den im Vorjahr verstorbenen Red-Bull-Firmengründer Dietrich Mateschitz (dem übrigens nirgends offiziell gedacht wurde, was ihm garantiert gefallen hätte), gab es das "Tuschelthema Nummer eins", wie es das Boulevard-Portal oe24.at auf den Punkt brachte - und titelte: "Erwischt! Was diese geheimen Fotos über die Swarovski-Mateschitz-Liebe verraten!"

Denn siehe da: Da hatten sich doch unter der Woche tatsächlich die Moderatorin und Unternehmerin Victoria Swarovski, 29, und der Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz, 30, zusammen auf einer Gala im Palais Ferstel gezeigt. Dort wurde Anita Gerhardter, die Mutter von Mark, in die "Austrian Hall of Fame" aufgenommen. Tolle Sache.

Vettel, Hamilton, Verstappen: Die erdrückende Überlegenheit einzelner Teams hat Tradition

Lewis Hamilton, der von dem Liebesglück der österreichischen Milliardäre möglicherweise gar nichts mitbekam, machte sich derweil Gedanken darüber, was seiner Meinung nach unternommen werden sollte, damit die Formel 1 nicht fortwährend von einer Phase der erdrückenden Überlegenheit eines Teams in die des nächsten stolpert.

Seit Ende der 80er Jahre sind lange Siegesserien zur Gewohnheit geworden. Schon McLaren, Williams, Ferrari fuhren die Konkurrenten in Grund und Boden. Von 2010 bis 2013 wurde ausschließlich Sebastian Vettel Weltmeister im Red Bull, und von 2014 bis 2020 Lewis Hamilton (gut, einmal Nico Rosberg). Hatte Verstappen 2021 noch etwas Glück bei seinem Titelgewinn, so rasen seit 2022 alle Konkurrenten chancenlos hinter ihm her.

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"In den 17 Jahren, in denen ich hier bin, sogar bevor ich hier ankam, gab es Phasen der Dominanz, und das passiert auch weiterhin", klagte Hamilton in Spielberg. "Ich hatte großes Glück, eine dieser Phasen zu haben, und Max (Verstappen, d. Red.) hat jetzt eine. So wie es läuft, wird es immer wieder passieren, und ich glaube nicht, dass wir das im Sport brauchen."

Und dann stellte Hamilton seine interessante Theorie der sich verstetigenden Dominanz vor, die in den Entwicklungszyklen der Teams begründet sei. Mannschaften mit überlegenen Autos, argumentierte er, könnten früher als ihre Konkurrenten mit der Arbeit an ihrem nächsten Design beginnen, da sie in der laufenden Saison weniger Ressourcen aufwenden müssten. "Wenn man so weit vorne liegt, 100 Punkte Vorsprung", er dachte da an das Team Red Bull der Gegenwart, "muss man an seinem Auto nicht wirklich viel weiterentwickeln, sodass man früher mit dem nächsten Auto beginnen kann." Und schlimmer noch: In Kombination mit der jüngst eingeführten Budgetobergrenze vergrößert sich die Dominanz sogar noch: "Weil man das Geld dieses Jahres für das nächste ausgeben kann."

Hamiltons schlägt definierte Zeiträume für Konstruktion vor - Verstappens Antwort: "Das Leben ist unfair"

Hamilton fordert deshalb, dass es künftig klar definierte Zeiträume geben sollte, in denen Teams ihre Autos für die kommende Saison entwickeln dürfen. "Man müsste ein Datum festlegen, vor dem es nicht erlaubt ist, am nächstjährigen Auto zu arbeiten. Sagen wir der 1. August. Daran müssen sich alle halten."

Dass diese Theorie schlüssig ist und auch durch die Historie der Rennserie gedeckt wird, dürfte unstrittig sein. Verstappen jedoch, der in dieser Saison bisher sechs der acht Rennen gewonnen hat, sein Team Red Bull sogar alle, er ließ Hamiltons Reformvorschlag an sich abgleiten wie einen feuchten Fisch. "Das Leben ist unfair. Das gilt nicht nur in der Formel 1. Wir müssen einfach damit klarkommen", sagte er und fügte die spitze Frage an: "Darüber haben wir nicht gesprochen, als Lewis seine Meisterschaften gewann, oder?"

Hat man nicht. Weil es niemand vorgeschlagen hat. Vermutlich lässt sich der Teufelskreis der sich selbst befeuernden Überlegenheit erst dann durchbrechen, wenn ein Seriensieger der Gegenwart einer Reform zu seinem kurzfristigen Schaden zustimmt. Im Sinne des Sports. Diese Größe könnte jetzt nur Verstappen beweisen.

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