Formel 1: Sebastian Vettel:Eilige Familie

Lesezeit: 3 min

Ob Sebastian Vettel nun Mark Webber helfen muss, betrifft nicht nur den Formel-1-Titelkampf - die Frage entscheidet auch über seine Zukunft. Glaubt er noch an sein Team Red Bull?

René Hofmann

Die Reise von Yeongam nach England ist lange. Erst einige Stunden Transfer zum Flughafen, dann 15 Stunden Langstrecken-Flug. Das bietet ausgiebig Gelegenheit für die eine oder andere Hochrechnung, weswegen davon auszugehen ist, dass Red-Bull- Teamchef Christian Horner seine Hausaufgaben erledigt haben wird, wenn er zum nächsten Mal in der Zentrale des Rennstalls in Milton Keynes eintrifft.

Nach seinem Ausfall in Yeongam zeigte sich Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel überraschend gefasst. (Foto: dpa)

Nach dem Sieg von Ferrari-Fahrer Fernando Alonso und dem Ausfall seiner beiden Piloten beim Großen Preis von Südkorea war der 36-Jährige gefragt worden, ob das Ergebnis nicht nahe lege, bei den Rennen am 7. November in São Paulo und am 14. November in Abu Dhabi Mark Webber den Vorzug vor Sebastian Vettel zu geben. Horners Antwort: "Ich hatte noch nicht Zeit, mir die ganze Mathematik anzuschauen und alle Szenarien durchzuspielen, aber das ist etwas, was wir uns bis zum Rennen in Brasilien sehr genau anschauen werden."

25 Punkte Rückstand

Höhere Mathematik erfordert die Aufgabe nicht. Die Grundrechenarten Addieren und Subtrahieren reichen, um zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen: Für einen Sieg gibt es 25 Punkte, der Zweite eines Rennens erhält 18, der Dritte 15 Zähler. Von Platz vier aus, der zwölf Punkte bringt, geht es in Zweier-Schritten bis zu Rang neun hinunter. Wer Zehnter wird bei einem Großen Preis, bekommt noch einen Punkt.

Alonso liegt nach seinem fünften Triumph in diesem Jahr elf Punkte vor Webber, 21 vor McLaren-Fahrer Lewis Hamilton, 25 vor Sebastian Vettel und 42 vor dem zweiten McLaren-Mann Jenson Button, der trotz des großen Abstandes angekündigt hat: Er werde seinem Teamkollegen keinesfalls selbstlos assistieren. "Man gewinnt keine Titel, wenn man sich zurücklehnt und sagt: ,Ich kann es nicht mehr schaffen'", sagt der Titelverteidiger, "was bei Red Bull passiert ist, zeigt, wie schnell sich alles drehen kann."

Motor-Sorgen im Training

Webber war in Korea auf einem Randstein ins Schleudern geraten und hatte seinen Wagen an einer Mauer in einen Totalschaden verwandelt. An Vettels Auto war neun Runden vor dem Ziel der Motor kaputt gegangen. Es war das dritte Mal in diesem Jahr, dass ihn die Technik um einen Sieg brachte. Beim Saisonauftakt in Bahrain hatte ihn ein Zündkerzen-Defekt auf Platz vier zurückgeworfen, in Australien war er mit einem Schaden am Vorderrad in Führung liegend ausgefallen. Bereits vor dem totalen Erlöschen des Antriebs, der von Renault stammt, war Vettel in Korea aus technischer Sicht eingeschränkt gewesen.

Die Zahl der Motoren, die jeder Fahrer in einer Saison benutzen darf, ist aus Kostengründen auf acht limitiert. Wer mehr einsetzt, wird in der Startaufstellung strafversetzt. Um das zu vermeiden, wird die Laufleistung der Aggregate ausgereizt. Um sein Kontingent zu schonen, hatte Vettel in Yeongam im Training extra wenige Runden gedreht, zehn weniger als sein Teamkollege Webber und 13 weniger als Alonso. Auf einer neuen Strecke ist das ein nicht zu unterschätzender Nachteil. Trotz der vergleichsweise wenigen Übung war es dem 23-Jährigen in der Qualifikation gelungen, den besten Startplatz zu erobern.

Formel 1
:Rote Göttinnen

Ferrari hat als erstes Formel-1-Team sein neues Auto für die kommende Saison vorgestellt. Mit dem F10 will die Scuderia nach einem enttäuschenden Jahr wieder zurück an die Spitze fahren.

2009 musste Vettel auf der WM-Zielgeraden ebenfalls materialschonend zu Werke gehen. Damals verlor er den Titelkampf knapp gegen Button - auch, weil sich die Zahl der Punkte, die er durch technische Defekte, Taktikfehler und eigene Patzer einbüßte, auf einen Wert summierte, der mehr als vier Siegen entsprach. Wer die gleiche Rechnung in diesem Jahr anlegt, kommt auf einen noch eindrucksvolleren Wert: Vettel hat rund 150 Punkte weniger, als er haben könnte. Das entspricht etwa sechs Siegen. Einen Unterschied zu 2009 aber gibt es: Der Anteil der Fehler, die eindeutig auf das Konto des Fahrers gehen, ist geschrumpft.

Sebastian Vettel passiert das zerstörte Auto seines Teamkollegen Mark Webber. Doch auch Vettel schied in Südkorea aus - ohne eigenes Verschulden. (Foto: REUTERS)

"Meine Leistung hat gepasst"

Das Jahr war ein ziemliches Auf und Ab. "Das Wichtigste ist, dass es für das Ab immer eine Erklärung gab und gibt", sagt Vettel dazu, "wenn ich auf mich schaue, dann weiß ich dieses Jahr genau, dass der letzte Grund in der Reihe die eigene Leistung, die Performance, der Speed war. Das hat immer gepasst. Hat es mal nicht gepasst, gab es dafür einen Grund." In anderen Worten heißt das: An mir hat es nicht gelegen, wenn es auch dieses Mal nichts wird mit dem ersten Titel für den Rennstall, der dem Österreicher Dietrich Mateschitz gehört.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie viel Sprengstoff die Frage birgt, ob Vettel nun hinter Webber zurückstecken muss. Im Bewusstsein, selbst wenig falsch gemacht zu haben, im Zielspurt mit Zusatzballast gebremst zu werden, ist doppelt bitter. Die Frage, ob es eine Teamorder gebe, werde "nicht nur nach Mathematik" entschieden, hatte Teamchef Horner schon vor dem Belgien-Grand-Prix angekündigt; damals war Webber Vettel nur um zehn Punkte voraus gewesen.

Gut möglich, dass die Frage am Ende auch über mehr entscheidet als nur über Zahlen. Seit zehn Jahren wird Vettel schon von Red Bull unterstützt. Sein Vertrag mit der Firma läuft auch noch mindestens eine Saison. Er gehört quasi zur Familie. Kommt er zum Schluss, dass diese nicht hundertprozentig hinter ihm steht, könnte er sich trotzdem abwenden. Angebote gab es schon, unter anderem von Mercedes. Manch Fahrer hat ein Team schon wegen weniger verlassen.

© SZ vom 26.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: