Formel 1 in Mexiko:Verstappen fährt jenseits von Gut und Böse

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Max Verstappen ist derzeit kaum zu schlagen in der Formel 1. In Mexiko freute er sich überschwänglich über den Sieg. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Brutal, genial und hoch überlegen: Der Niederländer glänzt bei seinem neunten Saisonsieg mit fahrerischem Können - so flackert eine Frage in Großbuchstaben über dieser WM: War's das schon für Hamilton und Mercedes?

Von Philipp Schneider

Die Veranstalter des Großen Preises von Mexiko hatten sich vorab einen Effekt überlegt für die Siegerehrung. Derjenige Fahrer, der das Rennen gewinnen würde, sollte mitsamt seines Rennwagens von einem Aufzug emporgehoben werden zum Podium, auf das sich der Zweit- und Drittplatzierte jeweils per pedes zu begeben hätte. Seit der Erfindung der Sänfte in der menschlichen Frühzeit weiß man, dass es sich bei demjenigen, der ohne eigene Kraftanstrengung geschuckelt wird, um einen Würdenträger oder eine verdiente Person handeln muss. Das war Max Verstappen zweifelsfrei, als er am Sonntag den lässigen Liftboy gab, und bei seiner Himmelfahrt auf der Hebebühne den rechten Fuß entspannt auf dem linken Vorderrad abgestellt hatte.

Verstappen bietet Spektakel in Mexiko

Das Bild des passiven Rennfahrers, der auf seiner Reise zur Hymne auf ein überlegenes Transportmittel zurückgreifen darf, passte einerseits vortrefflich zum soeben beendeten Spektakel, bei dem Verstappen auf ein Auto mit "unglaublicher Geschwindigkeit" vertrauen durfte, wie er selbst eingestand. Ein Auto, das am gesamten Wochenende "weit überlegen" war, "wir konnten nichts wirklich dagegen tun", wie der zweitplatzierte Lewis Hamilton beklagte.

Hamiltons Chancenlosigkeit war selbst vor dem Hintergrund ernüchternd, dass von Anbeginn feststand, dass die sehr speziellen Bedingungen des auf 2200 Metern Höhe gelegenen Autódromo Hermanos Rodríguez die Überlegenheit des Red Bull befeuern würden. Die Luftdichte ist dort um rund 22 Prozent geringer als auf Meereshöhe. Das heißt für die Aerodynamiker: 22 Prozent weniger Abtrieb und 22 Prozent weniger Luftwiderstand.

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Andererseits passte das Bild des Rennfahrers im Fahrstuhl überhaupt nicht zum enormen Aufwand, den Verstappen betrieben hatte für seinen bereits neunten Rennsieg der Saison. Ein Aufwand, der gleichwohl nur wenige Sekunden andauerte und sich beschränkte auf die 811 Meter lange Anfahrt zur ersten Kurve. Doch dort, in einem Mikrokosmos, zeigte Verstappen ein Überholmanöver, brutal und genial, das alleine schon zum Erwerb eines Weltmeisterbriefs berechtigen sollte.

Wie er sich, als Dritter gestartet, an das Heck des Silberpfeils von Valtteri Bottas saugte, dann aus dem Windschatten heraus nach links zog, um schließlich, Seite an Seite mit Bottas und Hamilton, zwei Rennwagenlängen später bremste als diese, das ließ nicht nur Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko staunen. Den allerdings am meisten. "Unglaublich, wo Max gebremst hat und wie er dann noch um die Kurve kam", jubilierte Marko. Die Aktion sei "jenseits von Gut und Böse" gewesen.

Verstappens Manöver gegen Bottas wirkt vordergründig übernatürlich

Ein Manöver, das vordergründig übernatürlich wirkte, hatte einen irdischen Unterbau. Wäre Bottas von der Pole Position nicht so viel schwächer gestartet als der Zweitplatzierte Hamilton, er hätte seinem Teamkollegen Windschatten gespendet und nicht bloß Verstappen. So aber stieß Hamilton unmittelbar nach dem Start bereits an die Seite von Bottas vor, wo er keinen aerodynamischen Vorteil genoss. Hinzu kam: Verstappen fuhr auf der sauberen Seite der Strecke, nur so konnte er sich die spätere Vollbremsung trauen.

Dass Bottas allerdings Verstappen auf seiner linken Seite Platz schuf, als habe er dank Blaulicht Anrecht auf eine Rettungsgasse, das verwunderte selbst sein eigenes Team. Rennleiter Michael Masi hatte zwar vor dem Start eine Klarstellung verfasst, die untersagte, einen Konkurrenten am Start von der Strecke zu drängen. Doch das ließ Bottas' Teamchef Toto Wolff nicht als Erklärung gelten. Es gebe einen Unterschied "zwischen nicht zumachen und eine Busspur freihalten", sagte er. Und Hamilton befand: "Ich habe meine Seite der Strecke abgedeckt, um sicherzustellen, dass niemand nach innen kommt. Ich dachte, Valtteri würde dasselbe tun. Aber er ließ Max die Tür offen." Red Bulls Teamchef Christian Horner pries die Fairness von Bottas - selbstredend ein Lob mit Falltür ins Nichts.

Dass Bottas' zum Saisonende fixierter Abschied von Mercedes ein Treiber seiner Passivität gewesen sein könnte, verwies Wolff in das Reich der Fabeln. Sonst hätte Bottas schließlich nicht am Tag zuvor die Pole Position herausgefahren. Diese Frage war aus Wolffs Sicht auch müßig, schließlich flackerte eine weit wuchtigere in neonhellen Großbuchstaben über diesem Rennen: War's das schon für Hamilton und Mercedes?

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Erst ein einziges Mal in der Geschichte der Formel 1 hat sich ein Pilot nach neun Rennsiegen nicht mit dem Weltmeistertitel gekrönt: Hamilton, der sich 2016 sogar nach zehn Triumphen seinem Teamkollegen Nico Rosberg geschlagen geben musste. Insofern lohnte es sich, genau hinzuhören, als Verstappen später die üblichen Beschwichtigungen verbreitete. Das Blatt könne sich ganz schnell wieder wenden, sagte er selbstverständlich - aber auch dies hier: "Es sieht natürlich gut aus." So weit hatte sich der 24-Jährige bislang noch nie aus seinem Cockpit gelehnt.

19 Punkte Rückstand sind immer noch überschaubar. Ein Ausfall Verstappens, parallel ein Sieg von Hamilton, und der Brite liegt wieder mit sechs Zählern in Führung. Aber was spricht dafür? Verstappen fährt seit Wochen weltmeisterlich, in Mexiko rollte er so entspannt, dass er die Zeit fand, sich nach dem genauen Abstand zwischen Hamilton und Teamkollege Perez zu erkundigen und als rasender Stratege Tipps zu geben.

Und dass er versuchte, Bottas dabei auszubremsen, sich den Extrapunkt für die schnellste Runde zu sichern, streifte Genie und Hochmut zugleich. Hinzu kommt: Sein Team trifft ausschließlich richtige Entscheidungen - und der Red Bull läuft wie auf Schienen. Nicht nur im Gebirge. In Mexiko war Hamilton am Ende wegen der speziellen Bedingungen "dankbar" für den zweiten Platz. Mehr Sorge bereitet Mercedes noch immer das vorherige Rennen in Austin, als die Silberpfeile zwei Zehntel langsamer waren pro Runde. Das sind Welten.

Am Sonntag wird in Interlagos die mit 700 Metern zweithöchstgelegene Sause gefahren, dann erst geht's dreimal in die Niederungen der Wüsten von Katar, Saudi-Arabien und Abu Dhabi. "Wir müssen jetzt performen und vielleicht auf den Racing-Gott hoffen", sagte Wolff. Es war noch nie nötig, dass der beredte Wiener mangels Perspektive so tief in die Floskelkiste greifen musste.

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