Formel 1:Privat sitzt er im Ferrari, beruflich im Mercedes

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Im Ferrari vorerst undenkbar: Lewis Hamilton (hier bei einer sogenannten Fahrerparade in einem Oldtimer) fühlt sich wohl bei Mercedes. (Foto: Getty Images)
  • Die Dominanz von Mercedes und Lewis Hamilton in der Formel 1 ist groß wie nie.
  • Motorsportchef Toto Wolff weiß, wie er sein Team zu führen hat. Dabei setzt er auch mentale Tricks ein.

Von Philipp Schneider, Suzuka/München

Ein Sportwagen steht auf einer von Palmen umsäumten Allee. Vorne links, auf der Hutze, unter der einer der Scheinwerfer verbaut ist, fläzt sich Lewis Hamilton in kurzer Hose und lässiger Pose, er trägt eine Sonnenbrille, es ist ein sonniger Tag. Und es ist der Sonntag vor dem Sonntag, an dem Hamilton gemeinsam mit seinem Arbeitgeber, dem Formel-1-Team von Mercedes, in Suzuka einen Rekord egalisieren wird, von dem nicht wenige dachten, er wäre aufgestellt für die Ewigkeit. "Happy Sunday World. Who wants to come for a ride with me?", hat Hamilton neben das Foto geschrieben, das er auf Instagram hochlädt. Er will wissen, wer Lust hat, sich neben ihn auf den Beifahrersitz des Sportwagens zu setzen, den Hamilton sich nicht leihen musste für die Inszenierung, weil er ihm gehört. Der Himmel ist blau, die Palmen sind grün. Es ist fast ein stimmiges Bild. Nur das Auto des Silberpfeil-Piloten, es ist ferrarirot.

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Hamiltons Pose auf seinem Ferrari LaFerrari, der nur 499 mal hergestellt wurde und angeblich einen Stückpreis von 1,2 Millionen Euro hat, ist in vielerlei Hinsicht spannend. Daran, dass er das Bild überhaupt hochladen darf, obwohl sein Gehalt aus Stuttgart überwiesen wird und er alle seine fünf Weltmeistertitel, auch den ersten 2008 bei McLaren, mit einem Mercedes-Motor gewonnen hat, lässt sich erkennen, wie einmalig sein Stellenwert ist, wie undenkbar eine Trennung von Team und Fahrer derzeit erscheint.

Es entscheiden nicht nur die Güte des Autos und die Zuverlässigkeit der Fahrer

Im Subtext kokettiert Hamilton mal wieder mit einem Wechsel zur Scuderia. Für die Zeit nach 2020 schließt er diesen bekanntlich nicht aus. Und so stellt das Foto die Kernfrage der Formel 1: Wer soll Mercedes aufhalten? Wie lässt sich der Lauf einer Mannschaft unterbrechen, die am Sonntag zum sechsten Mal nacheinander die Konstrukteurs-WM gewonnen hat? Diesmal fünf Rennen vor dem Saisonende - womit die Truppe von Motorsportchef Toto Wolff die Ferrari-Serie aus der Hochzeit von Michael Schumacher egalisierte. Gewinnt erst dann jemand anders, wenn Hamilton Lust verspürt, mal etwas Anderes, etwas Langsameres zu fahren? Sebastian Vettel, der abermals mit Ferrari geschlagene viermalige Weltmeister, scherzte in Suzuka: "Hoffentlich langweilen sie sich allmählich. Wir werden mal sehen, was dann passiert."

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Es wird vermutlich nicht passieren. Zumindest nicht 2020, dem Jahr vor der Änderung des Technik-Reglements, in dem die Formel 1 ein weiteres Mal nach den Spielregeln spielt, die niemand so gut versteht wie Mercedes. Offensichtlich beherrscht Toto Wolff die Kunst, seine Heerscharen an schlauen Ingenieuren in der englischen Stadt Brackley, die schon mehr als genug gewonnen haben, jedes Jahr zu motivieren, immer wieder das weltbeste Gesamtpaket aus Motor und Chassis zu entwickeln. In diesem Jahr hat Ferrari endlich mal einen Motor konstruiert, der ebenbürtig, neuerdings sogar überlegen ist. Und doch hat es wieder nicht gereicht. In der Formel 1 entscheiden nicht nur die Güte des Autos und die Zuverlässigkeit der Fahrer.

Mercedes ist in dieser Saison auch mal wieder in Fragen der Rennstrategie überlegen gewesen. In Suzuka fuhr Charles Leclerc einige Runden lang mit einem Ferrari im Kreis, dessen Frontflügel sich in seine Bestandteile auflöste, er erhielt sogar eine Zeitstrafe, weil er die Gesundheit aller Piloten gefährdete. Hätten sie so einen Streuwagen bei Mercedes womöglich früher zur Reparatur einbestellt? "Uns fehlt noch eine ganze Stange, um wirklich dagegenzuhalten", meinte Vettel: "Von außen betrachtet, sind sie ganz nah dran an der Perfektion."

Von innen betrachtet, bei einem Besuch auf Wolffs Couch in seinem Arbeitszimmer, bekommt man eine Vorstellung davon, wie gearbeitet wird beim Seriensieger in Brackley. Wolffs Hauptquartier ist nicht nur geografisch entkoppelt von der Konzernzentrale in Deutschland. Die Stuttgarter lassen den Österreicher, der im Januar 2013 die Leitung eines eher erfolglosen Werksrennstalls übernahm, weitestgehend freie Hand. Der Daimler-Konzern überließ Wolff bei dessen Einstieg auch 30 Prozent der Anteile am Rennstall, er ist also am Erfolg unmittelbar beteiligt. Und er hat noch nicht viele Argumente geliefert, weshalb man in seine Arbeitsabläufe eingreifen sollte. Wolff schätzt flache Hierarchien und Eigenverantwortung. "Ich kann keine aerodynamische Fläche designen. Aber ich weiß alles über denjenigen, der das kann", hat er der SZ gesagt.

Um Moral und Motivation in der Truppe zu heben, lässt er gerne vor der Saison die Erinnerungen an die vielen Trophäen aus dem Gedächtnis seiner Leute löschen. An der Auffahrt zur Mercedes-Zentrale gibt es eine Schautafel, die die Erfolge auflistet. Anfang dieses Jahres tilgte er dort die Spuren von fünf gewonnenen Fahrerweltmeisterschaften und fünf Konstrukteursweltmeisterschaften. Bald werden es jeweils sechs sein, weil auch der Fahrertitel in diesem Jahr nur noch an Hamilton oder Valtteri Bottas verteilt werden kann. In diesem Moment wird die Melange aus Pilot und Team jene von Ferrari und Schumacher überflügelt haben, die auf fünf Fahrertitel kamen.

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Das klingt nach banaler Küchenpsychologie, funktioniere aber wirklich, sagt Wolff. Er lässt auch jedem seiner Mitarbeiter einen Zettel einlaminieren, auf dem die Unternehmensziele und die persönlichen Ziele aufgelistet werden. Für 2019 war dort zu Saisonbeginn zu lesen, es gehe darum "die Herausforderung zu umarmen", beide Titel zum sechsten Mal zu gewinnen.

Wolff erzählt gerne davon, dass es darum gehe, sich und seine Leistung jeden Tag zu hinterfragen. Seit dem Start in die Ära mit den Hybridmotoren zur Saison 2014, die Vettel von der ersten Sekunde an suspekt vorkamen, haben die Silberpfeile mit diesem Ethos 86 von 117 Rennen für sich entschieden. Nicht einmal der 2016 eskalierte Garagenkrieg zwischen Hamilton und Nico Rosberg hielt sie ab vom Gewinn beider Titel - damals lernte Wolff eine weitere Lektion: Anstelle von Rosberg verpflichtete er den dankbaren Valtteri Bottas als Wingman für Hamilton. Die Alternative wäre ein ambitionierter Heißsporn wie Leclerc gewesen, mit dem es nun Vettel bei Ferrari zu tun hat. "Wir haben einen Fahrer gesucht, an dessen Talent wir glauben, der aber unpolitisch ist", sagt Wolff.

Wohl wissend, dass er bereits einen politischen Fahrer beschäftigt. "Selbst wenn wir jedes Jahr Erfolg haben, sind wir noch immer hungrig, noch immer ehrgeizig", hat Hamilton angekündigt. Privat mag er im Ferrari sitzen. Beruflich, wenn alles so läuft wie erwartet, hat er ein klares Ziel: 2019 wird er mit Mercedes zum sechsten Mal Weltmeister, 2020 zum siebten Mal. Dann ist er 35 und besitzt so viele Pokale wie Michael Schumacher. Wechseln kann er ja noch immer.

© SZ vom 15.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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