Ferrari:Wer ist hier der Chef?

Vettel und Leclerc

Sebastian Vettel und Charles Leclerc.

(Foto: dpa)
  • Vor dem Formel-1-Rennen in Suzuka ist die ungeklärte Hierarchie-Frage bei Ferrari wieder Thema.
  • Temachef Mattia Binotto versucht, zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc zu schlichten.
  • Profiteur des Theaters ist Lewis Hamilton. Dem könnte der WM-Titel mehr oder weniger in den Schoß fallen.

Von Philipp Schneider

Es gibt einen sichtbaren Mattia Binotto. Und es gibt einen für die Öffentlichkeit unsichtbaren Mattia Binotto. Dies vorab, bevor kurz über den Supertaifun "Hagibis" gesprochen werden muss, der an diesem Samstag Japan erfasst und dort die gastierende Formel 1 so durcheinanderwirbelt, dass die Qualifikation auf Sonntag verlegt werden musste und am Freitag auch Mechaniker gesichtet wurden, die aus Sorge vor Starkregenfällen Sandsäcke zu kleinen Deichen vor ihren Garagen stapelten. Hagibis muss nun mit dem Vorwurf leben, ein Dramaturg habe ihn nach Suzuka bestellt, um die Großwetterlage zu verbildlichen, mit der die Binottos grundsätzlich zu kämpfen haben.

Die Binottos, der sichtbare und der unsichtbare, sind seit diesem Jahr Teamchef von Ferrari. 49 Jahre alt sind sie, groß und schlaksig gewachsene Söhne italienischer Eltern, die in der Schweizer Stadt Lausanne geboren wurden und schon vor 24 Jahren als Motoringenieur an Michael Schumachers Seite standen, als dieser sich bei der Scuderia zum erfolgreichsten Rennfahrer der Geschichte entwickelte. Die Binottos sind Erscheinungen von bestechender Freundlichkeit. Sie tragen volles, lockiges Haar und eine Brille mit so großen Rändern, dass sie die Illusion riesiger Augen und eines Kindchenschemas hervorruft, der beim Betrachter den Reflex auslösen kann, diesen knuffeligen Teamchef in den Arm zu nehmen. Der sichtbare Binotto ist ein Meister der Krisenmoderation. Auf der Bühne hat er alle Rückschläge weggelächelt: Die technische Unterlegenheit des roten Rennwagens, der erst seit dem Sommer konkurrenzfähig ist, hat er nie schönzureden versucht. Und gelächelt hat er stets, nachdem die Welt Zeuge geworden war, dass ihm seine Angestellten, die Piloten Sebastian Vettel und Charles Leclerc, mal wieder auf jener Nase herumgetanzt waren, die seine große Brille trägt.

Formula One F1 - Russian Grand Prix

Teamchef Mattia Binotto.

(Foto: Maxim Shemetov/Reuters)

Vor wenigen Wochen, beim Heim-Grand-Prix in Monza, hatte sich Leclerc mit mehr oder weniger fadenscheinigen Argumenten der Anweisung widersetzt, Vettel Windschatten in der Qualifikation zu spenden. Zuletzt, beim Rennen in Sotschi, hatte dann Vettel eine Teamorder ignoriert, die seinen aufstrebenden und elf Jahre jüngeren Nebenbuhler wieder an ihm vorbei in Führung hätte bringen sollen. Leclerc tobte über Funk, weil der Platztausch so vor dem Rennen halbwegs abgesprochen worden war. Und Vettel überhörte genüsslich die Anweisungen, weil der Platztausch eben nur halbwegs abgesprochen war. Widerworte gegen den Ferrari-Chef? Ein Sakrileg eigentlich in einem Rennstall, der in Norditalien verehrt wird wie eine Heiligenerscheinung. Binotto aber? Moderierte die nicht einfache Situation bestens gelaunt: Da kämpft ein viermaliger Weltmeister nicht nur um seinen Status als Nummer eins, sondern ringt zunehmend mit der Gefahr, der Nachwelt als Red-Bull-Weltmeister im Gedächtnis zu bleiben, der nicht gut genug war für Ferraris Ansprüche. Pff, sagte Binotto nach der Komödie in Russland. Ein "Luxus" sei diese Konstellation! "Wir haben zwei fantastische Fahrer."

Der unsichtbare Binotto wiederum, so wirkt es zumindest, muss ein Meister des überzeugenden Zusammenfaltens in Vier-Augen-Gesprächen sein: Nach jedem Zank erscheinen Leclerc und Vettel geläutert, selbstkritisch und überaus einsichtig zurück auf der Bühne. So nun auch in Suzuka, wo Vettel, zwei Wochen nachdem ihm von Binotto vor der Weltöffentlichkeit der Nummer-eins-Status abgesprochen worden war, tatsächlich einräumte, es sei "nicht richtig" gewesen, die Anweisungen seines Chefs zu ignorieren. Das war es angesichts der auch für Vettel wichtigen Maxime, Ferrari stehe über jedwedem persönlichen Interesse, tatsächlich. Aber war Vettel in Sotschi nicht in Wahrheit eine herrliche Retourkutsche für die unterlassene (und von Binotto ungeahndete) Windschattenhilfe Leclercs in Monza gelungen? Würde ein cleverer Fahrer wie Vettel nie sagen.

Wie geht es nun weiter? Nach außen gibt sich Binotto selbstverständlich überzeugt, dass es harmonischer werden wird bei Ferrari. Es habe schließlich "positive, konstruktive, ehrliche, faire und transparente" Diskussionen nach dem Zoff in Sotschi gegeben. Und zwar mit beiden Fahrern. In Maranello. Dass diese Gespräche mit beiden Piloten einzeln geführt wurden und eine Gruppentherapiesitzung mit Binotto, Vettel und Leclerc nicht zustande kam, das erfuhr man nur am Rande. Ob er denn angesichts der Rivalität seiner Fahrer nicht befürchte, die Kontrolle in seinem Stall gänzlich zu verlieren? Oh nein, das glaube er nicht, sagte Binotto. Er habe schließlich, und das könne man als Teamchef auch ganz anders handhaben, "die Intention, die Fahrer zu managen". Er meinte: im Sinne des Teams.

"Die haben da drüben eine interessante Dynamik", hat der Mercedes-Pilot Lewis Hamilton süffisant festgestellt, dem 2019 anders als in den Jahren zuvor der Titel in den Schoß fallen wird. Weil sein Wagen zu lang überlegen war. Aber auch, weil der wundersame Mattia Binotto bei Ferrari eine ungewöhnliche Strategie verfolgt: Es gibt keine Nummer eins. Aber trotzdem da und dort eine Stallregie, selbstverständlich stets im Sinne Ferraris.

Das wollen seine Fahrer nur nicht immer verstehen.

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