Entwicklungsstopp bei F1-Team Mercedes:Bremsen für die Zukunft

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Führt nur gerade noch Gruppen, aber nicht mehr das Gesamtfeld an: Lewis Hamilton im schwarz lackierten Mercedes. (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Mercedes will sich in Zeiten des Budgetdeckels mehr auf die Entwicklung des Formel-1-Autos für 2022 konzentrieren als auf jenes der Gegenwart. Es ist ein Plan, der Lewis Hamilton unter Stress setzt.

Kommentar von Philipp Schneider, Spielberg

Toto Wolff hat gerade eine wegweisende Entscheidung getroffen. Das alte Zeug kann weg, es hat keine Zukunft mehr. Wolff ist Teamchef eines Formel-1-Rennstalls, also entrümpelt er selbstverständlich nicht auf seinem Speicher. Sondern in der Garage.

Drei Sportwagen will er loswerden, zwei Ferraris, einen Mercedes. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, aber darunter befindet sich auch ein Ferrari LaFerrari Aperta. Das Auktionshaus Sotheby's hat vor vier Jahren den letzten Vertreter der auf 210 Exemplare limitierten Serie versteigert: für 8,3 Millionen Euro. Wolff verkauft nicht, weil er frisches Geld benötigt, er verkauft, weil er festgestellt hat, dass es sich nicht schickt, als Mercedes-Mann im Ferrari rumzufahren; und weil er den Aperta angeblich ohnehin nur 50 Kilometer ausgeführt hat. Hinzu kommt ein Weiteres: "Ich stelle jetzt auf Elektro um", hat Wolff angekündigt. Jedes Ding hat seine Zeit.

Und damit zum Mercedes W12, dem Dienstwagen von Wolffs berühmtestem Angestellten Lewis Hamilton, von dem man schon vor der Saison wusste, das er ein Auslaufmodell sein würde. Also das Auto. Nicht der siebenmalige Weltmeister, dem nur noch ein Titel fehlt, um Michael Schumacher zu überflügeln und so hochoffiziell der Allergrößte zu sein.

An den W12 kommt nur noch etwas Schnickschnack, in den Windkanal wird das Auto nicht mehr geschoben

Wenn man Wolff richtig versteht, dann kann der W12 zwar noch nicht weg. Aber so viel Liebe und Zuwendung wie früher wird er von den Ingenieuren nicht mehr erhalten. Wolff will verhindern, dass sein Team in der Gegenwart die Zukunft verpennt. Entwicklungsstopp! An den W12 kommt nur noch kleinerer Schnickschnack, in den Windkanal wird das Auto nicht mehr geschoben. Größere Neuentwicklungen, die etwas hermachen und mit denen man zu Red Bull rüberfahren könnte um anzugeben (wie ein neuer Frontflügel), die wird es nicht mehr geben. Soll sich doch Red Bull 2021 die Pokale schnappen, danach gehen alle garantiert wieder sieben Jahre lang zu Mercedes!

Etwas überspitzt vielleicht. Aber in der Sache ist genau das der Plan. Es ist ein Plan, über dessen Wert erst die Zukunft richten wird.

Die Konkurrenz investiert kräftig in die Gegenwart, konstruiert Heckflügel, die umstritten sind, bläht kräftig die Motoren auf, so sehr, dass Hamilton gerade in Spielberg Verstappen wie ein lahmes Reh hinterherhinkte (was wegen seiner fahrerischen Exzellenz allerdings immer noch gut genug ist für Platz zwei). Verstappen jubiliert, dass ihm sein Team bei jedem Rennen ein neues Gimmick anschraubt. Kurz- und mittelfristig lohnt sich das, er wird immer schneller. Doch zu welchem Preis?

Weltmeister in Lauerstellung: Derzeit liegt Lewis Hamilton auf Rang zwei der Gesamtwertung, hinter Max Verstappen. (Foto: Handout/Reuters)

Im nächsten Jahr werden in der Formel 1 Autos gefahren werden, die völlig anders konstruiert sind. Sie erhalten größere Räder, werden schwerer, auch langsamer, angeblich aber wird sich in ihnen einfacher überholen lassen. Darum geht es den Vermarktern der Rennserie, die sich mehr Spektakel wünschen. Der Entwurf dieser rundum neuen Autos kostet viel Geld und Ressourcen, nicht erst 2022 - sondern jetzt schon. Da in diesem Jahr erstmals ein Budgetdeckel greift in der Formel 1, müssen auch die Spitzenteams Mercedes, Red Bull und Ferrari endlich haushalten.

Es sind erst acht von 23 geplanten Rennen gefahren. Wenn Verstappen nur einmal die Zielflagge nicht erlebt, während Hamilton gewinnt, schwupps, hat der Brite wieder die Gesamtführung übernommen. Mercedes schenke gar nicht die Weltmeisterschaft her, verspricht Wolff also. Er glaube vielmehr, dass Red Bull irgendwann selbst umschwenken müsse auf die Zukunft, dann sei der Titelkampf wieder offen.

Die Strategie von Mercedes könnte sich als die nachhaltigere erweisen; die Autos ab 2022 werden ein paar Jahre fahren, das gegenwärtige nur noch bis Dezember. Für Hamilton, der in Spielberg verzweifelt nach neuen Teilen für sein Auto rief, muss es sich trotzdem anfühlen, als ziehe ein Beifahrer ungefragt an seiner Handbremse. Ein Titel fehlt ihm zum Rekord, sein Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Er ist 36. Das Upgrade, das er am dringendsten benötigt, dürfte Toto Wolffs Unterschrift sein.

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