Formel 1: Melbourne:Das Fuck-up-Potential

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Knöpfe drücken, Reifen schonen, strategisch denken: ein Formel-1-Pilot muss in dieser Saison mehr können als nur Gas geben und lenken. Favorit auf den Titel ist deshalb automatisch der Fahrer, der die wenigsten Fehler macht.

Jürgen Schmieder

Es gibt ein schönes Sprichwort im Sport, welches besagt, dass derjenige den Titel gewinnt, der die beste Defensive vorweisen kann. Der Spruch ist auch ein Plädoyer dafür, dass nicht unbedingt der filligranste Sportler die Meisterschaft gewinnt, sondern jener, der sich taktisch gut aufstellt, der strategisch denkt und über die Saison hin die wenigsten Fehler macht.

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Für die Formel 1 galt dieses Sprichwort bislang nicht, weil es dort bekanntlich keine Offensive und Defensive gibt - sondern nur Menschen, die in einem Auto im Kreis fahren. Ein wenig abgewandelt jedoch könnte man sagen: Die Formel-1-Weltmeisterschaft gewinnt nicht unbedingt der schnellste Pilot, sondern jener, der sich taktisch gut aufstellt, der strategisch denkt und die wenigsten Fehler macht.

"Es ist kein Einkampf mehr mit dem Auto, sondern ein Zehnkampf mit allen möglichen Dingen", sagt Mercedes-Sportchef Norbert Haug nach der Ankunft in Melbourne, wo am Sonntag der erste Grand Prix der Saison stattfindet. Die zahlreichen Regeländerungen und der Wechsel des Reifenherstellers sorgen dafür, dass das strategische Element weiter in den Vordergrund rückt. "Der, der das Timing des Knöpfedrückens am besten draufhat, ist im Vorteil", sagt Haug.

Ungefähr 15 Knöpfe befinden sich auf einem Formel-1-Renkrad, dazu zehn verstellbare Rädchen und sechs Kippschalter. Die Piloten müssen also nicht nur Gas geben und lenken, sondern zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Knopf drücken. Nick Heidfeld beschreibt es etwa so: "Ich muss mehr oder weniger gleichzeitig zwei Knöpfe drücken, nicht selten an einer Stelle, wo ich hochschalten muss, und gleichzeitig sollte ich ja noch ein wenig lenken."

Und das bei einem Tempo von 250 Stundenkilometern und in einer Situation, in der man einen Gegner gerne überholen möchte, sich also im Zweikampf befindet. "Das Fuck-up-Potential ist ausgesprochen hoch", sagt Heidfeld. Ein Fehler kann das gesamte Wochenende ruinieren.

Zu den Knöpfchenspielen kommt, dass die Reifen des neuen Herstellers Pirelli derart schnell verschleißen, dass ein zu spät angesetzter Boxenstopp das Rennen äußerst negativ beeinflussen kann. "In diesem Jahr wird es drauf ankommen, den idealen Punkt zum Boxenstopp zu finden. Eine Runde oder zwei Runden zu viel zu fahren, kann mit einer sehr deutlichen Zeiteinbuße einhergehen", sagt Haug.

Auch beim Qualifying müssen die Teams versuchen, möglichst wenige Versuche für eine schnelle Runde zu benötigen. Wer keine freie Runde erwischt und mehrfach neu ansetzen muss, könnte im Rennen Probleme bekommen, weil die Reifen des letzten Qualifyings ins Rennen übernommen werden müssen. Also ist auch in diesem Fall das von Heidfeld beschriebene Fuck-up-Potential sehr hoch. "Formel 1 von heute ist wesentlich anspruchsvoller als vor fünf oder zehn Jahren - für alle Beteiligten", sagt Haug.

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Dabei gibt es durchaus Piloten, die sich darüber freuen, dass es mehr Möglichkeiten des Versagens gibt. Die Mercedes-Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg gehören dazu oder auch die Red-Bull-Fahrer Sebastian Vettel und Mark Webber. Schumacher spielte schon immer gerne an Regulatoren für Benzingemisch und Bremsbalance herum.

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Kollege Rosberg sieht die Regeländerungen und den Wechsel des Reifenherstellers eher als Herausforderung denn als Belastung. Es sei "die beste Idee, die es jemals gab, um Rennen spannender zu machen.", sagt er. Und fügte sogleich hinzu, in dieser Saison gerne den ersten Sieg einfahren zu wollen.

Michael Schumacher sagte nach der Ankunft in Melbourne gar: "Um Podiumsplätze kämpfen zu können ist unser Ziel. Ich glaube nicht, dass wir schon gut genug sind, um in den WM-Kampf. Aber wenn sich die Chance dazu eröffnet, werden wir gerüstet sein." Die Chance dazu könnte sich dann auftun, wenn die anderen Piloten Fehler machen und er selbst fehlerfrei bleibt.

Damit den schnellen Teams keine Fehler unterlaufen, hat etwa Red Bull seinen Piloten einen Simulator gebaut, damit sie sich auf die neuen Bedingungen einstellen können. "Da kommt schon eine Menge auf uns zu", sagt Sebastian Vettel.

Der perfekte Pilot 2011 muss also ein Multitasker sein, ein Fahrer, der sowohl seinen Fuß aufs Gaspedal drücken kann als auch alle Knöpfe und Paddel zum richtigen Zeitpunkt drückt - und darüberhinaus noch rechtzeitig an die Box fährt. "Der Fahrer muss - das dürfen wir alle nicht vergessen - in erster Linie fahren. Es nützt nichts, wenn ich meinen Rear-Wing-Flap zur richtigen Zeit bediene, aber sonst a) nicht das richtige Auto habe und b) einen Fahrfehler mache", sagt Norbert Haug.

Aus diesem Grund könnte es in dieser Formel-1-Saison einige Überraschungen, eben weil die Gefahr, einen groben Fehler zu machen, äußerst groß ist. "Ich glaube an einen positiven Saisonauftakt", sagt Schumacher - und fügt hinzu: "Das Ziel ist, Weltmeister zu werden." Er meinte damit die Saison 2012. Aber gewiss hätte er kaum etwas dagegen, der Pilot zu sein, der schon in dieser Saison die wenigsten Fehler macht.

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