Formel 1:"Erleben wir nicht eine wundervolle Saison?"

Lesezeit: 3 min

Die Kapriolen der letzten Runden von Shanghai sind symptomatisch für die noch junge Formel-1-Saison 2012. Drei Rennen, drei verschiedene Sieger - und jeweils mindestens sieben verschiedene Fahrzeugfabrikate in den Top Ten. Der Hauptgrund für den abwechslungsreichen Formel-1-Start sind die unberechenbaren Reifen.

Elmar Brümmer

Die Szene, die den Stimmungswandel in der Formel 1 am besten verdeutlicht, spielt sich im Halbdunkel des Bambuswäldchens hinter dem Boxengebäude des Shanghai International Circuit ab. Tim, der Barmann von Mercedes, schleppt Champagner Richtung Garage. Noch nie hat er so leicht an drei Kartons getragen, auch wenn er sonst nach dem Rennen eher beruhigenden Kräutertee servieren muss.

Champagner für den Sieger: Nico Rosberg feiert seinen Erfolg in Shanghai. (Foto: REUTERS)

Vor dem Pavillon von Red Bull Racing macht ehrfürchtig ein Mann Platz, der sich in den vergangenen zwei Jahren so kurz nach dem Rennende selten hinter die Kulissen geflüchtet hat. Nachdenklich dreht Helmut Marko, der Motorsportberater von Red-Bull-Eigner Dietrich Mateschitz, sein Eis in der Hand.

Das aber war auch so ziemlich das einzig coole bei den Titelverteidigern. Kurz vor Schluss des Großen Preises von China lagen Sebastian Vettel und Mark Webber noch auf den Plätzen zwei und vier, abgewunken wurden sie am Tag des Silberpfeil-Triumphs von Nico Rosberg schließlich als Vierter und Fünfter.

Die Kapriolen der letzten Runden von Shanghai - sie sind symptomatisch für die noch junge Formel-1-Saison 2012. Drei Rennen, drei verschiedene Sieger - und jeweils mindestens sieben verschiedene Fahrzeugfabrikate in den Top Ten. Tabellenführer ist Lewis Hamilton, der mit dem McLaren im Rennen noch nie Erster war, aber dreimal den dritten Platz belegte, hat diese Ausgeglichenheit flugs zum Programm erklärt: "Alles, worauf es in diesem Jahr ankommt, ist Konstanz."

Der entscheidende technische Parameter dafür ist die Leistungsfähigkeit der Reifen. Alleinausrüster Pirelli hat bei der Auftragserteilung im vergangenen Jahr eine Klausel von Grand-Prix-Vermarkter Bernie Ecclestone diktiert bekommen: Die Reifen haben für Spannung zu sorgen!

Nachdem die Tankstopps wegfielen und die Rennwagen so zuverlässig wie nie sind, kann nur über die Pflicht-Pneuwechsel und die Beschaffenheit der Gummis Spannung generiert werden. Das ist der italienischen Marke hervorragend gelungen. Die Reifenmischungen sind aggressiv, was bedeutet: schwer auszurechnen.

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Die Formel 1 ist in Aufruhr: Sebastian Vettel denkt nicht ans Gewinnen, sondern nur ans Wohlfühlen. Norbert Haug stichelt gegen Red Bull, Mark Webber ist der einzige erwachsene Fahrer - und plötzlich sorgen auch noch zwei Frauen für Aufregung. Eine Zusammenfassung des Wochenendes in der Formel-1-Kolumne Zehn Zylinder.

Elmar Brümmer, Shanghai

Von Fahrzeug zu Fahrzeug, von Temperaturgrad zu Temperaturgrad entwickeln sich unterschiedliche Leistungs- fähigkeiten und Halbwertzeiten. "Abbauen" nennt sich das Phänomen im Fachjargon. Mercedes-Fahrer Rosberg, in Shanghai als goldener Junge gefeiert, hatte sich allein die Reifenschonung auf die Agenda gesetzt - und entsprechend das Rennen kontrolliert.

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Elmar Brümmer, Shanghai

Offenbar ist die perfekte Reifennutzung wichtiger geworden, als die Auslegung des Fahrzeugs rein auf Haftung. "Wir haben lange am Set-Up gebastelt, deshalb haben wir diesen Schritt nach vorn gemacht", unterstreicht Sieger Rosberg, der mehr als 20 Sekunden vor allen anderen ins Ziel kam. Im kühlen Sumpfland vor der chinesischen Metropole blieben seine Reifen immer heiß genug, nutzten sich aber nicht so stark ab, wie es vor allem bei Red Bull der Fall war.

"Die Reifen sind sehr sensibel. Wenn du sie ins optimale Betriebsfenster bringst, ergibt das einen enormen Gewinn bei den Rundenzeiten", bilanziert Red-Bull-Teamchef Christian Horner: "Am kommenden Wochenende in Bahrain dürften die Streckentemperaturen wohl um 20 Grad höher liegen. Das ist die nächste Herausforderung."

"Erleben wir nicht eine wundervolle Saison?", fragt Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery rhetorisch, "Vorhersagen sind komplett unmöglich. Nicht einmal die Fachleute, die alle Daten zur Verfügung haben, können etwas vorhersagen." Die 50 Boxenstopps von Shanghai, die Vielzahl der möglichen Strategien (und die noch größere Anzahl der potentiellen Fallen) sorgen für die Show.

Die Wolken, die sich zum Rennbeginn vor die Sonne geschoben hatten, sorgten noch einmal für einen Temperaturabfall von einem halben Grad. "Damit waren die härteren Mischungen plötzlich so schnell wie die weichen, samstags hatte der Unterschied noch anderthalb Sekunden pro Runde betragen", stöhnt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. Alle Vorhersagen waren dahin, vor allem die, dass die Silberpfeile die größten Schwierigkeiten bekommen würden. Die Formel 1 ist wetterfühlig geworden.

17 Piloten konnten in den drei Rennen Punkte sammeln. Die Gelegenheits-Zuschauer lernen plötzlich Namen wie Romain Grosjean (Lotus/Sechster) oder Pastor Maldonado (Williams/Siebter) kennen, davor in Malaysia hatte sich der Mexikaner Sergio Perez aus dem Sauber-Team als Zweiter empfehlen können, auch Paul di Resta (Force India) oder die Toro-Rosso-Junioren Jean-Eric Vergne und Daniel Ricciardo haben Top-Ten-Qualitäten. "Es wird ganz bestimmt ein faszinierendes Jahr mit immer wieder neuen Verschiebungen", prophezeit Red-Bull-Mann Horner. Glücklich sieht er dabei nicht aus.

© SZ vom 17.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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