Fehlender Teamgeist im DFB-Team?:Joachim Löw erkundet den Sprengsatz

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Bundestrainer Löw holt Bastian Schweinsteiger zu den WM-Qualifikationsspielen gegen Irland und Schweden in die DFB-Elf zurück. Dessen Andeutungen zum möglicherweise fehlenden Teamgeist während der EM bringen das heile Gebilde Nationalmannschaft ins Wanken. Löw reagiert ratlos - und kündigt ein Gespräch mit dem Bayern-Profi an.

Thomas Hummel

Joachim Löw stellt in Frankfurt seinen Kader für die Spiele gegen Irland und Schweden vor. (Foto: dpa)

Joachim Löw schien sich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt zu haben. Etwas ratlos wirkte der Bundestrainer, als er während einer Pressekonferenz auf die Worte von Bastian Schweinsteiger angesprochen wurde. Der Mittelfeldspieler des FC Bayern München hatte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zuletzt angedeutet, dass es der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft im Sommer an Teamgeist gemangelt habe.

Schweinsteiger hatte darin das aktuelle Innenleben bei den Bayern-Profis gelobt: "Wir haben gerade wirklich einen guten Geist in der Mannschaft, das spürst du ja zum Beispiel, wenn ein Tor fällt: Springt da die komplette Bank auf? Bei uns springt sie auf", und anschließend übergeleitet: "Das ist vielleicht ein kleiner Unterschied zur Nationalmannschaft bei der EM. Da sind nicht immer alle gesprungen."

In dieser Aussage liegt eine Menge Sprengsatz für das Bundestrainer-Team. Lobt es doch unablässig die Einstellung der zumeist jungen Profis, stellt die Nationalmannschaft als Hort des uneitlen Gemeinsinns dar. Soll das alles Fassade sein? Machte das Team im Halbfinale gegen Italien auch deshalb einen blutleeren Eindruck, weil eine interne Missstimmung die Auflehnung gegen die Niederlage erschwerte?

Löw wies den Verdacht zurück. "Das konnte ich so nicht feststellen. Das war so nicht der Fall", sagte er, "ich hatte bei den ersten vier Spielen immer den Eindruck, dass sich die Mannschaft trotz mancher Konflikte und Schwierigkeiten, die bei einem solchen Turnier immer auftreten, sehr harmonisch präsentierte." Er räumte indirekt ein, dass nach der Pleite gegen Italien die Harmonie endete, doch sei das angesichts der Enttäuschung ebenfalls normal. Also alles halb so schlimm?

Dass Toni Kroos mit seiner Reservistenrolle in den ersten EM-Spielen wenig anfangen konnte, war ihm in Polen und der Ukraine im Gesicht abzulesen, einmal äußerte er sich auch dahingehend öffentlich. Und ob die Dortmunder, die nach dem Double-Gewinn fast komplett auf der Bank versammelt waren, viel mit den dreifachen Vize-Münchnern, die bis auf Kroos fast immer alle spielten, so viel anfangen konnten?

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Der Bundestrainer wirkte selbst überfragt. Er werde demnächst mit Bastian Schweinsteiger darüber sprechen, "um zu erkunden, wie er das gemeint hat". Löw schaue während der Spiele bei den Toren nicht auf die Bank, wie viele aufspringen und ob alle aufspringen. Er beteuerte indes, dass nach seinem Eindruck der Teamgeist bei den Spielern immer ausgeprägt war. "Ich weiß, dass das bei der EM auch so war", erklärte er.

In der kommenden Woche wird Löw erfahren, was sein erklärter Anführer mit dieser Andeutung konkret meint. Bastian Schweinsteiger kehrt für die Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft 2014 gegen Irland (Freitag, 12. Oktober, in Dublin) und Schweden (Dienstag, 16. Oktober, in Berlin) in den DFB-Kader zurück. Der Mittelfeldspieler hatte trotz Schmerzen im verletzten Knöchel bei der EM gespielt, konnte aber nicht sein höchstes Niveau erreichen. Löw hielt dennoch während des gesamten Turniers an ihm fest.

Anhand der aktuell wieder sehr guten Form beim FC Bayern dürfte Schweinsteiger auch direkt in die erste Elf rutschen und mit Sami Khedira von Real Madrid das Zentrum bilden. Mehr Sorgen bereiten Löw weiterhin die Positionen der Außenverteidiger und der Sturmmitte. Vorne ist durch die Verletzung von Mario Gomez weiterhin Miroslav Klose die einzige Spezialkraft. Umso freudiger nahm Löw zur Kenntnis, dass Lukas Podolski bei Arsenal London sich erstens sehr gut eingeführt hat und zweitens bisweilen im Angriffszentrum spielt. Ko-Trainer Hansi Flick sei mehrmals in London gewesen, "auch beim Training", wie Löw berichtete, um Podolski zu beobachten und mit dessen Trainer Arsène Wenger zu sprechen. Ergebnis: "Wir sind mit seiner Entwicklung sehr zufrieden." Da scheint vergessen, dass Podolski einst beim FC Bayern in der Sturmmitte gescheitert war.

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Auf den Außenverteidiger-Positionen fahndet Löw ebenfalls nach einer Lösung. In Dublin gegen Irland wird diese durch die Sperre für Philipp Lahm erschwert. So ist Marcel Schmelzer wohl trotz seines missglückten Spiels in Österreich auf links gesetzt. "Wir bringen ihm großes Vertrauen entgegen, er hat sich in Dortmund ständig weiterentwickelt. Bei der Nationalmannschaft brauchen manche Spieler eine gewisse Dauer, um sich durchzusetzen", erklärte Löw. Aus seinen Worten sprach allerdings mehr Hoffnung als Überzeugung. Marcel Schmelzer und Joachim Löw, das ist im Moment ein Zweckbündnis. Und rechts hinten dürfte Jérôme Boateng oder Lars Bender als Lahm-Ersatz gelten - der eine im Verein ein Innenverteidiger, der andere defensiver Mittelfeldspieler.

Auch U21-Trainer Rainer Adrion, der auf der Pressekonferenz neben Löw saß, konnte dem Bundestrainer keine Hoffnung auf baldige Abhilfe der Außenverteidiger-Problematik machen. "Wir warten da noch auf eine Leistungsexplosion der Spieler, die wir testen. Rechts ist es nicht ganz so dramatisch, aber hinten links sind wir im ganzen Jugendbereich dabei, für die A-Mannschaft jemanden auszubilden."

Dabei sollte dieser nicht nur gut Fußballspielen können, sondern selbstverständlich bei Versetzung auf die Ersatzbank bei Toren der eigenen Mannschaft jubelnd aufspringen.

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