An jenem Abend konnte man drei Zeiten auf einmal sehen. Die Vergangenheit, weil man ja wusste, was dieser Mann geleistet hat. Die Gegenwart, weil er nun an einem der beiden Enden des Tisches saß und eine Scheibe Brot mit Wurst aus der hauseigenen Metzgerei verdrückte. Und in gewisser Weise auch die Zukunft, weil eines schon an diesem Frühsommerabend klar war: Einen wie Bernd Hollerbach, der alles zusammengehalten hat und nun zurückgetreten ist, den würden die Würzburger Kickers nicht ersetzen können.
Es sind mehr als sechs Jahre vergangen, seit Hollerbach eine Handvoll Reporter zu Brot und Bier in sein Elternhaus eingeladen hat, um sich zu verabschieden. Doch der Abend von Rimpar erzählt nicht nur eine Menge über den Aufstieg und Fall der Kickers, sondern auch über das Hier und Jetzt.
Freitagabend, 2339 Zuschauer am Dallenberg, Würzburg gewinnt 2:0 gegen den FV Illertissen und bleibt damit auch im 21. Saisonspiel ungeschlagen. Eine Serie, wie sie die Kickers seit dem Regionalliga-Jahr 2014/15 nicht mehr hingelegt haben. Damals hieß der Trainer Bernd Hollerbach, und die Würzburger Welt war noch in Ordnung. Später aber geriet sie mehr und mehr aus den Fugen, weil - niedriger lässt es sich nicht einhängen - das verloren ging, was aus jenem Abend von Rimpar sprach: Menschlichkeit.
Wenn jetzt Sebastian Neumann über diese Zeit spricht, dann meint er vor allem die eineinhalb Jahre vor seinem Einstieg als Sportdirektor im November 2021. "Mein Eindruck war, dass die Kickers vergessen haben, wo sie herkommen, als sie in der zweiten Liga waren", sagt Neumann, "und sie haben es verpasst, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es auf dem Niveau braucht." Die Versuchung, in kurzer Zeit großen Erfolg zu haben, war groß. Und so entschieden sich die Kickers, die Welle zu reiten, die sich da vor ihnen auftürmte. Es war eine ziemlich große Welle, und wie man mittlerweile weiß, hatte sie eine derartige Wucht, dass sie den Klub beinahe dazu gebracht hätte unterzugehen.
Erst in der Regionalliga kam es zur Wiedervereinigung von Fans und Verein
"In der dritten Liga haben sich Fans und Verein auseinandergelebt. Sie waren nicht mehr eins - und dann haben sich auch Sponsoren abgewendet", sagt Neumann. Sieben Jahre lang, zwischen 2015 und 2022, waren die Kickers zweit- oder drittklassig, machten aber zu oft den zweiten Schritt vor dem ersten und entfernten sich Schritt für Schritt von ihren Anhängern. Im Grunde war der Verein zu dieser Zeit nichts anderes als ein Talent, das hoch hinaus wollte und tatsächlich auf sich aufmerksam machte, dann aber plötzlich vergaß, was es überhaupt ins Rampenlicht gebracht hatte. Und so kehrten die Kickers wieder dorthin zurück, wo sie schon waren, bevor Hollerbach kam.
Erst in der Regionalliga kam es zur Wiedervereinigung von Fans und Verein - und jetzt, im zweiten Jahr nach dem Abstieg, hat sich Würzburg so aufgestellt, dass die Rückkehr in die dritte Liga nur davon abhängen dürfte, wie sich die Mannschaft in den Aufstiegsspielen Ende Mai schlägt. Dass den Kickers noch eine Mannschaft auf dem Weg zur Meisterschaft in der Bayern-Staffel in die Quere kommt, ist nach zwei Dritteln der Saison beinahe auszuschließen - zumal Verfolger Vilzing keinerlei Drittliga-Ambitionen hegt.
"Nach dem Abstieg wollten wir einen richtigen Neuanfang, nicht nur einen Umbruch", sagt Neumann, "dass wir jetzt 21 Spiele ungeschlagen sind, spricht für die Mannschaft und das Trainerteam." Was Neumann nicht sagt: Es spricht auch für ihn, den Baumeister der neuen Kickers.
Zum Saisonende laufen die meisten Verträge aus, doch Sportchef Neumann sieht das gelassen
In Würzburg waren immer Visionäre am Werk: Hollerbach als Trainer und Manager, Thorsten Fischer als Geldgeber, später sprach ein gewisser Felix Magath sogar vom Europapokal, als er als Berater engagiert wurde, hinter der Bühne aber die Fäden in der Hand hielt. Nach Höherem zu streben, groß zu denken, das tat dem Klub lange gut - allerdings nur, bis sich die Verantwortlichen nach dem zweiten Aufstieg in die zweite Liga darin verloren.
Inzwischen lenkt wieder ein Mann den Würzburger Fußball, der ebenso planvoll und unaufgeregt daherkommt, wie es Hollerbach tat, als er 2014 seinen Dienst in der Regionalliga antrat. Sebastian Neumann verkörpert das, was die Fans in die früheren Kickers hineinlesen - und er steht für Sachlichkeit.
Diese legt er auch an den Tag, wenn er über all die offenen Fragen spricht, die die Zukunft der Kickers betreffen. Nach den Abstiegen aus der zweiten Liga in die Viertklassigkeit ist der Klub finanziell auf einem äußerst schmalen Grat gewandert, und nun laufen die Verträge von Neumann und Trainer Marco Wildersinn zum Saisonende ebenso aus wie die der Spieler. Neumann sagt aber: "Ich bin da relativ entspannt. Natürlich sind Begehrlichkeiten da. Das merken wir, wenn wir die ganzen Scouts bei uns im Stadion sehen. Aber das ist auch eine Bestätigung für unsere Arbeit."
Dass sich die Kickers in nunmehr eineinhalb Regionalliga-Jahren einer Kur unterzogen haben und sich auf dem zweiten Bildungsweg wieder in den professionellen Fußball aufmachen, das ist auch anderen Vereinen nicht verborgen geblieben. Der Würzburger Kader ist gespickt mit Spielern, die sich längst für höhere Aufgaben empfohlen und ihre beste Zeit wohl noch vor sich haben, doch Neumann sagt: "Es ist immer einfacher, zusammen aufzusteigen, als alleine."
Der Sportdirektor hofft, dass diese Botschaft bei den Spielern ankommt. Er will den Kader beisammen halten und die Kickers zurück in die dritte Liga führen. Die Basis, die dafür nötig ist, hat Sebastian Neumann schon gelegt.