Niederlage gegen Hertha:Bayern plagt die trügerische Überlegenheit

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Berlins Keeper Thomas Kraft musste nicht oft so eingreifen - die Bayern entwickelten keine Wucht. (Foto: AFP)
  • Beim 0:2 in Berlin zeigt sich, dass der FC Bayern derzeit nur scheinbar besser spielt als seine Gegner.
  • Hertha-Trainer Dardai findet die richtigen Mittel, um die Münchner in der ersten Hälfte auszuspielen.
  • Die Münchner reagieren frustriert und sauer - vor allem über sich selbst.

Von Benedikt Warmbrunn, Berlin, Berlin

Jérôme Boateng verpackte seinen Blick mit einer Wolke aus Glasigkeit. James Rodríguez stellte sich taub. Arjen Robben war so schnell wie sonst kein einziges Mal an diesem Abend. Joshua Kimmich entschuldigte sich zumindest, Griff an den rechten Oberschenkel, er müsse dringend zum Physio, leider. Serge Gnabry fasste sich nur an den rechten Oberschenkel, kein entschuldigender Blick, kein entschuldigendes Wort. Und Sandro Wagner kam mit nacktem Oberkörper, dazu mit Augen, die so gerötet waren wie sonst nur nach einer langen Nacht in der Raucherkneipe. Dann waren sie alle verschwunden.

Fußballer, die in die Kabine gehen, gehören zum Alltag eines jeden Fußballspiels. Ein Fußballer muss in die Kabine gehen, gerade an so einem Abend wie dem am Freitag in Berlin, kein Fußballer will eine Unterkühlung riskieren. Doch die Fußballer des FC Bayern spulten am Freitag in Berlin kein Routineprogramm ab. Die Männer, die hektisch den Rasen des Olympiastadions verließen, waren aufgebracht, sie waren frustriert, sie waren sauer. Sie wollten nur weg vom Schauplatz eines Geschehens, das für sie eine kleine historische Note hatte.

Pleite in Berlin
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Der FC Bayern verliert in Berlin verdient 0:2 - es ist die erste Niederlage unter Trainer Niko Kovac, dessen Team gegen eine clevere Hertha erstaunlich unstrukturiert auftritt.

Von Benedikt Warmbrunn

0:2 (0:2) hatte der FC Bayern bei Hertha BSC verloren, es war die erste Niederlage in einem Pflichtspiel in dieser Saison, somit war es auch die erste Niederlage in einem Pflichtspiel unter Trainer Niko Kovac. Dass sie irgendwann verlieren würden, das hatten sie selbst beim FC Bayern vorhergesagt, das war nicht das Beunruhigende an diesem Abend; Kovac selbst hatte am Montag gesagt, dass sein Team Punkte "liegen lassen" werde.

Drei beunruhigende Aspekte

Beunruhigend waren drei andere Aspekte. Dass durch diese Niederlage absehbar war, dass die Mannschaft an diesem sechsten Spieltag die Tabellenführung an Borussia Dortmund abgeben würde. (Werder Bremen ließ die günstige Gelegenheit aus, an den Münchnern vorberizuziehen.)

Dann, dass diese Niederlage zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage für liegen gelassene Punkte stand, nach dem 1:1 am Dienstag gegen Augsburg - zwei Ligaspiele in Serie hatte der Klub zuletzt vor einem Jahr nicht gewonnen, das erste davon, das 2:2 gegen Wolfsburg, war das letzte des Trainers Carlo Ancelotti, den sie in München gerne vergessen würden (das zweite war ein 2:2 in Berlin unter Interimscoach Willy Sagnol, den sie zumindest als Interimscoach in München eigentlich schon wieder vergessen haben). Und schließlich, dass sie sich alle eingestehen mussten, dass diese Niederlage in Berlin vollkommen verdient war.

Alle gestanden sich das ein? Nicht ganz. Einer blieb "sehr entspannt". Und zwar der, der nun erstmals kritische Fragen hören muss.

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Noch zu Wochenbeginn wirkte es so, als gelinge Kovac alles, was er versucht. Wen er auch aufstellte - es funktionierte. Sogar Renato Sanches, den beim FC Bayern viele als 35-Millionen-Euro-Fehlinvestition abgeschrieben hatten, zeigte das Talent, das in ihm steckt. Die sieben ersten Pflichtspiele hatte der Klub gewonnen, nach dem vierten Spieltag war er souveräner Tabellenführer, zwei Siege gegen Augsburg und Berlin, und der Vorsprung wäre auf vier Punkte angewachsen. Dann kam es jedoch eben anders, innerhalb von vier Tagen.

Boateng rutscht über den Rasen mit der Eleganz eines defekten Staubsaugerroboters

Kovac machte am Freitagabend das, was er am besten kann. Er blieb smart. Und so weigerte er sich beharrlich dagegen, seine Arbeit allein auf diese vier Tage zu reduzieren, so beharrlich wehrte er sich, dass es ihm sogar gelang, diese vier Tage aus seiner Startbilanz wegzureden. "Wenn man als FC Bayern 0:2 in Berlin verliert, dann glaubt einem keiner, dass man mit der Leistung zufrieden sein kann", sagte Kovac, und ohne Luft zu holen fügte er hinzu: "Ich finde, dass wir das gut gemacht haben, dass wir phasenweise gut kombiniert haben." Sehr smart war das. Das Problem war nur, dass diese Aussage Kovac tatsächlich nur wenige glauben wollten.

Beim FC Bayern lobten sie, dass sie so dominant gewesen seien, aber das war eine einseitige Betrachtung der Partie. Der FC Bayern hatte ein Plus im Ballbesitz, das schon, doch diese Statistik fasste eine Partie selten so ungenügend zusammen wie an diesem Abend. Die Hertha spielte zwei unterschiedliche Halbzeiten, und diese beiden führten gerade in ihrem Mix dazu, dass der FC Bayern nicht die bessere Mannschaft waren. Im ersten Durchgang war Berlin mutig, zielstrebig, kombinationssicher. Und vor allem bei den Toren war das Team schneller, mit den Beinen und auch im Kopf.

Vor dem ersten Treffer schlug Ondrej Duda eine schicke Flanke auf Vedad Ibisevic. Dessen Kopfball parierte Manuel Neuer. Dann war aber Salomon Kalou flink unterwegs, und Boateng rutschte über den Rasen mit der Eleganz eines defekten Staubsaugerroboters. "Eigentlich geht das nicht", sagte Kovac zu der Szene, bei der Boateng den flinken Kalou umgrätschte. Den folgerichtigen Elfmeter verwandelte Ibisevic (23.).

"Ich glaube nicht, dass das alles Pech ist", kritisiert Joshua Kimmich

Vor dem zweiten Treffer war Kalou zu schnell für David Alaba, Valentino Lazaro war zu schnell für Boateng, und dann stand Duda einsam im Strafraum. Eine Chance, die er sich nicht nehmen ließ (44.). "In der ersten Halbzeit waren wir spielerisch einen Tick besser", sagte Herthas Trainer Pal Dardai, der seine Mannschaft und sich selbst üblicherweise nicht derart offensiv lobt. "Das war fast perfekt."

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In der zweiten Halbzeit zog sich die Hertha vor das Tor zurück, überließ den Gästen noch mehr den Ball. Doch wieder war das eine trügerische Überlegenheit. Kovac sprach zwar später wie nach dem Remis gegen Augsburg von vielen ausgelassenen Chancen, doch eigentlich war das nur erneut besonders smart.

Denn sonderlich viele Chancen ließ die Hertha nicht zu. Torwart Thomas Kraft klärte einmal in der Art eines Scheibenwischers vor Robert Lewandowski (68.), einmal wehrte der frühere Münchner einen Kopfball des FCB-Angreifers ab (79.). Viel mehr zwingende Chancen erspielten sich die Gäste nicht. "In der zweiten Halbzeit haben wir es kämpferisch gut gemacht", sagte Dardai. Und das wollten ihm viele glauben.

Spät am Abend kam dann Joshua Kimmich noch einmal aus der Kabine zurück. Der Rechtsverteidiger klang alles andere als entspannt. "Ich glaube nicht, dass das alles Pech ist", sagte er, "wir müssen es uns auch schon wieder erarbeiten, weil wir die Vielzahl an Chancen nicht nutzen und hinten die Fehler machen. Das hatten wir in der letzten Saison auch schon. Das ist dann einfach auch eine Sache von Qualität.". Wer Joshua Kimmich an diesem Abend glauben wollte, der musste sich auf einen spannenden Herbst einstellen.

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