Sieg in Bielefeld:Bayern betreibt Frustabbau

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Bayern-Profi Joshua Kimmich (re.) brüllt auch ein bisschen Champions-League-Frust raus, als er mit seinem Kumpel und Torschütze Serge Gnabry jubelt. (Foto: Ulrich Hufnagel/Imago)

Die Münchner verarbeiten das Champions-League-Aus zumindest teilweise mit einem 3:0 in Bielefeld. Nun winkt ein Matchball in der Meisterschaft - zu Hause gegen Dortmund.

Von Ulrich Hartmann, Bielefeld

Ihre tröstende Wirkung erzielt die biblische Passionsgeschichte nicht zuletzt durch den vorhersehbaren Ausgang. Das ist beim Fußball anders. Hier gibt es allenfalls Wahrscheinlichkeiten, selbst wenn Arminia Bielefeld gegen Bayern München spielt. Ob er von seiner Mannschaft eine Trotzreaktion und Wiedergutmachung erwarte, war Bayern-Trainer Julian Nagelsmann fünf Tage nach dem Champions-League-Aus gegen Villareal und vor dem Anpfiff am Ostersonntag in Bielefeld gefragt worden. Er antwortete lakonisch in angemessener Metaphorik: "Auferstehung wäre ganz gut."

Am Ende haben erwartungsgemäß auch die Bayern ihren Trost bekommen sechs Tage vor jenem Bundesliga-Topspiel gegen Borussia Dortmund am kommenden Samstagabend, in dem sie den zehnten Meistertitel in Serie perfekt machen können. "Da wollen wir's finalisieren", sagt Nagelsmann. Den dazu hilfreichen 3:0 (2:0)-Sieg gegen die Arminia errangen die Bayern 600 Kilometer fern der heimischen Bergwelt auf der Bielefelder Alm.

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Der Bayern-Boss zweifelt im Fernsehen an einem Transfer des Norwegers und bekräftigt, dass die Münchner Lewandowski unbedingt halten wollen - auch mit anderen Etablierten sei man in "gutem Austausch".

Das Stadion im ostwestfälischen Flachland wird liebevoll Alm genannt, seit die ersten Arminia-Fußballer 1920 auf der Weide eines Kuhbauern kickten, der Lohmann hieß und seinen Namen dem Arminia-Maskottchen leiht, einem Stier im Fußballtrikot.

Stiere soll man bekanntlich nicht mit farblichen Reizen provozieren, aber dass die Bayern deswegen auf ihre geliebte rote Tracht verzichten würden, hatte niemand erwartet. In entsprechender alarmfarbener Dienstkleidung stellten sie sich den weiß-blau gestreiften Ostwestfalen entgegen und zeigten sich zwecks Wiedergutmachung in einem Zustand, den man in der Branche "knackig" nennt. Robert Lewandowskis erster Kopfball in der 8. Minute landete aus kürzester Distanz nur deshalb an der Latte, weil Bielefelds artistisch gesegneter Torwart Stefan Ortega ihn dorthin ablenkte.

Nianzou mit rot-würdigem Ellenbogeneinsatz

Zwei Minuten später versagte der Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck den Bayern-Treffer zum 1:0 zunächst. Er hatte mit bloßem Auge nicht erkennen können, dass Alphonso Davies nach einem langen Ball von Joshua Kimmich eben nicht im Abseits stand, ehe er den Ball derart in den Bielefelder Strafraum hineinköpfelte, dass Lewandowski zwar knapp verpasste, der hinter ihm stehende Jacob Laursen den Ball mit der Brust aber ins eigene Tor prallen ließ. Erst eine Videoüberprüfung bestätigte die Richtigkeit des Treffers.

Per Déjà-vu, also ebenfalls erst nach Video-Einsatz, fand Münchens zweites Tor Eingang in die Spielwertung. Auch Kimmichs Pass auf den Vollstrecker Serge Gnabry in der siebten Minute der Nachspielzeit war Millimeter-Arbeit und beschloss die 2:0-Pausenführung. Derart viel Nachspielzeit war nötig, weil Bayerns Abwehrmann Tanguy Nianzou mit dem Ellbogen voran in ein Kopfballduell mit Fabian Kunze gegangen war und gelbbestraft mitansehen musste, wie Kunze vom Platz getragen wurde. Sogar Nagelsmann gestand später, dass eine rote Karte hier angemessen gewesen wäre. Er nahm den 19-jährigen Verteidiger als "erzieherische Maßnahme" in der Pause heraus. Doch der versäumte Platzverweis und ein zuvor wegen äußerst knappem Abseits aberkanntes Arminia-Tor durch Masaya Okugawa (43.) ließen den Bielefelder Fans die Adern anschwellen.

Der Bielefelder Fabian Kunze beharkt sich mit Bayerns Tanguy Nianzou. In einem anderen Zweikampf setzt der Münchner seinen Ellenbogen gefährlich ein. (Foto: Martin Meissner/AP)

Unter Trainern war man sich da gewogener. Der Bielefelder Coach Frank Kramer und Nagelsmann kennen sich aus jener Zeit vor zehn Jahren bei der TSG Hoffenheim, als Kramer dort Trainer der zweiten Mannschaft war und Nagelsmann Trainer der B-Jugend. "Wir haben unsere ersten Schritte im Profifußball gemeinsam gemacht", berichtete Kramer. Vor dem Spiel hatte man ihn gebannt zuhören sehen, als Nagelsmann gestenreich aus der großen weiten Fußballwelt berichtete.

Ohne den rot-gefährdeten Nianzou und stattdessen mit Josip Stanisic in der Dreierkette gingen die Bayern in eine zweite Halbzeit, die sie allenfalls noch routiniert herunterspielten. Fünf Minuten vor Schluss machte Jamal Musiala den 3:0-Endstand perfekt. Es war ein Stich ins Herz der tapfer kämpfenden Bielefelder. Auch sie benötigen ja eine Auferstehung. Ihnen ist in den vergangenen sieben Spielen nur ein einziges Pünktchen mit einem einzigen Törchen gelungen, dabei haben sie 17 Gegentreffer erlitten. Ihnen droht der Abstieg in die zweite Liga.

Auf Einzelschicksale drunten im Tal kann man auf dem Gipfel freilich keine Rücksicht nehmen. "Frustabbau", nannte Gnabry prägnant den kühlen Sieg, seine Bayern wollen nächsten Samstag ja nicht mit Ressentiments Meister werden. Oder hilft der Erfolg in Ostwestfalen da womöglich gar nicht? "Es bleibt im Hinterkopf haften", behauptete jedenfalls Kimmich nach dem Spiel in Bielefeld mit Blick aufs Champions-League-Aus, "wir haben da leider eine große Chance liegenlassen." Auf das Spiel gegen Dortmund mit Titel-Option freut er sich nun aber umso mehr. "Wir wollten schon deshalb in Bielefeld gewinnen, um nächsten Samstag daheim gegen Dortmund alles klarzumachen", sagte Kimmich.

Das "Matchball-Spiel" gegen den BVB als Anreiz für den Sieg in Bielefeld hatte auch Nagelsmann so gesehen. Die zweite Halbzeit gegen die Arminia sei nun nicht gerade "der Mega-Leckerbissen" gewesen, "gegen Dortmund müssen wir schon noch ein bisschen besser spielen". Spätestens mit dem Meistertitel könnte den Münchnern dann aber die ersehnte Auferstehung gelingen - selbst wenn Ostern dann längst vorbei ist.

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