Fantypologie beim Finale:Gleich gibt's Golden Goal!

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Fußball-Fans in München: Beim Finale lauert Konfliktpotential (Foto: dpa)

Vorsicht, Nerv-Gefahr: Wer sich das Champions-League-Finale in Gesellschaft anguckt, muss sich auf Eigenarten seiner Mitmenschen gefasst machen. Die einen sagen ständig alle Gegentore voraus, die anderen sind durch Unkenntnis unfreiwillig belastend. Eine Typologie.

Von Saskia Aleythe

Ein Fußballspiel ist ein Minenfeld. Darüber kann keine Menschenansammlung in Kneipen oder vor dem heimischen Fernseher hinwegtäuschen, keine Zusammenkunft Tausender auf öffentlichen Plätzen vor riesigen Leinwänden. So gemeinschaftsbildend das Ereignis auch sein mag: Es kann verdammt gefährlich sein.

Dass Dortmund- und Bayern-Fans das Champions-League-Finale nicht immer in räumlicher Trennung anschauen können, ist dabei nur eine von vielen Hürden. Denn selbst, wenn die Sympathien in der Gruppe klar einer Mannschaft zuteilwerden, lauert Aggressionspotenzial. Ein explosives Gemisch entsteht vor allem aufgrund der verschiedenen Fußball-guck-Typen. Und ihren unsäglichen Kommentaren. Eine Typologie:

Der Schwarzseher

Der Schwarzseher vermutet hinter jedem Einwurf, Freistoß und Eckball der gegnerischen Mannschaft einen direkten Torerfolg und damit den unmittelbaren Niedergang des favorisierten Teams. Donnert der gegnerische Torwart den Ball beim Abschlag über die Mittellinie, brüllt er schon ein "Uh, das wird gefährlich". Treten die eigenen Spieler an den Elfmeterpunkt, "geht der Ball garantiert vorbei". Der Schwarzseher war es auch, der beim Finale 2012 Didier Drogbas Tor zum 1:1 ankündigte, als sich Juan Mata in der 87. Minute den Ball an der Eckfahne zurechtlegte. Er hat sich das trotz Lynchandrohungen seiner Umgebung auch danach nicht abgewöhnt.

Der Optimist

Der Optimist hegt wie der Schwarzseher eine Leidenschaft für Voraussagen, nur mit positivem Ausgang. Für ihn ist das Spiel eigentlich schon vor Anpfiff gewonnen, denn eines ist klar: Das eigene Team holt den Titel, selbstverständlich. "Was soll da noch schiefgehen?", tönt er großspurig und verweist wahlweise auf die Historie oder die aktuelle Topform der Mannschaft. Stellt sich der Spieler des geliebten Vereins zum Freistoß auf, stößt der Optimist schon zum Torerfolg an. Fällt doch mal ein Gegentreffer, ist das auf glückliche Umstände des Rivalen oder Unfähigkeit von Schieds- oder Linienrichter zurückzuführen. Doch auch das ist kein Problem - "das Spiel drehen sie ja gleich wieder".

Der Ahnungslose

Vor allem Kommentare der Sparte "unwissend" lassen dem Zuschauer den Blutdruck nach oben schnellen. Dafür verantwortlich ist meistens: der Ahnungslose. Von ihm geht erhöhte Nervgefahr aus. Denn: Er scheut sich nicht, seine Inkompetenz mit anderen zu teilen. Eine Auswahl an möglichen fürchterlichen Kommentaren zum Finale in Wembley:

  • Wann ist denn das Rückspiel?
  • Wo spielen sie denn?
  • Und in welchen Trikots spielen die Deutschen?
  • Was bedeutet eigentlich dieses "Mia san mia" des BVB?
  • Hoffentlich geht's nicht Unentschieden aus.
  • Und wann kommt Klose?
  • Gleich gibt's Golden Goal!

Der Eventfan

Als Unterart des Ahnungslosen mischt sich bei wichtigen Spielen wie dem Champions-League-Finale der Eventfan unters Publikum und fungiert damit meist lediglich als Füllstoff in den ohnehin engen Bars und Kneipen. Er konzentriert sich ausnahmslos auf die Randerscheinungen, kommentiert das Outfit der Bundeskanzlerin und Jürgen Klopps Brillengestell. "Dem Robben täte eine richtige Frisur auch ganz gut", sagt er und philosophiert darüber, ob Mario Gomez und Marco Reus das gleiche Haargel benutzen. Bei abgepfiffenen Abseitstoren jubelt der Eventfan am längsten. Warum der Treffer nicht zählt, will er eigentlich gar nicht wissen - sondern nur, wer in der Pause das Showprogramm aufführt. Der Eventfan fiebert mit, neigt aber sofort nach Abpfiff zur totalen Beschwichtigung im Falle einer Niederlage. Oft gebrauchte Sätze: "Ist doch bloß ein Fußballspiel" und "dann gewinnen sie eben nächstes Jahr". Das will in dem Moment wirklich niemand hören.

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Der Experte

Ein Fantrikot kommt nicht an den Körper des Experten, höchstens eine edle Anstecknadel an der alltagstauglichen Poloshirt-Variante. Hier handelt es sich ja um einen gealterten oder verhinderten Profifußballer, der sich vor allem für den Sport interessiert - und seine technischen wie taktischen Finessen. "Das Gegenpressing funktioniert heute überhaupt nicht, die Räume sind zu groß, da muss der Defensivverbund massiv verschieben", gibt er zu Bedenken. Über die "Dropkick-Innenseite", den "Außenspannstoß" und die richtige "Ausschwungphase" beim Schießen weiß er ebenso Bescheid wie über die Vor- und Nachteile der Viererkette. Ob ein Ball haltbar war oder nicht - der Experte beansprucht dafür alleiniges Urteilsrecht ("aus dem Winkel hat er keine Chance"). Er wähnt sich natürlich im Recht. Schließlich hat er sein "ganzes Leben lang aufm Platz gestanden." Darauf weist er gerne hin. Ungefragt. Immer und immer wieder.

Der Ignorant

Der Ignorant wollte in seiner Stammkneipe eigentlich nur ein Bierchen die Kehle runterspülen - und findet sich plötzlich inmitten eines riesigen Fangetümmels wieder. "Nirgendwo kann man mehr hingehen, ohne dass dieser Fußball läuft", brabbelt er vor sich hin und guckt missmutig drein. "Was für ein Finale?", fragt er mehr genervt als interessiert und schickt noch ein "Ist jetzt jedes Jahr WM?" hinterher. Nach einem Monolog über die überzogenen Gehälter von Fußballprofis und Bundestagsabgeordneten wendet er sich nur widerwillig der Leinwand zu. Und lacht gehässig über vergebene Torchancen beider Teams.

Der Provokateur

Flexibel wie ein Chamäleon wechselt der Provokateur seinen Standpunkt, das übergeordnete Ziel: die Mitmenschen ärgern. Seiner Meinung nach stehen sowieso die falschen Mannschaften im Finale. "Bayern gönne ich es nicht, Dortmund nervt auch", sagt er und wünscht sich Manchester City und Juventus Turin nach London. Der Provokateur streut alle paar Minuten mit abwertender Handbewegung vor allem ein Wort ein: "Lächerlich".

Der Stumme

Glücklich kann sich schätzen, wer den Stummen an seiner Seite wähnt. Dieser Zuguck-Typ fühlt sich innerlich in den Posten des Ko-Trainers versetzt und ist so angespannt, dass ihm selbst Getränkebestellen unmöglich ist. Der Stumme atmet meist unauffällig und presst höchstens ein leises "Uff" aus seinem Körper - variabel angewandt. Beim Torjubel könnte ihm zusätzlich ein kleines Faustballen unterlaufen, Gegentreffer verkraftet er pantomimisch mit einer Hand an der Stirn. Sein Umfeld bekommt der Stumme kaum mit, selbst auf Kommentare seiner Begleitung antwortet er nicht. Für das Finale am Samstag ist der Stumme eine gute Partie - für Trubel sorgen schließlich schon alle anderen.

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