Kasper Hjulmand bei Dänemark:Mehr Mensch als Trainer

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Außergewöhnliche Tage: Der Trainer der Dänen, Kasper Hjulmand, geht in Kopenhagen voll aus sich raus. (Foto: Mads Claus Rasmussen/imago)

Kasper Hjulmand wurde einst bei Mainz 05 entlassen, weil er auf seinen Idealen beharrte. Nun verhelfen sein Fachwissen und seine Nahbarkeit Dänemarks Fußballern zu Höchstleistungen.

Von Sebastian Fischer

Die dänischen Fußballfans haben in den vergangenen Tagen Gespür bewiesen für die richtigen Worte und Gesten. Sie riefen Christian Eriksens Namen gemeinsam mit den Gästen aus Finnland, nachdem Dänemarks bester Spieler auf dem Rasen in Kopenhagen zusammengebrochen war. In der zweiten Partie gegen Belgien applaudierten sie für ihn und brüllten für die Mannschaft, die für Eriksen rannte.

Als die Dänen dann am Montagabend wie berauscht Russland mit 4:1 schlugen, um ins Achtelfinale einzuziehen, feierten die Fans den Fußball und das Leben. Und irgendwann sangen sie immer wieder den Namen von Kasper Hjulmand.

Es gibt ein paar Trainer, die bei diesem Turnier bereits aufgefallen sind. Rob Page, Coach von Dänemarks nächstem Gegner Wales, hat mit einer eher durchschnittlichen Elf die Gruppenphase überstanden. Roberto Mancini hat eine italienische Mannschaft komponiert, die überraschenden Offensivfußball zeigt. Aber solche Leistungen sind nicht mal im Ansatz vergleichbar mit dem, was seit nunmehr eineinhalb Wochen die Aufgaben von Dänemarks Trainer sind: Den richtigen Ton zu treffen bei der Ansprache an eine Mannschaft, die auf dem Platz um das Leben eines Kollegen bangte; das Team darin zu bestärken, das Geschehene in positive Emotionen zu verwandeln, aber es auch nicht zu übertreiben.

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Dänemarks Nationaltrainer zu sein, ist Hjulmands "Traumjob"

Wenn man die Aussagen der Spieler hört, dann gelingt es ihm hervorragend. "Kasper ist außergewöhnlich", sagte Kapitän Simon Kjær. "Er ist schon als Trainer großartig, weil er an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden an Fußball denkt. Aber als Mensch ist er noch viel mehr als das." Linksverteidiger Joakim Mæhle sagte, es sei "die Leistung eines Mannes, dass wir rausgehen und eine solche Leistung abliefern können".

Ursprünglich war es gar nicht der Plan, dass Hjulmand, 49, Dänemarks Trainer für diese EM wurde. Er sollte im Herbst 2020 übernehmen, um einen Neuanfang zu starten, mit frischen Ideen, einer neuen Spielweise. Schon im Sommer 2019, als Dänemark noch gar nicht für die EM qualifiziert war, gab der Verband den Entschluss bekannt, dass Hjulmand nach dem Turnier Åge Hareide ablösen werde, Trainer seit 2016. Doch dann wurde die EM verschoben. Und Hjulmands Ideen prägen das Team seither.

In Dänemark war er zuvor als ein Trainer bekannt, der offensiven Ballbesitzfußball lehrt und so mit dem FC Nordsjælland 2012 die Meisterschaft gewann und die Champions League erreichte. Keinen anderen dänischen Erstligisten hat er trainiert außer den kleinen Klub in einem Vorort Kopenhagens. Nachdem eine Anstellung beim RSC Anderlecht scheiterte, verließ er Nordsjælland zum Vertragsende und übernahm das Nationalteam. Sein "Traumjob", wie er sagte.

Christian Heidel vergleicht Hjulmands Sachverstand mit dem von Thomas Tuchel

In Deutschland war er bislang vor allem für die kurze Zeit bekannt, in der er außerhalb von Dänemark arbeitete. Siebeneinhalb Monate lang, bis Februar 2015, war er in der Bundesliga bei Mainz 05 angestellt. Nach nur vier Siegen in 21 Spielen entließ ihn Christian Heidel, damals wie heute Mainzer Manager. Doch er machte das "voller Hochachtung", sagt Heidel am Telefon. Er habe das schon damals erklärt: "Kasper Hjulmand ist ein überragender Trainer. Aber wir waren noch nicht so weit für ihn."

Heidel, 58, darf durchaus zu Recht den Witz machen, dass Trainer so etwas wie sein Hobby sind. In Jürgen Klopp und Thomas Tuchel hat er in Mainz zwei der besten der Welt gefördert. Und es war just zu der Zeit, als er einen Nachfolger für Tuchel suchte, dass ihm Hjulmand auffiel. Als er ihn in Kopenhagen besuchte, habe er mit so viel Detailreichtum und Sachverstand über Fußball gesprochen, wie Heidel es vorher nur bei Tuchel erlebte. "Sein einziges Problem war es, den Beamer zu installieren. Anschließend hat er mir jede Mannschaft erklärt."

Als Mainzer Trainer hatte Kasper Hjulmand (re.) zwar wenig Erfolg, doch Manager Christian Heidel sagt, er habe für "eine kleine Revolution" gesorgt. (Foto: Jan Huebner/imago)

Wenn Heidel Hjulmands Verständnis des Spiels beschreibt, fällt ihm das erste Pflichtspiel des Trainers ein, Mainz verlor im DFB-Pokal nach Elfmeterschießen gegen den Drittligisten Chemnitzer FC. Danach saßen sie im Mannschaftsbus, schauten auf die Spielstatistiken - und der Sechser im defensiven Mittelfeld hatte nur zwei Zweikämpfe geführt. Heidel sagt: "Unser Verständnis war immer, der Sechser muss da hinten abräumen!" Doch Hjulmand habe ihn zum besten Mann erkoren und erklärt: Ein Sechser führe im Idealfall keine Zweikämpfe, sondern laufe nur die Räume zu, wenn das System funktioniert. "Das ist das Idealbild für ihn. Das war für Mainz eine kleine Revolution."

Die Revolution scheiterte allerdings an den Spielern, die seine Ideen nicht umsetzen konnten. Und sie scheiterte an Hjulmands Idealen. Die Mainzer hatten ihn zwar geholt, um sich fußballerisch weiterzuentwickeln, aber sie wollten den Plan ändern, als sie in Abstiegsgefahr gerieten. Hjulmand, sagt Heidel, habe aber auf Ballbesitzfußball beharrt. Er habe die Qualität der Mannschaft in der Bundesliga falsch eingeschätzt. Nun, in Dänemarks Nationalteam, habe er die nötige Qualität.

Hjulmand schafft es, die Spieler stark zu machen, ohne Stärke vorzugeben

Es ist auch rein taktisch eine Herausforderung, in Eriksen jenen Mittelfeldspieler zu ersetzen, dessen bisweilen geniale Ideen und dessen offensiver Freigeist ein großer Teil des dänischen Plans waren. Ohne den besten Fußballer hat Hjulmand das System gewechselt, vom 4-3-3 zu einem vorher schon erprobten 3-4-3. Auch personell ist das bislang aufgegangen: Hjulmand stellte die Offensive so um, dass nun in der Startelf Platz für Mikkel Damsgaard ist, der gegen Russland in seinem fünften Länderspiel ein Traumtor schoss. Der 20-Jährige gilt als eines der vielversprechendsten Talente des Turniers.

Mikkel Damsgaard (re.) schaut seinem Schuss hinterher - und auch Russlands Torhüter Matwei Safonow kann dem Ball nur noch hinterher schauen. (Foto: Stuart Franklin/AFP)

Doch, so sagen es ja auch die Spieler: Noch mehr als seine guten Ideen und sein Coaching ist es Hjulmands einfühlsame Moderation der schwierigen Situation, die ihn in diesen Tagen auszeichnet. "Intelligent und emotional", nennt ihn Heidel.

Hjulmand scheute sich nicht, die Uefa dafür zu kritisieren, wie über das Weiterspielen gegen Finnland entschieden wurde. Und er schaffte es, die Spieler stark zu machen, ohne Stärke vorzugeben. "Er selbst hat auch seine Emotionen gezeigt, nach dem, was mit Christian passiert ist. Er hat auch Hilfe gebraucht", sagte Linksverteidiger Mæhle.

Am Montag, nach dem Sieg gegen Russland, stand Hjulmand irgendwann gerührt allein vor den Fans, die ihn feierten. "Die Unterstützung und die Liebe, die wir von der gesamten Bevölkerung erfahren haben, ist großartig", sagte er: "Alle Emotionen des Lebens wurden in zehn Tagen komprimiert."

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