Frankreich bei der EM:Alles für Les Bleus

Frankreich bei der EM: Jubel nach seinen ersten Toren für Frankreich nach fünfeinhalb Jahren: Karim Benzema trifft gegen Portugal per Elfmeter zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich.

Jubel nach seinen ersten Toren für Frankreich nach fünfeinhalb Jahren: Karim Benzema trifft gegen Portugal per Elfmeter zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich.

(Foto: LASZLO BALOGH/AFP)

Dass Karim Benzema wieder für Frankreich stürmt, ist erstaunlich. Ob der Burgfriede zwischen ihm, Trainer Deschamps und der Nation hält, wird sich erst nach der EM zeigen. Es geht um eine alte Erpressungsgeschichte.

Von Claudio Catuogno, Budapest

Man kann die Geschichte auch auf die schlichten Zahlen reduzieren. Zwei Tore hat der Stürmer Karim Benzema, 33, von Real Madrid beim 2:2 (1:1) in Budapest gegen Portugal geschossen, das erste eine Minute vor und das zweite eine Minute nach der Halbzeit. Und: Es handelte sich - die eindrucksvollste Zahl von allen - um seine ersten Treffer für Frankreich seit dem 8. Oktober 2015. Also seit mehr als fünfeinhalb Jahren.

Nun war es aber nicht so, dass ganz Frankreich seit 2015 darauf gewartet hatte, Benzema endlich wieder für Les Bleus treffen zu sehen. Eher hätte es bis vor Kurzem kaum jemand für möglich gehalten, dass Benzema überhaupt noch mal das Nationaltrikot würde überstreifen dürfen. Ende Mai allerdings hatte Nationaltrainer Didier Deschamps, 52, ihn nach fast sechs Jahren aus der Verbannung zurückgeholt, auch im Lichte der 29 Tore, die Benzema in der vergangenen Saison für Real gelungen waren. "Frankreich steht über allem", hatte Deschamps bei der für viele überraschenden Nominierung gesagt - auch über den Wunden, die zwischen den beiden Männern in der Vergangenheit geschlagen worden waren.

Doch bis zum Anpfiff dieses letzten Spiels der Gruppe F, am Mittwochabend in Budapest, parallel zur Partie der Deutschen gegen Ungarn (2:2), waren schon vier Länderspiele mit Benzema absolviert. Tests gegen Wales (3:0) und Bulgarien (3:0) und die EM-Gruppenspiele gegen Deutschland (1:0) und Ungarn (1:1). Benzema wartete weiter auf seinen ersten Treffer - und Frankreich wartete mit. Bloß: So richtig schien vor allem das Zusammenspiel mit seinem Sturmpartner Antoine Griezmann vom FC Barcelona noch nicht zu klappen.

Nur fünf Mal hatte gegen Deutschland ein Zuspiel des einen den jeweils anderen gefunden, nur vier Mal gegen Ungarn. Und dann war da noch jene Szene, über die die Sportzeitung L'Équipe spöttisch schrieb, das bislang beste Zuspiel habe Griezmann dem Kollegen "mit der Hand gemacht": Als er ihm im Spiel gegen Wales den Ball für die Ausführung eines Elfmeters übergab - und Benzema verschoss.

Die gewaltige Erwartungshaltung im Land? Selbst die empfinde er längst als normal, sagt Benzema

Und nun also dieser doppelt durchschlagene Knoten beim 2:2 gegen Portugal: das 1:0 per Elfmeter, nach einem Foul von Torwart Hugo Lloris, das 2:1 nach einem genialischen Zuspiel von Paul Pogba. Nur, weil Cristiano Ronaldo zweimal per Elfmeter ausglich, reichte Benzemas Ausbeute nicht zum Sieg, was aber egal war - Frankreich wurde trotzdem Gruppensieger und spielt am Montag in Bukarest gegen die Schweiz. "Du darfst eben niemals aufgeben", sagte Benzema hinterher, und nein, er habe "keine Zweifel" verspürt - aber durchaus eine Erwartungshaltung im ganzen Land, "die für mich nach fünf Jahren des Wartens normal war".

Die Geschichte des Karim Benzema ist also durchaus in Zahlen zu fassen: Wie einer jahrelang "warten" musste, jahrelang "nicht berufen wurde", und jetzt ist er wieder da. Fünfeinhalb Jahre absence, so formuliert es L'Équipe fast in jedem Text. Warum Benzema "abwesend" war, das wird meist nicht mal mehr angedeutet. Selbst in einem Interview am Tag vor Benzemas Einzug ins Quartier in Clairefontaine-en-Yvelines bei Paris, sprach man zwei Stunden lang nur über "Sport, Sport, Sport".

Dabei wäre auch die Kriminalgeschichte um Benzema aus dem Jahr 2015 ein spannendes Thema gewesen. Und eine Rassismusgeschichte aus 2016 - der zweite Anlass seiner absence - wurde auch nie aufgearbeitet. Die eine Geschichte hängt mit der anderen zusammen.

Wegen Erpressung landete Benzema für eine Nacht in einer Gefängniszelle

Wohl noch in diesem Jahr muss Benzema vors Strafgericht. Die Justiz geht gegen ihn vor, weil ein Bekannter Benzemas versucht haben soll, dessen früheren Nationalelf-Kollegen Mathieu Valbuena mit einem Sexvideo zu erpressen, das ihn und seine Freundin zeigt. Und Benzema soll Valbuena bedrängt haben, 150 000 Euro zu zahlen, um die Sache diskret vom Tisch zu kriegen. Valbuena ging aber lieber zur Polizei - und Benzema landete damals sogar für eine Nacht in einer Gefängniszelle.

Benzema ist in Bron-Terraillon aufgewachsen, einer rauen Gegend vor den Toren Lyons. Er sprach anfangs von einem "Missverständnis" mit einem alten Schulfreund, der da eine Dummheit am Laufen hatte. Er, Benzema, habe darauf hinwirken wollen, dass Valbuena nicht bezahlt. Doch dann veröffentlichte der Sender Europe 1 Auszüge eines von der Polizei abgehörten Telefonats, das Benzema und einer seiner Erpresser-Freunde im Oktober 2015 geführt haben sollen, Benzema berichtet seinem Kumpel darin, wie am Vortag die Unterredung mit Valbuena gelaufen sei.

Er habe Valbuena klargemacht: "Du musst den Typen treffen. Wenn du willst, dass das Video zerstört wird, mein Freund, wird er dich in Lyon treffen." Und auch den Fall, dass sich Valbuena - trotz des guten Ratschlags - verweigern sollte, sollen die beiden laut der Abschrift durchgesprochen haben. Benzema: "Wenn er nicht will, pah, lass ihn, muss er sich halt mit diesen Piranhas rumschlagen. Die Piranhas werden ihn auffressen, Bruder."

"Wir können das nicht vergessen", sagt Trainer Deschamps. "Ich kann das nicht vergessen. Ich werde das nie vergessen."

Es ist wohl nicht mehr der Karim Benzema von heute, der da redet. Aber all das wird wieder hochkommen nach der EM. Im schlimmsten Fall droht ihm sogar eine Haftstrafe.

Fast ebenso viel Empörung hatte ausgelöst, zu wie wenig Selbstkritik Benzema im Lichte dieser Räuberpistole anfangs imstande war. Seine Eltern stammen aus Algerien, und als im Sommer 2016 die Europameisterschaft im eigenen Land vor der Tür stand und Deschamps nicht auf die Idee kam, den mutmaßlichen Erpresser-Gehilfen in sein Aufgebot zu berufen, da sagte Benzema in einem großen Frust-Interview mit der spanischen Zeitung Marca noch so einen Satz mit Folgen: Seine nordafrikanische Herkunft habe ihm den Platz im EM-Team gekostet; Deschamps selbst sei sicher kein Rassist, aber "er hat sich dem Druck eines rassistischen Teils von Frankreich gebeugt".

Frankreich bei der EM: Arbeiten wieder gemeinsam für ein Ziel: Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps (links) und Karim Benzema (Mitte).

Arbeiten wieder gemeinsam für ein Ziel: Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps (links) und Karim Benzema (Mitte).

(Foto: Franck Fife/AFP)

Das war recht dreist angesichts der Vorgeschichte - und kurz darauf sah Deschamps das Wort "Rassist" an die Wand seiner Sommerresidenz geschmiert. Er sah sich und seine Familie bedroht - obwohl die Affäre um etwas kreiste, was mit Rassismus nichts zu tun hatte: die angebliche Erpressung. "Ich leide unter den Konsequenzen", sagte Deschamps noch im Januar, "wir können das nicht vergessen. Ich kann das nicht vergessen. Ich werde das nie vergessen."

Wobei die Versöhnung der beiden Männer durchaus echt wirkt. "Ich kam immer gut mit ihm aus", sagte Benzema über Deschamps im L'Équipe-Interview, "wir haben uns getroffen, und nach drei Minuten war alles wie früher. Wir haben uns sehr viele Dinge gesagt, die wir uns schon früher hätte sagen können, aber wir hatten tatsächlich fünf Jahre nicht miteinander gesprochen." Doch jetzt ist die Europameisterschaft - und Frankreich steht über allem.

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