Belgien:Die unvergoldete Generation

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Angeführt von einem der besten Spielgestalter verlässt Belgien die EM: Kevin De Bruyne bedankt sich bei den Fans. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Die EM, die für Belgiens so talentierte Mannschaft eine der letzten Titelchancen bedeuten sollte, endet im Viertelfinale mit Frust und Schmerzen. In welcher Besetzung es weitergeht, ist noch offen.

Von Sebastian Fischer, München

Gemeinsam gingen sie traurig vom Platz, der Ältere hatte dem Jüngeren den Arm um die Schulter gelegt. Es sah aus, als würde Romelu Lukaku nach Belgiens Aus gegen Italien im EM-Viertelfinale Jeremy Doku trösten. Aber musste es nicht eher andersherum sein?

Doku, 19, Belgiens Jüngster, hat den Großteil seines Lebens als Nationalspieler noch vor sich, und sein Auftritt am Freitagabend in München war verheißungsvoll. Wieder und wieder war der Flügelstürmer auf die italienische Abwehr zu gerannt, mutig im Dribbling gegen ein, zwei, drei Gegner. Den Ball hatte er dabei am Fuß, wie sich andere eine Tasche unter den Arm klemmen, wenn sie zum Zug rennen. Manchmal dribbelte er etwas übermütig, oft kam er durch. Er holte einen umstrittenen Elfmeter heraus, der zum 1:2-Anschlusstreffer führte, dem letzten Tor des Abends kurz vor der Pause.

Doku habe "echte Reife" gezeigt, lobte ihn Trainer Roberto Martínez. Reife, ausgerechnet. Denn es sind ja die anderen, deren Zeit für das Turnier ihres Lebens eher nicht mehr reifer wird. Die letzte Chance auf einen EM-Titel für Belgiens goldene Generation, mit dieser Erzählung von einem Ultimatum hatte das Turnier begonnen für den Weltranglistenersten. "Ciao, goldene Fußballkinder", schrieb die Zeitung Het Laatste Nieuws.

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Mehr Abnutzungskampf als Glanz

Eine Hälfte lang waren sie furios bei dieser EM, im zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark, als Kevin De Bruyne nach seinen Gesichtsfrakturen im Champions-League-Finale mit Manchester City samt anschließender OP erstmals mitspielte und die Partie nach der Halbzeitpause fast im Alleingang von einem 0:1 in ein 2:1 drehte. Die Verletzungsprobleme des so überragenden Spielmachers, die des ebenfalls erst zur zweiten Partie ins Turnier gestarteten Axel Witsel und jene des am Freitag mit Oberschenkelproblemen wieder pausierenden Eden Hazard, wollte Martínez nicht als Ausrede bemühen. Dass die Drei überhaupt fit wurden, sei ein "echter Bonus" gewesen. De Bruyne dagegen sagte: "Es war ein schwieriges Turnier für uns, wir hatten zu viele Verletzungen."

Beim 1:0 gegen Portugal im Achtelfinale waren sie alle in der Startelf, De Bruyne, Witsel, Eden Hazard. Aber es war ein Sieg der Effektivität, kein Glanz, eher ein Abnutzungskampf. De Bruyne verletzte sich da schon wieder, am linken Knöchel, nach einem rücksichtslosen Foul an ihn. "Es war ein Wunder, dass ich heute gespielt habe", sagte er am Freitag, noch im Abschlusstraining hatte er gefehlt. Er sprach von einem "Riss in meinen Bändern". Es ist ein tragischer Sommer für den vielleicht besten Mittelfeldspieler der Welt, erst seine Tränen und Schmerzen im verlorenen Champions-League-Finale, nun das EM-Aus, wieder angeschlagen.

"Für mich persönlich waren es vier oder fünf verrückte Wochen", sagte er. "Ich muss mich wirklich bei unserem medizinischen Personal bedanken, sie haben alles getan, damit ich spielen konnte. Denn eigentlich ist das ein Wunder." Er habe sich "verantwortlich gefühlt, für mein Land zu spielen", so erklärte er, warum er gegen Italien seiner Verletzung zum Trotz spielte, kaum vorstellbar ohne Schmerzmittel. "Kevin De Bruyne hat eine unglaubliche Hingabe gezeigt", sagte Martínez und glorifizierte damit, was aus medizinischer Sicht kaum vernünftig gewesen sein konnte. "Er hat alles gegeben. Das ist die Mentalität dieses Teams." De Bruyne, trotz Verletzung auch gegen Italien stark, sagte, jetzt müsse er sich "körperlich erholen. Es war zu viel."

Fußball könne manchmal "grausam" sein, sagt Trainer Martínez

Nachdem die erste Hälfte am Freitag den Italienern gehört hatte, rannten die Belgier in der zweiten gegen den Rückstand an, erspielten sich Chancen, dafür lobte sie ihr Trainer. Seine Spieler verdienten es nicht, auszuscheiden, sagte Martínez. Fußball könne manchmal "grausam" sein. Doch die Italiener verdienten ein Ausscheiden eben noch weniger. Und so zählt Belgien, WM-Dritter 2018, in den 28 vergangenen Partien nur zweimal bezwungen, nun wie bereits 2016 nicht mal zu den besten Vier Europas. Es klingt fast lächerlich, gemessen an den Fähigkeiten der Offensivspieler. Ein besseres Duo als De Bruyne und Lukaku kann es im Fußball kaum geben.

Die beiden werden weiterspielen, so alt sind sie ja auch wieder nicht, 30 und 28. "Wir werden versuchen, das nächste Mal zu gewinnen", sagte De Bruyne. Aber wie es mit anderen weitergeht? Eden Hazard, 30, kommt seit zwei Jahren, seit seinem Wechsel zu Real Madrid, wegen Verletzungsproblemen nicht in Form. Und jede noch so starke Offensive braucht Absicherung. Witsel im defensiven Mittelfeld ist 32. Die Innenverteidiger Vertonghen, Toby Alderweireld und Thomas Vermaelen, sind 34, 32 und 35. Insgesamt sind zehn Feldspieler aus dem EM-Kader mindestens 30.

Das Aus müsse für einige seiner Routiniers "nicht das Ende" sein, sagte Martínez, Belgiens Trainer seit 2016. Über seine Zukunft wollte er noch nicht sprechen, vorher müsse er die schmerzhafte Niederlage verarbeiten. Ihm wurden Ambitionen nachgesagt, wieder als Vereinstrainer zu arbeiten. Interesse aus der Premier League soll es geben. Doch würde er nun gehen, sein Job wäre unvollendet. Und die Erzählung von einer letzten Chance, sie könnte es für die WM in Katar im übernächsten Winter vielleicht noch ein aller letztes Mal geben. Bis dann gilt auch sein Vertrag.

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