Frankfurt unterliegt 0:2:Neapels diabolische Vorführung

Lesezeit: 3 min

Von Frankfurt nicht aufzuhalten: Neapels Stürmer Victor Osimhen. (Foto: IMAGO/Heiko Becker/IMAGO/HMB-Media)

Die SSC Neapel zeigt bei der Eintracht, warum sie gerade die Serie A mit großem Vorsprung anführt. Die Italiener kombinieren stellenweise traumhaft - und die Hessen müssen auch noch eine rote Karte gegen ihren besten Stürmer verkraften.

Von Thomas Hürner, Frankfurt

Sogar die heiligen Fußballgeister dürften überrascht gewesen sein, dass dieses Spiel dann auch tatsächlich stattfand. Grund zur Skepsis war bis zuletzt angebracht gewesen, denn es ist ja noch nicht lange her, da handelte es sich bei der Eintracht aus Frankfurt noch um einen divenhafter Traditionsklub, dem eine lebenslange Midlilfe-Crisis zwischen Mittelmaß und Abstiegsnöten bevorstand. Wirklich lange her ist das, schätzungsweise zwei oder drei Jahre.

Die Fußballgeister, Wahrsager und Glaskugeln hätten vor ein paar Jahren jedenfalls nicht weiter daneben liegen können. Eintracht Frankfurt, die Diva vom Main, hat einen derart rasanten Statusgewinn hinter sich, dass man am Dienstagabend azurblaue Halbgötter vom Fuße des Vesuv empfangen durfte: Die Società Sportiva Calcio, den einsam davon gezogenen Tabellenführer aus Italiens Serie A. Hessische Funkhäuser hatten in den vergangenen Tagen das "Spiele der Spiele" in Aussicht gestellt, das regionale Fernsehen hatte Mini-Sondersendungen produziert und der Eintracht-Trainer Oliver Glasner eine Mannschaft prophezeit, die "heiß wie Frittenfett" sei. Ein weiterer Meilenstein der Vereinsgeschichte blieb jedoch aus: Frankfurt kämpfte tapfer und mit viel Herz, verlor das Champions-League-Achtelfinalspiel am Ende aber verdient mit 0:2.

Neapels Trainer Luciano Spalletti
:Und plötzlich ist es Liebe

Luciano Spalletti ließ schon immer schönen Fußball aufführen, Titel gewann er in Italien nie. Bei Frankfurts Champions-League-Gegner Napoli fügt sich nun alles harmonisch zusammen. Und unter dem Vesuv träumen sie vom Unsagbaren.

Von Oliver Meiler

"Wir haben alles versucht. Der Spielverlauf war sehr ungünstig für uns, auch mit der roten Karte. Für uns war das ein Killer. In den ersten Minuten haben wir es nicht schlecht gemacht, am Ende haben sie es gut gespielt", sagte Ex-Weltmeister Mario Götze bei Amazon Prime und mochte sich die Hoffnung bewahren: "Wir haben noch ein zweites Spiel. Sie haben bei uns zwei Tore geschossen, warum sollten wir das nicht auch schaffen?"

Ein gewisser Klassenunterschied war zu erwarten gewesen, denn die Neapolitaner beherrschen sämtliche Feinheiten des Spiels. Sie können den Ball in den eigenen Reihen halten, das Tempo abrupt verschärfen, und ständig wird irgendwo per Dreiecksbildung Überzahl geschaffen. Kurz: Schwierigere Gegner gibt's in Europa kaum. Die Eintracht, das zeigte sich schon in den ersten Minuten, hatte vom Trainer Glasner aber einen brauchbaren Plan ausgehändigt bekommen. Der Offensivmann Chwitscha Kwarazchelia, zumeist auf dem linken Flügel unterwegs, wurde vom Duo Buta und Tuta gedoppelt, sobald der Ball in seine Nähe kam. Das neapoltanische Ideenlabor wurde so empfindlich gestört, und auch die Zufahrtswege zum furchterregend formstarken Stürmer Victor Osimhen waren damit fürs Erste stillgelegt.

Mitte der ersten Hälfte zeigt Neapel dann seine Klasse

Die Eintracht wäre aber nicht die Eintracht, wenn sie nicht auf jenes Europapokal-Selbstverständnis rekurriert hätte, das den Gegnern Blessuren und Ohrenschmerzen beschert. Jeder Zweikampf wurde mit gebotener Härte geführt, nach Ballgewinnen ging es geradlinig nach vorn - und die Neapolitaner wirkten ob dieser Intensität und Struktur ehrlich konsterniert. Es war somit Frankfurt, das zur ersten Doppelchance kam, aber ein Schuss von Daichi Kamada wurde abgewehrt und der zweite Versuch von Randal Kolo Muani ging vorbei. Neapel ließ sich allerdings nicht einschüchtern, weder von Frankfurter Ellenbogen noch von der Wucht des Publikums; und sie waren Mitte der ersten Hälfte nicht länger bereit, ihre Klasse zu verheimlichen.

Die Eintracht zog sich zurück und die Gäste übernahmen die Initiative, was mit Blick auf den Frankfurter Kräftehaushalt eine schlüssige Strategie war. Jedoch: Auch höchste Konzentration war weiterhin gefordert - und genau die ließ der Verteidiger Buta vermissen, als er Osimhen bei einem Klärungsversuch übersah und kurz hinter der Strafraumkante von den Beinen holte. Den schwach getretenen Elfmeter von Kwarazchelia konnte Frankfurts Torwart Kevin Trapp zwar parieren, aber der Kipppunkt-Moment des Spiels war nun gesetzt. Neapel hatte nun Verwundbarkeit gewittert und gab sich keine Blöße. Nach einem Ballverlust von Mario Götze kombinierten die Azzurri schnell nach vorn und fanden am zweiten Pfosten Osimhen, der den Ball zum 1:0 über die Linie drückte (40. Minute). Auf einmal war sie da, die kindliche Freude am Spiel, mit der die Neapolitaner die heimische Liga dominieren - und es begann eine geradezu diabolische Vorführung jenes Fußballs, am dem in der Vorrunde bereits Liverpool und Amsterdam verzweifelt waren.

Na gut, nicht ganz irrelevant war auch die Tatsache, dass die Eintracht die letzte halbe Stunde mit einem Mann weniger bestreiten musste, weil Kolo Muani bei einem Zweikampf dem Neapolitaner Zambo Anguissa auf den Knöchel trat und dafür mit Rot des Feldes verwiesen wurde (58. Minute). Es war eine harte, aber vertretbare Entscheidung. Und am Ende eben eine von jenen Unachtsamkeiten, die sich Neapel während der gesamten Spieldauer nicht leistete. Die Gästeelf erhöhte kurz nach dem Platzverweis durch Giovanni Di Lorenzo auf 2:0, vorausgegangen war eine traumhafte Ballstafette, aber vorbei ist aus Eintracht-Sicht noch lange nichts. Der Stadionsprecher verkündete unmittelbar nach dem Schlusspfiff, dass Frankfurt schon mal in Neapel gewonnen habe. 1994 war das.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivManuel Neuer
:"Ich hatte das Gefühl: Mir wird mein Herz rausgerissen"

Erst das frühe WM-Aus in Katar, dann der Skiunfall am Tegernsee: FC-Bayern-Kapitän Manuel Neuer hat schwierige Wochen hinter sich. Aber es gibt Dinge, die ihn "wirklich umgehauen haben". Ein Gespräch über körperliche und andere Verletzungen.

Interview von Philipp Selldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: