DFB-Vize Rainer Koch im Gespräch:"Wir wollen kein Stehplatz-Verbot"

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Die Gewaltdebatte im deutschen Fußball fordert auch vom Deutschen Fußball-Bund neue Antworten. Im Gespräch mit der SZ erklärt DFB-Vizepräsident Rainer Koch, warum Verbände und Fans schnell umdenken müssen - und weshalb er keine Verhältnisse wie in Italien oder England will.

Kathrin Steinbichler

In seinem Büro im Bayerischen Fußball-Verband (BFV) umgeben Rainer Koch, 53, viele Bücher, Akten, Wimpel und Bälle. Buchstaben und Fußbälle, das sind die Pole, zwischen denen Koch sich bewegt. Der Mann aus Poing war Schiedsrichter und Jugendtrainer, ist jetzt Präsident des BFV (seit 2004) und des Süddeutschen Fußball-Verbands (SFV, seit 2011) sowie Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB, seit 2007). Der Richter am Oberlandesgericht München hat seinen Sport aus allen Blickwinkeln kennengelernt. Ein Gespräch über anstehende Aufgaben im DFB, den Umgang mit der wachsenden Gewaltbereitschaft im Fußball und den Konkurrenzdruck in der Großstadt.

Rainer Koch DFB Rainer Koch DFB (Foto: N/A)

SZ: Das vergangene Jahr war nicht einfach für Sie, der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, mit dem Sie zum Schluss über Kreuz lagen, hatte Ihnen den wichtigen Zuständigkeitsbereich "Recht" entzogen und Sie dafür für "Prävention, Integration, Freizeit- und Breitensport" eingeteilt. Das neue Präsidium unter Wolfgang Niersbach hat Ihnen als eine seiner ersten Handlungen den alten Zuständigkeitsbereich zurückgegeben. Spüren Sie eine Genugtuung?

Koch: Nein, mit so etwas beschäftige ich mich nicht. Bei der Neuwahl haben alle im Präsidium sofort gesagt, dass es sinnvoll ist, die alten Zuständigkeitsbereiche wiederherzustellen, also wurde das gemacht. Wolfgang Niersbach und ich waren uns da von Anfang an einig.

SZ: Welche Schwerpunkte wird es unter dem neuen Präsidenten geben?

Koch: Wichtig ist für uns alle, und das hat Niersbach betont, wieder das Kerngeschäft des Fußballbetriebs in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen. Zu meinen Hauptaufgaben zählen dabei alle Rechtsfragen des professionellen Fußballs.

SZ: Was ist denn das Kerngeschäft?

Koch: Wir haben ja drei Standbeine: Den Spitzenfußball mit den Nationalmannschaften und der Eliteförderung, den Amateur- und Freizeitfußball und als drittes die soziale Säule des Sports. Wir haben jetzt zwei Präsidentenperioden unter Egidius Braun und Theo Zwanziger hinter uns, die einen starken Schwerpunkt auf die sozialen und gesellschaftspolitischen Aktivitäten des Fußballs hatten. Mit der Zuwendung zum Kerngeschäft, wie Niersbach es formuliert hat, wenden wir uns jetzt den Bereichen zu, die den Fußball in den nächsten Jahren vor große Aufgaben stellen: Das ist einerseits der demographische Wandel, der immer weniger Kinder und Schüler mit sich bringt und damit immer weniger Mannschaften, was im Breitensport viele Klubs vor Probleme stellt. Auf der anderen Seite müssen wir darauf achten, dass wir die Attraktivität unserer Sportart erhalten durch eine gute Leistungsspitze in den Profiklubs und in den Nationalteams. Beides bedingt sich gegenseitig: Ohne breiten Nachwuchs keine Leistungsspitze, ohne tollen Profifußball weniger Faszination in der Breite.

SZ: Klingt erst einmal gut, aber auch sehr abstrakt.

Koch: Das sind zunächst zwei Themenbereiche, die schwer vereinbar scheinen, aber genau das ist unsere Aufgabe im DFB: Darauf zu achten, dass Amateur- und Profifußball sich nicht unabhängig voneinander entwickeln, sondern miteinander in Bezug stehen. Der eine Bereich braucht den anderen. Und das nächste drängende Problem ist die ganze Fan-Thematik...

SZ:..., die gerade durch die Ereignisse rund um die Relegationsspiele im Profifußball neu diskutiert wird.

Koch: Was da passiert, ist sehr komplex und hochjuristisch. Fan-Fehlverhalten, Zuschauerausschreitungen, Hooliganismus - es geht da um eine ganze Palette von Themen, die eine Reihe von Fragen nach sich zieht, die wir diskutieren müssen: Wie verhält sich die Sportgerichtsbarkeit, wie der DFB-Kontrollausschuss? Inwieweit können wir versuchen, noch stärker mit den staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten, also mit Polizei und Staatsanwaltschaften? Da sind Liga und DFB gemeinsam betroffen, und das von rechtlicher Seite aus zu begleiten, ist mit eine meiner Aufgaben.

Vor der EM in Polen und der Ukraine
:DFB-Delegation besucht KZ-Gedenkstätte in Auschwitz

Ein Zeichen gegen das Vergessen: Kurz vor Beginn der Fußball-EM in Polen und der Ukraine ist eine Delegation der Nationalelf nach Auschwitz-Birkenau gereist. Bundestrainer Joachim Löw brachte einige seiner Spieler mit. Eine PR-Aktion sollte es nicht werden.

SZ: Man hört immer wieder auch von Ausschreitungen in anderen europäischen Ligen, etwa in Italien und Polen. Ist die wachsende Gewaltbereitschaft der Fans ein europäisches Problem?

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Koch: Ich denke schon. Vielleicht ist die sich wandelnde Rolle der Fans in Vereinen und Verbänden auch zu lange nicht richtig wahrgenommen worden. Oft wird ja nur über die Reaktion auf ein Ereignis nachgedacht, über Strafen, Sperren und Ausschlüsse. Aber wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir dem Ganzen prinzipiell begegnen. Wie wir und auch die Fans bei Zuschauern zwischen Fankultur und strafrechtlichem Verhalten unterscheiden.

SZ: Denken Sie über Verbote nach?

Koch: Wir wollen jedenfalls vermeiden, dass uns irgendwann von außen Vorschriften gemacht werden und irgendwann das Stehplatzverbot kommt. Es gibt in Italien keine Stehplätze mehr, es gibt in England keine Stehplätze mehr, es gibt bei der Uefa (europäische Fußball-Union, Anm. d. Red.) keine Stehplätze mehr - das wollen wir hier nach Möglichkeit vermeiden. Aber dazu müssten eben alle Beteiligten endlich erkennen, dass uns ab einem bestimmten Moment von staatlicher Seite die Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand genommen werden. Schließlich haben Sicherheitsbehörden die Pflicht und auch das Recht, ordnend einzugreifen. Aber wir wollen natürlich auch das Fan-Leben erhalten, und dazu müssten sich die Fanszenen vielleicht auch untereinander einmal Gedanken machen, was und wie sie künftig Spiele im Stadion erleben wollen. Und was dem Fußball zuträglich ist und was nicht. Wir wollen so wenig Restriktionen wie möglich, aber eben auch so viel Schutz wie möglich. Wie das umzusetzen ist, darüber werden wir noch vor Saisonbeginn gemeinsam mit der DFL (Deutsche Fußball-Liga, d. Red.), allen Vereinen von der ersten bis zur dritten Liga und dem Bundesinnenminister Maßnahmen ergreifen. Welche das sind, stimmen wir gerade noch ab.

SZ: Eine andere schwierige Entwicklung ist die, dass Vereine und Mannschaften in Großstädten wie München oder Nürnberg zunehmend unter Platzmangel und überalterten Anlagen leiden.

Koch: Das ist in erster Linie eine Frage für die Politik, die sich damit auseinandersetzen muss, wie sie die Infrastruktur in den Städten gestalten will. Die Sportstadt München darf sich da nicht nur über Spitzensport definieren. Wir brauchen dringend weitere Sportanlagen, insbesondere ein kleines Stadion für etwa 3000 Zuschauer, das etwa auch den Bundesliga-Frauen des FC Bayern ermöglichen würde, endlich in der Stadt zu spielen. Daneben beschäftigt uns auch, dass es in den Großstädten immer weniger Menschen gibt, die sich für ein Ehrenamt begeistern. Die Konkurrenz für einen Verein und einen Sport ist groß, das Angebot zur Ablenkung riesig. Wie man dabei Menschen trotzdem für ein langfristiges Engagement begeistern kann, auch darüber müssen wir uns verstärkt Gedanken machen.

SZ: Rein sportlich können Sie sich nicht beschweren: Nach den Aufstiegen von Fürth und Regensburg hat Bayern so viele Profifußballklubs wie nie zuvor.

Koch: Das ist natürlich für den Fußball in Bayern überragend, dass wir jetzt vier Erstliga- und drei Zweitliga-Standorte haben. Das wirkt sich auch auf die Nachwuchsarbeit aus, denn diese Standorte werden dadurch nicht nur attraktiver sondern müssen gemäß Ligastatut auch auf ihre Nachwuchsarbeit achten. Hinzu kommt, dass wir ab der nächsten Saison die neue Regionalliga Bayern haben, die den Amateurfußball erheblich aufwerten wird. Für mich selber wird es dadurch aber nicht einfacher - ich muss jetzt noch mehr organisieren, wann ich wo ins Stadion gehe.

© SZ vom 02.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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