Die Ermittler, die vor einer Woche die Privatwohnungen mehrerer Fußball-Funktionäre durchsuchten, gingen offenbar sehr beflissen zu Werke. Sogar die Unterwäsche seiner Ehefrau hätten die Fahnder durchwühlt, empört sich ein Betroffener über die Steuerrazzia. Die Stimmung war mächtig geladen im Deutschen Fußball-Bund (DFB), nachdem 200 Ermittler und Polizisten die Frankfurter Verbandszentrale sowie die Wohnsitze von sechs heutigen und ehemaligen Topfunktionären durchsucht hatten. Die einen tobten wegen der Razzia.
Die anderen, zu denen auch Präsident Fritz Keller gehörte, sorgten sich, dass das ohnehin lädierte Image weitere Schrammen bekommt. Der DFB stand ja nun erneut als Haufen da, der es nicht schafft, seine Altlasten zu bereinigen. Und dann goss Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef von Bayern München, am Wochenende mit einer Grundsatzkritik am Verband noch mehr Öl ins Feuer.
Was da gerade in Fußball- und Justizkreisen abläuft, ist eine ziemlich schräge Nummer. Die Steuerrazzia jedenfalls wirkt stark überzogen. Immerhin hatte der DFB der Staatsanwaltschaft längst viele Akten vorgelegt, sich mit dem Fiskus geeinigt und die geforderten 4,7 Millionen Euro bezahlt. Doch statt das öffentlich darzulegen und die eigenen Leute in Schutz zu nehmen, legte DFB-Präsident Keller kräftig nach. Er begrüße die Durchsuchungen ausdrücklich, ließ er mitteilen. In Verbandskreisen verbreiten nun viele das Gerücht, er wolle die Razzia nutzen, um Alt-Funktionäre und langgediente Führungskräfte loszuwerden: Vize Rainer Koch, Schatzmeister Stephan Osnabrügge und Generalsekretär Friedrich Curtius zum Beispiel.
In den DFB-Büros finden sich die Fahnder blind zurecht, witzelt ein Insider
Es rumort kräftig in der Zentrale an der Frankfurter Fleck-Schneise, es sieht auch sehr nach einen Machtkampf zwischen dem DFB und der Deutschen Flußball Liga (DFL) aus - und dort allen voran dem Klassenprimus FC Bayern München. Nichts ist mehr normal in diesen Tagen im DFB, abgesehen von der Suche nach geheimen Papieren in der Unterwäsche. Das ist bei solchen Razzien auch durchaus üblich. Dass die Beamten "auch Schränke in den Wohnungen öffnen, um die gesuchten Unterlagen zu finden, dürfte wohl selbstverständlich sein", erklärt die Frankfurter Behörde. Sie ist schon lange hinter dem DFB her. Erst wegen dubioser Geldflüsse um die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Jetzt wegen Einnahmen aus der Bandenwerbung bei Länderspielen. In den DFB-Büros finden sich die Fahnder inzwischen blind zurecht, witzelt ein Insider.
Diesmal geht es um die Frage, wie und wo der DFB die Erlöse aus der Bandenwerbung bei Spielen der Nationalelf verbuchte. Einen Teil des Geldes hat er in den Jahren 2014 und 2015, wie früher schon, in der gemeinnützigen wie steuerfreien Vermögensverwaltung bilanziert. Ein neuer, Ende 2013 geschlossener Vertrag mit der Schweizer Sportagentur Infront enthielt aber andere Klauseln als ein früheres Abkommen mit dieser Agentur, so dass fortan alle Einnahmen steuerpflichtig gewesen wären. Der DFB soll dann den Fehler gemacht haben, den neuen Infront-Vertrag dem Fiskus erst viel später vorzulegen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft liegt da eine strafbare Steuerhinterziehung vor. Verantwortlich dafür seien die sechs heutigen und früheren Funktionäre, bei denen in der Vorwoche durchsucht wurde. Koch, Osnabrügge und Curtius sowie Ex-Präsident Reinhard Grindel, der frühere kommissarische Verbandschef Reinhard Rauball und Ex-Generalsekretär Helmut Sandrock.
Der Verdacht der zumindest versuchten Steuerhinterziehung mag vielleicht nicht von der Hand zu weisen sein, doch die Razzia hätte es wohl kaum gebraucht. Nach SZ-Recherchen hat der Steueranwalt des DFB der Staatsanwaltschaft bereits im Februar und März 2019 mehrere Unterlagen zukommen lassen und eine umfassende Kooperation zugesagt. Im März 2019 einigte sich der DFB zudem mit dem Fiskus über das Steuerjahr 2014 und meldete zusätzliche Millionen-Einkünfte für 2015. Mitte 2020, heißt es, wurde alles gezahlt. Die Staatsanwaltschaft soll es vor der Razzia sogar versäumt haben, sich alle Fall-Akten des Fiskus zu holen. Die Ermittler dementieren das nicht, beharren aber darauf, dass die Razzia unumgänglich gewesen sei.
Das kann man angesichts dessen, was der DFB schon alles vorgelegt hatte, auch anders sehen. Hinzu kommt: Der Fußball-Bund soll die noch fälligen Steuern aufgrund eigener Berechnungen sogar schon bezahlt haben, bevor der Fiskus seinen abschließenden Bescheid geschickt habe. Und zwar, weil die Finanzbehörden zu lange getrödelt hätten. Aus Verbandskreisen heißt es, die Steuerfrage soll Thema einer Präsidiumssitzung im Sommer gewesen. Präsident Keller könnte also, wenn er denn wollte, vieles erklären und den eigenen Verband in Schutz nehmen. Er könnte auch Koch, Osnabrügge und Curtius bescheinigen, beim Fiskus zumindest nachträglich alles bereinigt zu haben.
Stattdessen wiederholte der DFB-Chef nach der Razzia, er stehe für "vollkommene Transparenz" im Verband. Keller sagte sogar, er könne "eine staatliche Unterstützung bei den Untersuchungen nur begrüßen . Heißt: Er findet die Razzia also in Ordnung. DFB-intern rügen manche, er sei damit seinen eigenen Leute in den Rücken gefallen. Noch sind die drei im Amt. Betonung auf noch?
Offiziell sagt der DFB zur Steuersache nicht viel. Man befinde sich mit "Unterstützung unabhängiger Experten in der sorgfältigen Prüfung der neuen Vorwürfe. Die Ergebnisse und Bewertungen daraus werden sehr zeitnah dem DFB-Präsidium vorgelegt". Man darf gespannt sein. Müssten Koch, Osnabrügge und Curtius gehen, wäre das Amateurlager im DFB stark geschwächt. Da mag man nicht an Zufall glauben, wenn gerade jetzt, kurz nach der Razzia, Bayern-Boss Rummenigge öffentlich den stark angeschlagenen Verband attackiert. Das erweckt fast den Eindruck, als würde da mit allerlei taktischen Fouls um die Macht im deutschen Fußball gespielt; womöglich wird getrickst und getäuscht.
Rummenigge hatte dem DFB vorgeworfen, Priorität hätten nur noch "Geld, Vermarktung und Politik". Nach dem WM-Triumph 2014 habe der Verband versucht, "diesen großen Erfolg finanziell auszunutzen. Mit großen neuen Sponsoring-Verträgen und vielem mehr". Vorrangige Aufgabe von Keller sei es, den Verband in "ruhigeres Fahrwasser" zu bringen. So beklagt ausgerechnet der Vorstandschef des FC Bayern München die zunehmende Kommerzialisierung im Fußball. Als hätte der FC Bayern damit nie etwas zu tun gehabt, als handele es sich beim aktuellen Meister, Pokalsieger und Champions-League-Sieger weiterhin im Kern um einen gemeinnützigen Verein - und nicht längst auch um eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft.
Razzia, Machtkämpfe - und noch mehr treibt den DFB um. Er wartet auf die Funde einer internen Untersuchung, mit der die Beratungsfirma Esecon beauftragt worden war. Es geht um alle Finanzflüsse der jüngeren Vergangenheit im DFB; bis hin zu den merkwürdigen Transaktionen um die WM 2006. Das könnte noch manchen Schmutz hochtreiben, die Frage ist nur, in welche Richtung er fliegt. Die Staatsanwaltschaft jedenfalls arbeitet auf einen Prozess hin. Wegen Steuerhinterziehung.