DFB-Pokal:Pokalduelle, die die Geschichte geprägt haben

Lesezeit: 7 min

Dortmunds Sokratis (l.) und Bayerns Robert Lewandowski kämpfen am 21. Mai 2016 im Pokalfinale im Berliner Olympiastadion um den Ball. (Foto: dpa)

Der FC Bayern und der BVB treffen in diesem Jahrtausend bereits zum achten Mal im DFB-Pokal aufeinander. Das blieb nie ohne Folgen: Wie jede dieser Partien die Fußball-Geschichte verändert hat.

Von Benedikt Warmbrunn und Christof Kneer

Bleibt Peter Stöger auch über den Sommer hinaus Trainer von Borussia Dortmund? Oder folgt auf ihn Julian Nagelsmann? Und bleibt Jupp Heynckes vielleicht doch ein klitzekleines Jährchen länger Trainer des FC Bayern? Oder löst ihn Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp oder Niko Kovac ab? Oder doch Julian Nagelsmann? Oder holt Uli Hoeneß den in Dortmund abgelösten Peter Stöger, um ihn dann im Herbst 2018 wieder durch seinen geliebten Jupp zu ersetzen? Vor dem Jahreswechsel beschäftigen die Rivalen zukunftsweisende Fragen, auf die selbst die Verantwortlichen noch keine Antwort wissen. Sobald sie es wissen, werden sie aber an diesen Mittwochabend (20.45 Uhr) zurückdenken, ans Achtelfinal-Duell der beiden Klubs im DFB-Pokal. Sieben Mal sind die beiden Teams in diesem Jahrtausend im DFB-Pokal aufeinandergetroffen, jedes Spiel hat den weiteren Verlauf der Geschichte verändert, alle Spiele gelten also unbestritten als Jahrtausendspiele.

April 2008, Finale: Der doppelte Toni

Das erste Jahrtausendspiel im Pokal, schließlich ist es das erste Pokalspiel der beiden Mannschaften in diesem Jahrtausend. Der FC Bayern gewinnt 2:1 nach Verlängerung, weil Luca Toni ("Unser Wahnsinnstransfer", Uli Hoeneß) zwei Tore schießt und Oliver Kahn in seinem letzten Pokalfinale in der 100. Minute reaktionsschnell einen Schuss von - unvergessen - Florian Kringe pariert. Ins Finale war der FC Bayern übrigens nur gekommen, weil Kahn in der ersten Runde im Elfmeterschießen ein paar Elfmeter gehalten hatte. In Burghausen. "Das ist schon jetzt eine perfekte Saison für uns", jubelt Hoeneß nach dem Gewinn des Doubles. Aber das waren auch die Ansprüche aus einem anderen Jahrzehnt. Für Borussia Dortmund beginnt wenige Wochen später mit dem Antritt des neuen Trainers Jürgen Klopp die Zukunft. In München fängt Jürgen Klinsmann an, sie müssen, so gesehen, noch ein wenig auf die Zukunft warten.

2008: Luca Toni stemmt den Pokal nach seinem Doppelpack im Finale. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Mai 2012, Finale: Der dreifache Lewy

Dortmund gewinnt 5:2 und somit zum fünften Mal in Serie gegen die Bayern, die damals überraschenderweise von Jupp Heynckes trainiert werden. Außerdem gewinnt der BVB zum ersten Mal in der Klubhistorie das Double. Robert Lewandowski schießt als erster Spieler nach Uwe Seeler (1963) und Roland Wohlfahrt (1986) drei Tore in einem Pokalfinale, Zukunftstrainer Klopp lobt ihn als "perfekten Stürmer für unsere Spielweise", betont aber auch, "dass wir auch das perfekte Spiel haben, um die Stärken von Lewy zur Geltung zu bringen". Für den FC Bayern beginnt mit dieser Niederlage der größte Umbruch der jüngeren Klubgeschichte, Klubboss Karl-Heinz Rummenigge sagt: "Wenn man 2:5 verliert, dann ist das kein Zufall, dann ist das kein Pech, und dann muss man sagen: Das ist eine Blamage, die wir erlebt haben."

Sie trösten sich damit, dass eine Woche später in der Champions League - unvergessen - das Finale dahoam ansteht; unabhängig davon, sagt Rummenigge, müsse man sich aber "kritisch hinterfragen". Eine Woche später verliert die Mannschaft in diesem Finale dahoam gegen den FC Chelsea, obwohl sie vom geliebten Jupp trainiert wird. Wenige Wochen später verpflichtet der Klub den alles kryptisch hinterfragenden Matthias Sammer als Sportvorstand, im August dann Javier Martínez fürs defensive Mittelfeld. Es beginnt außerdem das Werben um den Zukunftstrainer Pep Guardiola. Und auch diesen Lewy beobachten sie in München von diesem Pokalabend an ganz genau.

Dreifacher Torschütze beim 5:2 des BVB gegen den FC Bayern im DFB-Pokalfinale 2012: Robert Lewandowski. (Foto: dpa)

Februar 2013: Die gelbe Wand:

Viertelfinale Die Fans des FC Bayern verwandeln die Tribüne vor dem Anpfiff in eine Wand aus Schwarz und Gelb, was nicht nur die Farben des BVB sind, sondern auch die der Stadt München ("Das war kreativ, das war tiefsinnig", Hoeneß). Der FC Bayern gewinnt 1:0, weil Arjen Robben trifft - und Martínez nach einer stabilen Grätsche gegen den danach nicht mehr ganz so perfekten Lewy die gelbe statt der roten Karte sieht. Nach dem Abpfiff lässt die Stadionregie ein Lied einspielen, das sich im Wesentlichen um den kreativen sowie tiefsinnigen Text "Ladi-ladi-ladi-ladi-hooo" dreht sowie um eine historisch fragwürdige Verknüpfung des Dortmunder Stammbaums mit dem Rotlichtmilieu.

Nach dem Spiel sagt Hoeneß: "Die deutschen Verhältnisse sind geklärt." Der FC Bayern geht in die letzten Wochen der Saison mit so stabilem Selbstbewusstsein, dass sie ihren geliebten Jupp mit dem Champions-League-Titel verabschieden.

Nach einem Sieg gegen den BVB.

Mai 2014, Finale: Im Cirque du Soleil

Der FC Bayern trifft im Pokal erstmals mit seinem geliebten Pep Guardiola auf Dortmund mit dem Immer-noch-Zukunftstrainer Klopp. Die deutschen Verhältnisse klären sich erst in der Verlängerung, durch Tore von Robben und Thomas Müller, der zuvor ein "Schneckenrennen" (Müller) gegen Marcel Schmelzer gewinnt. Der FC Bayern liebt danach seinen Pep noch ein bisschen mehr, Klubboss Rummenigge hinterfragt überhaupt nichts mehr kritisch und lobt: "Pep, du passt wunderbar zum FC Bayern. Ich bin glücklich, dass du bei uns bist." Der wunderbare Pep sagt, dass er in München ein "ein bisschen, bisschen, bisschen besserer Trainer" geworden sei.

Dante (r.), wie er den Ball vor - oder auf? - der Torlinie klärt. Inzwischen gibt es Torlinientechnik und Videobeweis. (Foto: dpa)

Beim BVB fluchen sie in Rotlichtmanier, weil Dante in der 64. Minute einen Kopfball von Mats Hummels erst hinter der Linie klärt, der Treffer aber dennoch nicht gegeben wird. Der wunderbar ehrliche Pep gesteht: "Wenn es korrekt gewesen ist, hätte das wahrscheinlich alles geändert." Der noch ein bisschen, bisschen, bisschen aufgebrachte Klopp sagt nicht "Ladi-ladi-ladi-ladi-hooo" , sondern: "Wenn Dante diesen Ball noch vor der Linie hätte klären können, müsste er damit im Cirque du Soleil auftreten." BVB-Vorsitzender Reinhard Rauball fordert einen gerechteren Fußball, indem er sich für eine neuerliche Abstimmung über die Einführung der Torlinientechnologie einsetzt. Die Torlinientechnik wird später durchgesetzt, irgendwann auch - unvergessen - der Videobeweis. Heute weiß man: Dieses Pokalfinale hat den letzten Anstoß für die Einführung der Torlinientechnik geliefert.

Der FC Bayern kontert auf diesen gerechteren Fußball, indem er den perfekten Lewy verpflichtet. Und auch diesen Hummels beobachten sie in München von diesem Pokalabend an ganz genau.

Ewiges Finaltrübsal: Mats Hummels läuft 2014 mit Silbermedaillie und im BVB-Trikot am Pokal vorbei. 2016 verliert der BVB erneut, zum Schluss ohne ihn. 2017 wird es erneut nichts mit dem Pokaltitel: Er unterliegt, jetzt im Trikot der Bayern, im Halbfinale gegen seinen Ex-Klub. (Foto: dpa)

April 2015, Halbfinale : Der Ausrutscher

Der ganz und gar nicht mehr zukünftige Zukunftstrainer Klopp reist zu seinem letzten Spiel als BVB-Trainer in München an, und zwar "auf Krawall gebürstet". Da ein Handspiel von Schmelzer im Strafraum ungeahndet bleibt, hinterfragt Karl-Heinz Rummenigge Schiedsrichter Gagelmann kritisch, indem er ihm "einen Optiker" empfiehlt. Der perfekte Lewy trifft zur Führung für den FC Bayern, der schon auch ein bisschen perfekte Pierre-Emerick Aubameyang erzielt den Ausgleich. Arjen Robben wird nach langer Verletzungspause eingewechselt und hält immerhin 16 Minuten durch, bis er wieder verletzt ausgewechselt wird. In der Verlängerung rettet Torwart Mitch Langerak den BVB mit einer Parade gegen Bastian Schweinsteiger, später rammt er auf Krawall gebürstet dem Lewy den perfekten Ellenbogen ins Gesicht. Da der geliebte Pep schon dreimal gewechselt hat, torkelt Lewandowski benommen aufs Feld zurück, sein Berater Cezary Kucharski twittert später, Lewandowski könne sich "nicht an die letzten Minuten erinnern".

Daher zur Auffrischung: Langerak kassiert vom Optiker Gagelmann die gelbe Karte, weil er sich auf Krawall gebürstet vor dem Elfmeterschießen erst einmal neben das Tor stellt. Dortmund gewinnt 3:1, weil Philipp Lahm und Xabi Alonso ausrutschen, Manuel Neuer die Latte trifft und Mario Götze sich von Langerak verunsichern lässt. Hummels verschießt auch, darf sich aber dennoch freuen, weil er im Pokal ein letztes Mal gegen die Bayern spielt. Pep sagt: "Im Elfmeterschießen waren wir ein bisschen müde." Müller versichert: "Die Spieler hatten keine Badelatschen an, sondern Stollenschuhe." Und Lahm entschuldigt sich: "Mehr als Stollenschuhe anziehen kann ich ja nicht."

Der FC Bayern gewinnt auch nicht jenen Titel, den er zuletzt mit dem geliebten Jupp gewonnen hat, weil er wenige Wochen später ohne Robben und mit einem mit Kieferbruch spielenden Ladi-ladi-ladi-ladi-hooo-Lewy gegen den FC Barcelona aus der Champions League ausscheidet. Dortmund verliert das Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg beziehungsweise den Spieler Kevin De Bruyne, dennoch wird Klopp wenige Monate später Zukunftstrainer in Liverpool. De Bruyne wechselt übrigens nicht, wie vom FC Bayern gewünscht, zum FC Bayern, dafür trifft er bei Manchester City später den perfekten Pep.

Mai 2016, Finale: Peps Tränen

Pep Guardiola kann nicht mal mehr "top-top-top" sagen nach diesem Spiel. Weil: Er heult. Seine Bayern schenken ihm einen Pokalsieg zum Abschied, 4:3 gewinnen die Münchner nach Elfmeterschießen gegen den BVB, was umso wichtiger ist, weil die Bayern zuvor ja schon wieder im Halbfinale jenes Wettbewerbs ausgeschieden sind, den sie einst mit ihrem geliebten Jupp gewonnen haben (Champions League). Gegen Atlético Madrid verschießt Thomas Müller übrigens einen Elfmeter, obwohl später Bilddokumente auftauchen, die zweifelsfrei beweisen, dass er beim Schuss keinerlei Badelatschen trug.

Im Pokalfinale trifft Müller aber, ebenso wie Vidal, Lewy und - unvergessen - Douglas Costa, während beim BVB Sokratis und Sven Bender scheitern, die aber nur deshalb antreten, weil Julian Weigl, Lukasz Piszczek und Henrikh Mkhitaryan nicht antreten. Mats Hummels kann auch nicht antreten, weil ihn BVB-Trainer Thomas Tuchel bereits ausgewechselt hat. Warum? "Weil er darum gebeten hat", sagt Tuchel. Hummels dagegen sagt, er habe nichts angedeutet; wenn er rauswolle, mache er "ein klares Zeichen". Hummels spielt inzwischen beim FC Bayern, der wiederum einen Zukunftstrainer sucht. Ob Hummels Tuchel empfehlen würde?

Nach dem Triumph 2016 in seinem letzten Spiel als Bayern-Trainer gewährt Pep Guardiola seinen Gefühlen freien Lauf. David Alaba (r.) hat er dafür fest im Griff. (Foto: Lars Baron/Getty)

Wie ein klares Zeichen aussieht, demonstriert derweil Franck Ribéry. Er drückt Gonzalo Castro einen Finger ins Auge, obwohl der nicht darum gebeten hat.

April 2017, Halbfinale: Der coole Carlo

Der FC Bayern trifft im Pokal erstmals auf den BVB mit dem gemütlichen Gegenwartstrainer Carlo Ancelotti. Verzichten muss dieser auf Manuel Neuer, außerdem steht ihm nur ein nicht ganz so perfekter Ladi-ladi-ladi-ladi-hoo-Lewy zur Verfügung, nachdem dieser zweieinhalb Wochen zuvor sich in einem Zusammenprall mit Dortmund-Torwart Roman Bürki an der Schulter verletzt hatte, obwohl Bürki nicht einmal auf Krawall gebürstet war. Der FC Bayern führt nach Toren des stabilen Martínez sowie des nicht ausgewechselten Hummels 2:1, vergibt aber drei Chancen zur Entscheidung, unter anderem eine durch Lewandowski, dem der Ball auf dem Weg Richtung Bürki verspringt. Dortmund gewinnt deshalb durch Tore von Aubameyang und Ousmane Dembélé 3:2 - vor dem letzten Tor tritt der geliebte FCB-Kapitän Philipp Lahm über den Ball, dann vertändelt er ihn auch noch. Es ist sein letzter Auftritt in einem großen Spiel.

Es deutet sich auch bereits das Ende der Zeit des gemütlichen Carlo in München an. Klubboss Rummenigge stützt Ancelotti in der Bild-Zeitung, obwohl dieser ihn nicht darum gebeten hat: "Seine Vertragslaufzeit ist bekannt und wird nicht diskutiert." Ancelotti - unvergessen? - sagt: "Ich muss cool bleiben."

Beim BVB führen sie den Sieg auch auf ein neues Gemeinschaftsgefühl zurück, entstanden nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus knapp zwei Wochen zuvor. Tuchel sagt: "Wir haben uns nach dem Ereignis auf eine Art und Weise kennengelernt, die wahnsinnig werthaltig war. So etwas schafft Vertrauen zwischen den Spielern." Tuchel, Sportdirektor Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim "Aki" Watzke lernen sich in diesen Wochen allerdings auch auf eine Art und Weise kennen, die sie wahnsinnig wahnsinnig macht.

Ob er seinen Vertrag verlängern werde, wird Tuchel in München gefragt. "Von einem Pokalsieg sollte man so etwas nicht abhängig machen - das würde ich ablehnen." Watzke sagt: "Michael und ich fühlen uns bestätigt, welches Potenzial in der Mannschaft steckt." Tuchel gewinnt den Pokal, wird aber von Aki dennoch nicht geliebt, sondern abgelehnt.

Epilog

Dezember 2017, Achtelfinale. Wer wird nächsten Sommer neuer Trainer in Dortmund? Nagelsmann? Gagelmann? Bleibt Stöger? Und wer wird dann den FC Bayern trainieren? Auch Stöger? Der Zukunftstrainer Klopp? Nagelsmann? Kovac? Tuchel? Hummels? Oder wie immer der geliebte Jupp? Dieser Mittwochabend wird wohl ein klares Zeichen geben, auch wenn ihn niemand darum gebeten hat.

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Sandro Wagner
:Ein Ulreich für den Angriff

Der Wechsel von Sandro Wagner als Lewandowski-Back-up zum FC Bayern steht vor dem Abschluss. Sein Auftrag ähnelt dem des Ersatztorwarts.

Von Benedikt Warmbrunn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: