Frankfurt im Pokalfinale:"Wenn das Flutlicht an ist, sind wir hellwach"

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Die Mannschaft im Freudentaumel: Eintracht Frankfurt zieht ins DFB-Pokalfinale ein. (Foto: Wolfgang Frank/Eibner/Imago)

In der Bundesliga Mittelmaß, im Pokal wieder in einem Finale: Eintracht Frankfurt fährt nach einem 3:2-Sieg beim VfB Stuttgart nach Berlin. Aus Trainer Oliver Glasner spricht dabei nicht die reine Euphorie - sondern nach schwierigen Wochen auch viel Trotz.

Von Felix Haselsteiner, Stuttgart

Natürlich hatte die Eintracht die passenden T-Shirt dabei, so wie Pokalprofis das eben machen. "Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehen" stand da, schwarz auf weiß, in großen Lettern mitsamt der Konterfeis der früheren Frankfurter Pokalsieger. Nur in Oliver Glasners Fall hatte das Pokalfinal-Shirt der Eintracht des Jahres 2023 eine Dreiviertelstunde nach Abpfiff schon einen grün-braunen Ton angenommen. "Das war der Diver", sagte Glasner über einen Brauch, den er vor etwas mehr als einem Jahr nach einem Sieg im Camp Nou des FC Barcelona begründet hatte und den er nun in Stuttgart erneut aufführte.

Auf dem Bauch war Glasner damals über den Rasen in Richtung der Fankurve gerutscht, in seiner Heimat Österreich nennt man so etwas einen Bauchfleck. Es war April 2022, der FC Barcelona geschlagen und die Eintracht sollte in den darauffolgenden Monaten zum glücklichsten Verein der Welt werden, mit dem Europapokal in Händen, einer faszinierenden Schar euphorischer Fans auf dem Römer und einem Trainer, der die Personifikation dieses historischen Erfolgs war.

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Man muss das im Rückblick so erzählen, denn der Diver, mit dem sich Glasner am späten Mittwochabend sein T-Shirt ruinierte, hatte einen anderen, ernsteren Hintergrund. "Unsere Fans haben Eintracht vom Main gesungen, dann bin ich noch einmal rübergegangen in die Kurve", sagte Glasner: "Das musste ich aufsaugen, gerade nach den letzten Wochen." Diese vergangenen Wochen, in denen die Eintracht nicht mehr der glücklichste Verein der Welt, sondern zurück im Mittelmaß der Bundesliga angekommen war, haben an der Mannschaft und an ihrem Trainer gezehrt - und sie haben dazu geführt, dass der Einzug in ein Finale im Jahr 2023 nicht von der Euphorie des Vorjahres, sondern von einigem Trotz gezeichnet ist.

Ein 3:2 gegen den VfB Stuttgart nämlich war nicht nur ein Sieg im Halbfinale, der zu einer Reise nach Berlin ermächtigt, es war vor allem mal wieder: ein Sieg. Nur ein Spiel hatte die Eintracht zuvor seit Mitte Februar gewonnen, das Pokal-Viertelfinale gegen Union Berlin. In der Bundesliga hatte es zuletzt eine derartige Abfolge von Unentschieden und Niederlagen gegeben, dass gar der Erfolgstrainer Glasner infrage gestellt wurde. Es wirkte beinahe so, als wäre der VfB Stuttgart - nominell und tabellarisch Abstiegskandidat - ein leichter Favorit in diesem Spiel, wegen drei Siegen und zwei Unentschieden in den vergangenen Wochen.

Innerhalb von acht Minuten nach Wiederanpfiff drehte die Eintracht das Spiel zum 3:1

Eine 1:0-Führung zur Halbzeit durch einen Treffer von Tiago Tomas und eine kontrollierte, bisweilen dominante Vorstellung schienen diesen Eindruck aus Sicht des VfB zu bestätigen, es hätte auch "höher ausfallen können", sagte Trainer Sebastian Hoeneß. Doch die Eintracht zeichnet nach zwei Jahren voller enger K.-o.-Spiele eine Eigenschaft aus, die Kapitän Sebastian Rode später mit folgenden Worten beschrieb: "Wenn das Flutlicht an ist, sind wir hellwach."

Als in der zweiten Halbzeit auch die letzte Abendröte hinter der Mercedes-Benz-Arena verstrichen war, bestätigte sich das eindrücklich. Innerhalb von acht Minuten nach Wiederanpfiff drehte die Eintracht das Spiel durch Tore von Evan N'Dicka und Daichi Kamada, später erhöhte Randal Kolo Muani per Elfmeter zum 3:1. Dass das Spiel am Ende 3:2 ausging und bis zum Abpfiff spannend blieb, lag an Enzo Millots Anschlusstreffer aus dem Nichts und daran, dass dieser VfB Stuttgart eine Mannschaft hat, die aktuell ums Verderben nicht akzeptieren will, dass sie Spiele auch mal verlieren kann.

Und es lag daran, dass Frankfurts Aurelio Buta kurz vor Schluss im Strafraum mit der Hand den Ball berührte - und dass Schiedsrichter Daniel Schlager, zuvor verantwortlich für ein Festival an gelben Karten und einen Platzverweises für Borna Sosa in der Schlussphase, sich nach Studium der Fernsehbilder gegen einen Strafstoß entschied. "Man hätte den auch geben können", sagte im Nachgang der Frankfurter Djibril Sow, Hoeneß war mit der Entscheidung "nicht besonders glücklich".

Glasner gab zu, dass er und die Mannschaft ganz zum Schluss "die Glücklichen" gewesen seien; er lobte auch den VAR-Einsatz, der "genau so ablaufen soll". Aber dabei wollte er es nicht belassen. "Wir waren in Lissabon (im entscheidenden Spiel der Champions-League-Gruppenphase, Anm. d. Red.) 0:1 hinten, wir waren heute 0:1 hinten und wieder haben wir es gedreht", sagte Glasner: Er lege nun "erneut" seine Hand ins Feuer für seine Mannschaft, eine "großartige Truppe", in die er mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre ein "Urvertrauen" entwickelt habe.

"Wir haben in den letzten beiden Jahren offenbar Grenzen verschoben."

Die Vorwürfe der mangelhaften Einsatzbereitschaft und der fehlenden Verbindung zwischen Mannschaft und Trainer, die in den vergangenen Wochen immer wieder laut wurden, sah er als entkräftet an. Auch weil die Torschützen N'Dicka und Kamada unter Beweis gestellt hätten, dass sie weiterhin für die Eintracht Einsatz zeigen, obwohl sie den Verein zum Saisonende verlassen werden. "Eines weiß ich immer: Dass sie in jedem einzelnen Spiel alles geben", sagte Glasner mit derselben Bitterkeit, mit der er seine Arbeit verteidigte: "Wir haben in den letzten beiden Jahren offenbar Grenzen verschoben, wenn es heißt, dass diese Saison und meine Leistung nicht gut genug für die Eintracht sind."

Die Bewertung der Bilanz von Mittelklasse in der Bundesliga, Achtelfinale in der Champions League und Einzug ins Pokalfinale obliegt allerdings nicht nur der Öffentlichkeit, sondern vor allem Sportvorstand Markus Krösche. Der merkte mitten in der Freude über den Sieg in Stuttgart an, man habe "in der Bundesliga sicher zu wenig gepunktet", lehnte die Personaldiskussion um den Trainer allerdings ab. Bei einer Niederlage gegen Stuttgart wäre sie wohl sehr ernsthaft geführt worden.

Wie die Saison bei der Eintracht im Nachgang bewertet werden wird, hängt vor allem vom Ausgang des Endspiels gegen Leipzig am 3. Juni ab, mit dem sich die Frankfurter zum zweiten Mal in Serie auf einem Umweg für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren könnten. Im Vorausblick auf Berlin sprach Krösche eine Botschaft aus, die evidenzbasiert wahr ist und die der Eintracht Hoffnung macht auf mehr gedruckte T-Shirts, mehr Bauchflecks, mehr Fans am Römer. Krösche sagte: "Finalspiele können wir."

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