Bundestrainer Löw:Zwei Systeme sind eins zu viel

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Muss sich entscheiden: Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: dpa)

Die Abwehr ist seit der WM 2018 Löws größte Baustelle. Um die Probleme zu beheben, müsste er so langsam mal Entscheidungen treffen.

Kommentar von Martin Schneider, Köln

Gerade rätseln viele Menschen, was im Kopf von Joachim Löw vorgeht, und vielleicht hilft es ja, noch einmal zurückzudenken an jenen warmen Juni-Tag in Moskau, an dem viele Mexikaner fröhlich und weitgehend ungestört über jene grüne Wiese rannten, die sich als deutsche Spielhälfte entpuppte. Die 0:1-Niederlage gegen Mexiko war die Ur-Katastrophe dieser aus der Perspektive der Nationalmannschaft völlig verkorksten WM 2018 - und seit diesem Spiel versucht der Bundestrainer zu verhindern, dass so etwas wieder passiert. Man muss es ihm lassen: Er lässt nichts unversucht. Zunächst probierte es Joachim Löw mit der Variante "Weiter so wie bisher" - das scheiterte schon beim 0:3 gegen die Niederlande im Oktober 2018. Dann vollzog er den radikalen Schritt, trennte sich vom prominenten, aber deutlich langsamer gewordenen Verteidiger-Duo Hummels/ Boateng, installierte in den wichtigen Spielen eine Dreierkette und opferte somit einen Mittelfeldspieler für mehr Stabilität. Gegen die Schweiz hat Löw nun wieder die Viererkette probiert und die Losung ausgegeben, seine Elf möge doch bitte bis zur EM im Sommer 2021 "zwei Systeme" beherrschen. Funktioniert hat bislang keine von Löws Lösungen. Die Defensive ist eine große Baustelle, die Gegentore beim Kölner 3:3 gegen die Schweiz waren exemplarisch. In der Offensive aber beneidet die Welt den Bundestrainer um seine Auswahl: Leroy Sané, Serge Gnabry, Timo Werner, Kai Havertz, sogar Julian Draxler in einigen Aktionen - da steckt fast so viel Feinmechanik drin wie in einem Max-Planck-Insitut. Doch die sensible Technik muss abgesichert werden. Und da ist es an der Zeit, dass Löw sich entscheidet.

Die Viererkette läge fürs DFB-Team nahe - aber mit welchem Personal?

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Dass man beim Turnier zwei Systeme beherrschen will, klingt als Ziel ziemlich ambitioniert, wenn man aktuell noch nicht mal ein System richtig kann. Ein Plan B ist toll, aber für Plan B ist Plan A die Voraussetzung. Die meisten Nationaltrainer sind froh, wenn ihre Auswahl in der Kürze der Zeit eine einzige Variante sauber beherrscht. Übrigens: Frankreich wurde 2018 nicht dank taktischer Variabilität Weltmeister.

Eher im Gegenteil. Die Viererkette läge fürs DFB-Team nahe, um im Mittelfeld Platz für das versammelte Talent zu schaffen. Dann müsste Löw sich im zweiten Schritt fürs Personal entscheiden. Niklas Süle bezeichnete er als "gesetzt", allerdings kämpft der verständlicherweise noch mit den Folgen seiner Kreuzbandverletzung und hat beim FC Bayern David Alaba neben sich, der ihm die Chefrolle abnimmt, aber nach wie vor Österreicher ist. Soll dann Matthias Ginter der Chef der Abwehr sein? Kann er bestimmt, müsste man ihm aber vielleicht mal sagen. Gegen die Schweiz war es von außen gesehen nicht so klar. Und dann hat man noch nicht über Außenverteidiger gesprochen, die man sich bekanntlich nicht schnitzen kann. Auch hier probiert Löw sich durch, doch eine klare Lösung drängt sich nicht auf - und Philipp Lahm ist heute Funktionär.

Es ist noch Zeit bis zur EM, und Löws Vorteil ist: Abläufe in der Abwehr sind einfacher zu trainieren als offensive Brillanz. Auftaktgegner wird aber ausgerechnet Weltmeister Frankreich sein. Der tritt mit Kylian Mbappé an, der, wenn man ihn lässt, noch viel schneller über die grüne Wiese laufen kann als alle anderen.

© SZ vom 15.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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