DFB-Kader für die WM 2010:Im Jahr der Stille

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Egal, wie schwach Mario Gomez und Miroslav Klose im Verein auftreten: Bundestrainer Joachim Löw ist sich sicher, dass die Angreifer bei der WM wieder aufblühen.

Philipp Selldorf

Neulich beim Spiel des FC Bayern gegen den VfL Bochum: Thomas Müller darf nach seinen drei Treffern vorzeitig Feierabend machen, seinen Platz erhält Miroslav Klose, der den jungen Kollegen mit einer aufrichtig herzlichen Umarmung verabschiedet. Wenig später folgt dann dieser Angriff, der den bizarren Irrlauf der Nationalspieler Miroslav K. und Mario G. in einer einzigen Szene zusammenfasst.

Miroslav Klose (links) und Mario Gomez. (Foto: Foto: dpa)

Aus der linken Strafraumecke kommt die Flanke zu Gomez, der an der Fünfmeterlinie frei steht. Für einen Torjäger sollte das nun eine einfache Übung sein, er streckt das Bein, trifft den Ball mit dem Außenrist, aber der Ball fliegt gegen die Latte, springt zurück ins Feld zum frei stehenden Klose, der jetzt die Wahl hat: ins Tor oder den letzten Bochumer Wachtposten, den Verteidiger Bönig, zu treffen. Im nächsten Moment wehrt Bönig den Schuss ab.

Über diese Szene wurde später nicht mehr gesprochen, sie war fürs große Ganze nicht wichtig, aber sie war typisch für die beiden. Gomez und Klose haben in diesem Halbjahr nicht viele gemeinsame Erfolge erlebt, unter anderem deswegen, weil Müller ständig auf dem Platz stand. Sie haben sich darüber nicht beschwert, weil sie wissen, dass ihnen das keine Vorteile verschaffen würde, und weil ihnen klar war, dass sie ohnehin keine Argumente vorweisen können.

Gomez hat sein letztes Tor geschossen, als das Land noch unter einer Schneedecke lag, Mitte Februar gegen Dortmund, und Klose hat zwar neulich in Mönchengladbach den wichtigen Ausgleich geschossen, doch seine Bilanz hat das nur geringfügig geschönt: Bei 21 Einsätzen, darunter elf von Anfang an, sind drei Tore verzeichnet. Insgesamt muss man sagen, dass die beiden deutschen Stürmerstars als bessere Einwechselspieler ein Jahr der Stille und Einkehr eingelegt haben, aber es ist nur scherzhaft gemeint, wenn jetzt Leute beim DFB erklären, dann seien sie während der WM wenigstens ausgeruht.

Dass sie zur WM fahren werden, daran hat der Bundestrainer keinen Zweifel gelassen, als er am Montag Kevin Kuranyi aus dem Aufgebot gestrichen hat. Vor Wochen war Joachim Löw zumindest unwohl angesichts der Form seiner Spitzenstürmer, aber er hat dann entschieden, sich bei der Auswahl der Angreifer nicht beeinflussen zu lassen von den Aktualitäten des Ligafußballs, den Polemiken der Kritiker ("es gibt Zweifel an der Berufsbezeichnung Angreifer") und den Ratgebern, die Partei für Kuranyi ergriffen.

Jetzt ist ihm die Kritik einerlei, er macht, was er für richtig hält. Er baut darauf, dass nun auch bei Gomez und Klose der Effekt eintritt, der bei Lukas Podolski schon seit bald vier Jahren Wunder bewirkt: dass sie ihre unselige Vereinsgeschichte ausblenden und in der Zweitexistenz als Nationalspieler aufblühen.

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Während Gomez und sogar Podolski als Entlastung anführen können, dass sie einen schwierigen Arbeitsplatzwechsel hinter sich haben, gibt Klose Rätsel auf. Bei vielen seiner Einsätze ist er wie ein Gespenst über den Platz geschwebt, man konnte ihn sehen, aber er war körperlich abwesend, die Verantwortlichen des FC Bayern haben das nicht verstanden. Beim Training gehörte Klose ja stets zu den Besten, und sein Auftreten in der Gemeinschaft blieb zwar gewohnt introvertiert, gab aber keinen Anlass, seine Einstellung in Zweifel zu ziehen.

"Man sitzt nicht gern auf der Bank, aber wir sind nun mal Bayern München. Da bleiben Stars draußen, das gehört dazu", hat er festgestellt, doch diese Einsicht wird ebenso von Vernunft wie von Fatalismus getragen, ebenso wie sein ironisches Aufbegehren gegen das mittelstürmerfeindliche Münchner Spielsystem, nachdem er das Kopfballtor gegen Gladbach erzielt hatte: "Was haben Sie nach dem Tor gedacht?", hat man ihn gefragt. "Endlich mal eine Flanke", hat er geantwortet.

So machte sich Klose zuletzt als Anti-Diva verdient, er feuerte die Mitspieler von der Bank an und freute sich mit ihnen über ihre Erfolge, Trainer Louis van Gaal konnte nur staunen über diesen selbstlosen Profi und Teamplayer. Doch was ihn innerlich wirklich bewegt, weiß man nicht im Verein, nicht mal sein Agent betreibt im Hintergrund Lobbyarbeit für Klose, und dem Münchner Teammanager Christian Nerlinger ist auch nicht mehr bekannt als eine Selbstverständlichkeit: "Klar ist, dass er nicht zufrieden sein kann", sagt er. Bei den Aufsehern der Nationalmannschaft versucht man dieses Verhalten positiv zu deuten: Vielleicht sei ja die Aussicht auf die WM der leuchtende Horizont, der ihm durch den grauen Alltag helfe.

Diese WM könnte der letzte Höhepunkt in Kloses Schaffenszeit als Fußballer sein, wie es in der nächsten Saison für ihn weitergeht, ist unbestimmt. Sein Vertrag läuft noch ein Jahr. "Miro muss zeigen, dass wir auf ihn setzen können", meinte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge kürzlich und erklärte, dass durch den Zugang Toni Kroos die Situation für die klassischen Angreifer Kader noch schwieriger werde.

Mutmaßungen, er könne Podolskis Vorbild folgen und zu seinen Ursprüngen zurückkehren, also zum 1. FC Kaiserlautern, haben keine Grundlage, Präsident Uli Hoeneß hat diese Spekulation als "absurd" bezeichnet, FCK-Chef Stephan Kuntz fand sie sogar "lächerlich". Dank Löw erhält er nun noch mal die Chance, seinen Marktwert wiederherzustellen.

© SZ vom 06.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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