DFB-Elf bei der WM:Gegner besiegen statt Herzen gewinnen

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Unaufgeregt, still, nüchtern: DFB-Kapitän Philipp Lahm (Foto: dpa)

Schön gespielt, aber nicht gewonnen - zumindest keinen Pokal: Bei den vergangenen Weltmeisterschaften berauschte die deutsche Nationalmannschaft das Publikum. Nun zählt nur noch eines: gewinnen. Ob ihnen Herzen zufliegen, ist den Deutschen in Brasilien herzlich egal.

Von Thomas Hummel, Porto Alegre

Bildete die deutsche Nationalmannschaft die Bundesregierung, Philipp Lahm wäre der Kanzler. Unaufgeregt, still und nüchtern lenkt er seine Mannschaft. Er drückt stets anderen Ländern und ihren Fußballern seinen aufrichtigen Respekt aus. Um sie dann mit leeren Händen nach Hause zu schicken. Die Parallelen zwischen Lahms und Angela Merkels Führungsstil sind auffällig.

Wenn es nötig ist, greifen Kapitän und Kanzlerin auch herzhaft zu ihrer Richtlinienkompetenz. Während Merkel dies indes alleine verfügen kann, muss Lahm noch einen Trainer überzeugen. Bei Joachim Löw aber liegt der Fall so, dass er entweder immer Lahms Meinung hat. Oder glaubt, immer Lahms Meinung zu haben.

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Joachim Löw ist klar, dass es im WM-Achtelfinale nicht nur um das Turnier geht, sondern um seine eigene Zukunft. Eine Niederlage gegen Algerien würde ihm das Land nicht verzeihen. Das Arbeitsteilungsmodell im Mittelfeld wird er auch nach Schweinsteigers starkem Spiel gegen die USA beibehalten.

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Deshalb ist besonders wichtig, den Worten Philipp Lahms zu lauschen. Denn dort verbirgt sich häufig die Richtlinie, der die deutsche Elf folgt. Nach dem turbulenten 2:2 gegen Ghana im zweiten Vorrundenspiel dieser Weltmeisterschaft sagte er: "Wir haben am Ende nicht wirklich viel überlegt. Richtig clever war unsere Spielweise da nicht." Er meinte das wilde Rauf und Runter in der zweiten Hälfte, das Spiel ohne Mittelfeld. Konter in die eine Richtung folgte auf Konter in die andere. Für das Publikum höchst unterhaltend. Für die deutsche Mannschaft ein Graus.

Das 1:0 gegen die USA hob kaum einen Zuschauer im Stadion oder zu Hause vom Stuhl. Teile des Fußballvolks beschwerte sich, dass so ein dröges Gekicke nicht angehen könne. Und am Ende zu nichts führe. Philipp Lahm denkt da anders.

"Wir haben über 90 Minuten wenig zugelassen, bis auf die Situation in der letzten Minute vielleicht", erklärte der 29-Jährige, "wir haben das Spiel kontrolliert und wieder einen guten Schritt nach vorne gemacht." Er lobte seine Mitspieler, die im Vergleich zum Ghana-Spiel in Recife wieder zusammen verteidigt hätten, "egal auf welcher Höhe, ob Pressing oder zurückgezogen". Es sei sehr wichtig, dass die Mannschaft in der Defensive zusammenstehe.

Deutschland hat 2006 und 2010 Fußball-Weltmeisterschaften erlebt, die das Publikum in einen zuvor nie gesehenen Rausch versetzte. Die Heim-WM wird auf ewig das verklärte Sommermärchen bleiben. In Südafrika siegte die DFB-Elf gegen Australien 4:0, gegen England 4:1 und gegen Argentinien 4:0. Die Nation begriff ihr Glück selbst nicht, die ganze Welt blickte erstaunt auf die einstige Rumpelnation und fragte sich, wieso Teutonen plötzlich so herzergreifend Fußball spielen können. Um im Halbfinale auszuscheiden. Auch das war ihnen früher selten passiert. Plötzlich waren die Deutschen die Sieger der Herzen, die sympathischen Verlierer.

Bei dieser WM in Brasilien macht sich nun das Gefühl breit, dass die Deutschen damit Schluss machen wollen. Ihnen ist bei dieser Weltmeisterschaft nur eines wichtig: gewinnen. Ob das auf Kosten des schönen Spiels geht, ist ihr herzlich egal. Ergebnis kommt vor Spektakel. Pokal vor Herz. Am Montag (22 Uhr MESZ) geht es im Achtelfinale gegen den Außenseiter Algerien. Die deutsche Elf ist sich sicher: "Wenn wir unsere Qualität abrufen, dann werden wir gewinnen." Dazu darf es allerdings nicht zu aufregend, zu ungeordnet werden. Eher so wie gegen die USA.

Mats Hummels, wichtiger Ministerpräsident aus Dortmund, hatte nach dem Spiel in Recife erklärt: "Wir haben sehr konzentriert gespielt, sehr seriös, haben wenig Fehler gemacht, in der Defensive wenig zugelassen. Das ist das wichtigste, um in solchen Spielen nicht in Verlegenheit zu kommen."

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Manuel Neuer, Umweltminister und heimlicher Vize-Kanzler in Lahms Kabinett, forderte in diesem Sinne Perfektion ein: "Dass Clint Dempsey in der 93. Minute noch eine gute Kopfballchance bekommt, das darf uns im K.-o.-Spiel nicht passieren." Toni Kroos, Minister für Verkehr und Passangelegenheiten, führte aus: "Alle haben sich an Rückwärtsbewegung beteiligt, haben die Gegenspieler gut angelaufen. Dann ist es für Gegner schwer, gegen uns Tore zu schießen." Es gehe in erster Linie darum, defensiv gut zu stehen. "Es ist immer das A und O, erstmal nicht in Rückstand geraten."

Die furiose Ghana-Partie nahmen die deutschen Spieler offenkundig als Lektion wahr. Sie fühlen sich stark und sicher, solange sie die Kontrolle über das Geschehen haben. Dann, so glauben sie, können sie alle schlagen. Wenn es allerdings wie in vielen Spielen bei dieser Weltmeisterschaft in einem irren Tempo hin- und hergeht, kann alles passieren. Während in Fortaleza vorne Miroslav Klose, Thomas Müller und Philipp Lahm große Möglichkeiten auf den Siegtreffer hatten, liefen hinten die Ghanaer auch zweimal in Überzahl auf die Abwehr zu. Die Deutschen hätten das Spiel auch verlieren können. Doch nun ist K.-o.-Runde - und verlieren soll keine Option mehr sein.

So darf sich der etwas verwöhnte deutsche Zuschauer eher auf Sicherheitsfußball denn auf einen kurzweiligen Vergnügungskick einstellen. Auch wenn Joachim Löws Stab weiterhin das schnelle Umschalten nach Ballbesitz fordert, um die gegnerische Abwehr im ungeordneten Moment zu erwischen. In Erinnerung ist, dass Spanien 2010 mit viermal 1:0 in den K.-o.-Runden Weltmeister wurde. Dazu noch einmal Kanzler Lahm: "Ich freu mich auch, wenn man ein Tor verhindern kann. Es tut weh, wenn man Gegentore kassiert."

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