Löw vor dem WM-Achtelfinale gegen Algerien:"Jetzt beginnen die Tage der Entscheidung"

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Joachim Löw bei einer Pressekonferenz in Santo André. (Foto: dpa)

Joachim Löw ist klar, dass es im WM-Achtelfinale nicht nur um das Turnier geht, sondern um seine eigene Zukunft. Eine Niederlage gegen Algerien würde ihm das Land nicht verzeihen. Das Arbeitsteilungsmodell im Mittelfeld wird er auch nach Schweinsteigers starkem Spiel gegen die USA beibehalten.

Von Philipp Selldorf, Santo André

Lars Bender könnte jetzt helfen, ganz sicher. Lars Bender wäre jetzt der Mann, der vor dem Spiel gegen Algerien die passenden Worte an die Mannschaft richten könnte, aber der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler hat sich damals im Trainingslager in Südtirol leider diese schwere Muskelverletzung zugezogen, weshalb nun kein einziger Leverkusener dem deutschen Aufgebot angehört, und weshalb nun keiner aus eigener Anschauung von den erschütternden Ereignissen berichten kann, die sich am 12. Februar in der Leverkusener Arena zutrugen.

Als den Leverkusenern für das Viertel- finale des DFB-Pokals der kriselnde Zweitligist 1. FC Kaiserslautern als Gegner zugelost wurde, zogen die Bayer-Anhänger singend und tanzend durch die Straßen der Stadt und beglückwünschten sich zum Erreichen des Halbfinales. Dann kam der Abend des 12. Februar: Die Bayer-Elf verlor überraschend mit 0:1 nach Verlängerung und bot dabei die erbärmlichste Leistung seit dem Gründungstag des Betriebssportvereins im Jahre 1904.

Nun werden sich Bayer Deutschland und der 1. FC Algerien am Montag im WM-Achtelfinale begegnen, und der Bundes- trainer hat das Gefühl, dass er ungefähr die gleichen Glückwunschbekundungen erhält wie damals sein Kollege Sami Hyypiä. Algerien? Unverlierbar. Dieser Konsens eint das Land vom Westen bis zum Osten. Und wahrscheinlich hat ihn am Samstag auch jener vorauseilende Jubel veranlasst, gegen die bisher herrschenden Gepflogenheiten vor die Presse zu treten und ein paar Grundsatzerklärungen zur Lage abzugeben. Joachim Löw kam, um zu warnen und zu mahnen, er verkündete Botschaften nach außen, die im Spiegel nach innen wirken sollten.

Spieler aus Watford, Granada oder Livorno

"Wer jetzt glaubt, dass wir keinen sehr guten Gegner hätten, der macht einen Riesenfehler", sagte er und zählte dann noch eine Menge anderer Dinge auf, die der Chefcoach eines Erstligisten vor dem Spiel gegen einen Zweitligisten zu sagen hat: Dass die Algerier "vehement" verteidigen könnten, dass sie "sehr, sehr laufstark" seien, dass "jeder für jeden extreme Wege" auf sich nehme, und dass diese Mannschaft aus Spitzenprofis bestehe, die unter anderem in der spanischen Primera Division spielten und an französischen Internaten ausgebildet worden seien. Nicht erwähnt hat er, dass die algerischen Spieler Klubs wie FC Watford, Valenciennes FC, FC Granada oder AS Livorno repräsentieren. Für die deutschen Champions-League-Profis klingen diese Klubnamen verdächtig nach: 1. FC Kaiserslautern.

Löw kann es nicht verhindern, dass seine Leute zur Fortbildung das Kicker-Sonderheft hervorholen. Er kann nur warnen und mahnen und die sachlichen Informationen weiterreichen, welche die Scouts Urs Siegenthaler und Christopher Clemens beim Spiel zwischen Algerien und Russland gesammelt haben. Und dann muss er darauf hoffen, dass seine im Allgemeinen zuverlässig seriöse Mannschaft keine Überheblichkeit im hinterhältigen Unterbewusstsein bildet. Der Verlauf des Turniers gibt ihm Anlass zu guter Hoffnung. Löw stellte fest, "dass viele große Nationen wie Spanien, Italien, England und Portugal nicht mehr dabei sind, viele Favoriten und Mitfavoriten sind schon nach Hause gefahren". Richtig. Und was folgt für ihn daraus? "Wir haben geliefert bislang."

Das Verb "liefern" tauchte bisher in Löws Wortschatz nicht auf, jedenfalls nicht in der neumodischen Variante, in der es als Synonym für die imperativ gebotene Pflichterfüllung benutzt wird. Weite Teile des Landes erwarten von Löw, dass er bei dieser WM mindestens den Titel liefert, Algerien darf dabei selbstredend kein Hindernis darstellen. Eine Niederlage in diesem Spiel würde ihm das Land nicht verzeihen, das weiß Löw, er hat ja gerade wieder am Beispiel des von ihm sehr geschätzten Kollegen Cesare Prandelli gesehen, wie schnell das Unheil über einen Trainer hereinbrechen kann, der eben noch zu den respektabelsten Persönlichkeiten des Kulturvolkes gezählt wurde.

Schweinsteiger und Khedira "könnten zusammenspielen"

Für die Trauer, die in Italien nach dem frühen Dahinscheiden der Azzurri herrscht, hat er Verständnis ("schwer zu ertragen, sehr schmerzlich"). Prandellis vorbeugenden Rücktritt sieht er dagegen mit nostalgischer Wehmut: "So ist es in der Fußball-Welt, das ist der Lauf der Zeit." Und ein bisschen klang es so, als spreche Löw sein Bedauern über die Verrohung der Sitten in eigener Sache aus.

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"Jetzt beginnen die Tage der Entscheidung", rief der Bundestrainer in den Saal, und es ist klar, dass es dabei nicht nur um das Turnier geht, sondern auch um seine eigene Zukunft als Bundestrainer. Angst um den eigenen Job ist Löw deswegen nicht anzumerken. Wie es für ihn typisch ist, setzt er sich mit den Dingen auseinander, die er rational erfassen kann, und nach dieser Maßgabe hat er sich davon überzeugt, dass seine Mannschaft die Aufgabe meistern wird. Der bisherige Auftritt im Turnier gibt ihm keinen Anlass zur Sorge. "Wir brauchen keine grundsätzlichen Veränderungen im System und in der Taktik. Was wir brauchen, sind Verbesserungen im Detail", sagt Löw und meint damit vor allem den Mangel an Raffinesse und Kreativität in der Offensive.

Die unplanmäßigen Vorgeschichten, die Sami Khedira (Kreuzbandriss) und Bastian Schweinsteiger (Patellasehnen-Verletzungen) beeinträchtigen, hat Löw längst in seine Personalplanungen integriert. Das Arbeitsteilungsmodell wird er auch nach Schweinsteigers starkem Spiel gegen die USA beibehalten. "Selbstverständlich könnten sie zusammenspielen", sagt Löw, "aber die bisherige Aufgabenteilung passt schon ganz gut."

© SZ vom 30.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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