DFB:Und wieder mal ein Neuanfang

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Bernd Neuendorf (links), will mit Rainer Koch (Mitte) weiterarbeiten. Peter Peters, rechts, hat das ausgeschlossen. (Foto: Imago/dpa)

Favorit Neuendorf oder Außenseiter Peters? Am Freitag wählt der DFB einen neuen Präsidenten. Doch maßgeblich für die Zukunft des deutschen Fußballs wird sein, wie der Bundestag mit dem umstrittenen Strippenzieher Koch umgeht.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Bonn/München

Dem deutschen Fußball steht der ungewöhnlichste Bundestag seiner Geschichte bevor, am Freitag im Kongresszentrum zu Bonn. Seit 122 Jahren gibt es den Deutschen Fußball-Bund, 43 ordentliche Delegiertenversammlungen hat er erlebt, und 13 regulär gewählte Präsidenten haben an seiner Spitze gestanden. Aber seit Monaten richten sich alle Beteiligten darauf ein, dass es erstmals zu einer Kampfabstimmung um das Präsidentenamt kommt: Favorit Bernd Neuendorf, 60, gegen den Herausforderer Peter Peters, 59.

Ein großer Neuanfang soll es werden - den hat sich der DFB aufs Plakat geschrieben. Dabei weiß man gar nicht, der wievielte Neuanfang das sein soll. Der Verband ist zu einem Hort der Intrigen geworden; nach zahllosen Affären, Razzien und schmutzigen Machtkämpfen über die vergangenen Jahre ist das Image des DFB so desaströs wie nie. Und Klarheit herrscht in dieser dystopischen Verbandswelt nur in einem Punkt: Der langjährige Vizepräsident Rainer Koch, 63, ist der Mann im Zentrum aller Beben, der einzige, der jeden Aufreger, jeden Skandal in einer längst entlarvenden Ich-weiß-von-nichts-Haltung überstanden hat, während links und rechts am Wegesrand Gegner, aber auch Mitstreiter darnieder sanken.

Die letzten beiden: Friedrich Curtius, der als Generalsekretär nach nur fünf Jahren im Zuge eines Misstrauensvotums abdanken musste und kürzlich Besuch von der Staatsanwaltschaft bekam. Und der ebenfalls erst seit 2016 amtierende Schatzmeister Stephan Osnabrügge, der massiv Gegenwind von internen Prüfern erhielt und versprochen hat, in Bonn nun seinen Hut zu nehmen.

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Einer will aber um jeden Preis weitermachen: Rainer Koch. Der Deutsche Fußball-Bund, mit 7,2 Millionen Mitgliedern der größte Verband der Welt, kann offenbar auch nach eineinhalb Jahrzehnten nicht auf diesen Mann verzichten.

Beide Präsidentenkandidaten stehen nicht für einen echten Neuanfang. Kurioserweise ist es aber nicht Peters, wiewohl selbst schon lange dabei, der für das nahtlose Fortdauern des herrschenden Machtsystems steht, sondern eher Neuendorf - obwohl der ein klassischer Quereinsteiger ist. Erst seit 2019 führt der frühere SPD-Politiker den Verband Mittelrhein an. Doch Neuendorf hat sich in den vergangenen Monaten so eng an den Parteifreund Koch gebunden, dass ihn auch immer neue Enthüllungen, die brisante Fragen zur Rolle des Dauer-Strippenziehers aufwerfen, nicht irritieren konnten. Es waren ja Kochs Amateure, die Neuendorf im Herbst aufs Kandidatenschild gehoben haben. Und die verfügen beim Bundestag über die Mehrheit.

Aber die Wahl zwischen Neuendorf und Peters ist gar nicht die entscheidende. Ob der DFB danach einen Neuanfang proklamieren kann, hängt allein vom Umgang des Bundestages mit der Personalie Koch ab. Der Multifunktionär aus Bayern, seit 2013 oberster Vizepräsident und derzeit - wie üblich skandalbedingt - zum dritten Mal Interimschef, verkörpert ja das System, das erneuert werden müsste. Und während im Amateurbündnis bis in den Tag vor der Abstimmung daran gebastelt wurde, mit stillen Absprachen, Versprechen und auch Drohungen den Status quo zementieren zu können, ist womöglich ein Schwachpunkt übersehen worden.

Koch droht beim Bundestag eine geheime Kampfabstimmung. Der von ihm geführte süddeutsche Verband hat ihn für einen der beiden Vize-Posten vorgeschlagen, die dem Verband laut Satzung zustehen. Vorgeschlagen ist aber auch die Sportwissenschaftlerin Silke Sinning, die ins Lager von Peters gehört - lustigerweise (auch wegen des wachsenden öffentlichen Drucks) hat Kochs Bayern-Verband das getan. Was den Verdacht nährt, Koch baue darauf, dass Sinning am Ende gar nicht gegen ihn antritt. Falls nämlich zuvor Peters krachend gegen Neuendorf die Präsidentenkür verliert.

Die Schlüsselfrage könnte werden: Tritt die Sportwissenschaftlerin Silke Sinning als DFB-Vize an?

Tag und Nacht glühten die Drähte, bis zuletzt debattieren Delegierte mögliche Last-Minute-Volten und originelle Anträge. Was aber, wenn Sinning auch trotz einer zu erwartenden Niederlage von Peters in der Präsidentenwahl antritt gegen Koch - und damit dem Bundestag die Chance gibt, öffentlich Farbe zu bekennen zur Frage: Neuanfang ohne Koch? Oder lieber weiter so? Eine geheime Kampfabstimmung würde die 262 DFB-Delegierten zwingen, den sieben Millionen organisierten Mitgliedern zu zeigen, wo sie wirklich stehen.

Bei einer Koch-Wahl müsste aber auch die Liga Flagge zeigen. Hier sind längst nicht alle begeistert von Peters, dem langjährigen Schalke-Vorstand. Nur: Auf die nachgesetzte Entscheidung "Koch oder Sinning" kann das ja keinen Einfluss haben. In jüngster Zeit haben sich die Profis um den neuen Liga-Chef Hans-Joachim Watzke auffallend zahm gegenüber Koch verhalten. Im Glauben, dass der sowieso durchkommt und man sich besser gleich arrangieren sollte? Bei einer Wahl müssten sich auch die Klub-Vertreter bekennen; auch Watzke selbst, der ja von Amts wegen künftig unter die haftenden DFB-Präsidiumsmitglieder fällt. All das bringt die Sportwissenschaftlerin Sinning in die Schlüsselrolle: Tritt sie an, kann hernach niemand mehr auf typische Funktionärsart jammern, man hätte ja leider keine Alternative zu Koch gehabt.

Ohnehin müssten die Delegierten am Wahltag zahlreiche heikle Fragen ansprechen, die die Führung des DFB in den vergangenen Jahren betreffen. Etwa die Vorgänge um die 360 000 Euro teure Zusammenarbeit mit dem Kommunikationsberater Kurt Diekmann, wegen der es in der Vorwoche sogar Razzien in der DFB-Zentrale und bei mehreren DFB-Geschäftspartnern gab. Die Strafbehörden ermitteln wegen des Verdachts, dass es sich bei der Abmachung um einen "Scheinvertrag" handele. Derzeit richtet sich das neue Ermittlungsverfahren gegen Ex-General Curtius und den teuren Berater Diekmann; der fragwürdige Kontrakt aber war maßgeblich auch von Koch betrieben worden.

Dazu kommen die Ungereimtheiten um ein Gutachten der Kanzlei Freshfields zur WM-2006-Affäre, die die SZ am Mittwoch enthüllte. Die legte 2016 neben ihrem offiziellen Report ein geheimes Dokument vor, in dem es um mögliche Schadenersatzsprüche ging. Der Befund war heikel, weil er beim früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach Pflichtverletzungen in nicht-verjährter Zeit feststellte. Doch es kam zu keiner Klage - und merkwürdigerweise wollte die DFB-Spitze das teure Papier gleich wieder komplett vergessen haben. Bei einer internen Befragung im Vorjahr gab Koch (wie auch der damalige Präsident Reinhard Grindel) an, er könne sich nicht erinnern, so etwas je gesehen zu haben. Konfrontiert mit der Aussage, erklärte Koch nun plötzlich, in der Sache sei alles korrekt gelaufen. Es habe sogar eine weitere, externe Kanzlei das Rechtsgutachten von Freshfields geprüft und von Schadensersatzklagen abgeraten. Dem sei das Präsidium damals gefolgt.

Aber: In keiner Akte, auch nicht im damaligen Präsidiumsprotokoll taucht diese Kanzlei auf. Und Grindel teilt der SZ mit, er könne sich an keine Kanzlei erinnern, die das Gutachten nochmal geprüft habe. Frage also an den DFB, wiederholt und über zwei Tage: Welche Kanzlei soll damals begutachtet haben? Der DFB liefert die üblichen Wortgirlanden, die ins Nichts führen; eine Antwort auf diesen ominösen Dienstleister steht weiter aus.

Am Donnerstag kam der nächste Schlag. Der Spiegel zitierte aus Berichten interner Steuerreferenten, die Befunde sind vernichtend. So habe es der Verband versäumt, von Sponsoren Millionenbeträge zurückzufordern, die ihm für Länderspiele in der Corona-Zeit zugestanden hätten. Zudem verstoße der DFB "mit der aktuellen Verfahrensweise auch gegen Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung"; im Rechnungswesen des DFB herrsche ein "Mangel an rudimentärsten Kenntnissen". Der DFB verwehrt sich gegen diese Deutung. Es sei auch steuerlich kein Schaden entstanden.

Alles wie immer also. Man darf gespannt sein, was die Delegierten unter einem Neuanfang verstehen.

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