DFB-Elf gegen Belgien:Versteinert an eigene Grenzen gelangt

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Mit ihm kam mehr Struktur ins Spiel: Emre Can konnte das 2:3 gegen Belgien aber auch nicht mehr verhindern. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die Nationalmannschaft versetzt ihrem Bundestrainer einen richtigen Schrecken - und verliert nach frühem Rückstand 2:3 gegen furiose Belgier. Treffer von Füllkrug und Gnabry kommen zu spät, immerhin tut sich Can hervor.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Im Oberrang der Südtribüne ist am Dienstagabend das "Sommermärchen 2024" ausgerufen worden. Die Fans der Nationalmannschaft haben das auf ein Banner gedruckt und im Kölner Stadion ausgerollt. Ehe den deutschen Fußballern drunten klar geworden ist, dass dieser Appell auch den Wunsch nach dem Gewinn des Europameistertitels im nächsten Jahr beinhalten könnte, lagen sie im Testspiel gegen Belgien nach neun Minuten schon 0:2 hinten. Sie spielten anfangs wie versteinert.

Nach einer halben Stunde wechselte der erschrockene Bundestrainer Hansi Flick zwei Mal aus. Vor allem die Hereinnahme von Emre Can für den leicht angeschlagenen Leon Goretzka wirkte Wunder. Flick musste eine Mannschaft stabilisieren, die nach ihrem 2:0-Sieg gegen Peru drei Tage zuvor offenbar dachte, es ließe sich auch gegen den Weltranglisten-Vierten Belgien im Schongang spielen.

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Es bedurfte in der 44. Minute eines von Niclas Füllkrug verwandelten Handelfmeters, um die Mannschaft zum 1:2-Pausenstand und zurück ins Spiel zu bringen. In der zweiten Halbzeit schlug sie sich achtbar und dominierte die Belgier, dennoch musste sie in der 78. Minute einen weiteren Treffer durch Kevin De Bruyne hinnehmen. Serge Gnabry vermochte drei Minuten vor Schluss nur noch zu verkürzen zum 2:3-Endstand.

Die Erkenntnisse aus beiden Länderspielen sind überschaubar. Weder das 2:0 gegen Peru noch das 2:3 gegen Belgien, beide mit einem improvisierten Kader und zusammen sechs Debütanten, waren dazu angetan, 14 Monate vor der Heim-EM in Euphorie auszubrechen. Immerhin: Beide Spiele waren ausverkauft, die Stimmung war ansehnlich, und für ein bisschen Mut und neues Selbstvertrauen war das hilfreich. Hinzu kam eine positive Einschätzung durch den neuen belgischen Nationaltrainer Domenico Tedesco, der vor dem Spiel gesagt hatte: "Ich bin überzeugt, dass die deutsche Mannschaft bei ihrer Heim-EM ein gewichtiges Wort um den Titel mitreden wird." Das revidierte er nach dem Spiel immerhin nicht.

Immerhin: Tedesco glaubt an die DFB-Elf

Eine solche Prognose aus berufenem Munde nimmt Fußball-Deutschland gerne wahr, das Spiel gegen die Belgier und ihren deutschen Trainer (ehemals Schalke 04 und RB Leipzig) ergab allerdings wenige Indizien dafür, dass Deutschland nächstes Jahr in der Heimat dem Pokal nahekommen kann.

Gegen die bei der Weltmeisterschaft ebenfalls bereits in der Gruppenphase gescheiterten Belgier kam das heimische Team vor allem in der ersten halben Stunde an seine Grenzen. Dem 0:1 durch Yannick Carrasco (6.) und dem 0:2 durch Romelu Lukaku (9.) hätten Dodi Lukebakio allein vorm Torwart Marc-André ter Stegen (19.) und Lukaku per Kopfball an die Latte (21.) beinahe noch das dritte und das vierte Tor folgen lassen, ehe Flick wechselte und eine deutliche Verbesserung sah sowie kurz vor der Pause den tröstlichen Anschlusstreffer durch Füllkrug.

"Ihr Manko bei der WM war vor allem die Chancenverwertung", hatte Tedesco vor dem Spiel über die Deutschen gesagt, und als hätte Flick das nicht bereits selbst gewusst, bot er auch am Dienstag wie gegen Peru eine Doppelspitze auf. Wieder wurden Füllkrug und Timo Werner für die Verbesserung der Chancenverwertung in die Verantwortung genommen. Doch auch diesmal sah es nicht sehr überzeugend aus. In der zweiten Halbzeit war das Team dem Ausgleich nahe, doch Werners Tor in der 59. Minute wurde wegen Abseits zurückgenommen. Dann traf De Bruyne, ehe Gnabrys Treffer immerhin noch eine Schlussoffensive auslöste.

Vier Tage vor dem Spitzenspiel in der Bundesliga zwischen Bayern München und Borussia Dortmund schürte das Länderspiel keine diesbezügliche Brisanz. Relevante Spieler beider Klubs waren diesmal gar nicht fürs Nationalteam nominiert. Die Bayern Thomas Müller und Leroy Sané waren ebenso daheim geblieben wie die Dortmunder Niklas Süle und Marco Reus, außerdem fehlten vom BVB Julian Brandt und Karim Adeyemi verletzt.

Kurze Hoffnung zum Schluss: Serge Gnabry erzielt das 2:3, danach rannten die Deutschen an, doch am Ende stand die Niederlage fest. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Die Einsatzzeiten der je drei Bayern und Dortmunder versuchte der Bundestrainer Flick halbwegs paritätisch zu gestalten, damit man ihm keine Einflussnahme auf den Liga-Kracher vorwerfen muss. So kamen in den beiden Länderspielen Joshua Kimmich (Bayern) und Marius Wolf (Dortmund) mit 180 und 170 auf die meisten Minuten, und auch die Spielzeiten der Münchner Serge Gnabry (135 Minuten) und Leon Goretzka (77 Minuten) sowie der Dortmunder Emre Can (103 Minuten) und Nico Schlotterbeck (86 Minuten, nach dem Peru-Spiel mit muskulären Problemen abgereist) hielten sich die Waage.

Ein Jubiläum feierte gegen Belgien der Freiburger Innenverteidiger Matthias Ginter mit seinem 50. Länderspiel. Die Nationalmannschaftskarriere des 29-Jährigen ist ein bisschen belastet, denn obwohl er bei drei Weltmeisterschaften (2014, 2018, 2022) zum deutschen Kader gehörte, hat er bei diesen 13 WM-Spielen nur eine einzige Minute (!) mitspielen dürfen. In Katar beim 4:2 gegen Costa Rica wurde er in der 93. Minute eingewechselt.

Nicht nur für ihn hat die Heim-EM deshalb enorme Bedeutung. Seine Karriere im Nationalteam benötigt Substanz. 14 Monate haben er und die Nationalmannschaft, um sich in Form zu bringen.

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