Deutsche Nationalelf:Manuel Neuer ist der Richtige fürs Staatsamt

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Dass Joachim Löw auf den Bayern-Keeper als Kapitän setzt, ist eine unspektakuläre Entscheidung. Sie ist logisch, vernünftig und sachlich richtig - trotz aller Hoffnungen auf Boateng als Symbolfigur.

Kommentar von Philipp Selldorf

Die Frage, welcher Spieler die Nachfolge des zurückgetretenen Kapitäns Bastian Schweinsteiger antreten sollte, ist viel diskutiert worden. Das Thema hatte immer schon eine starke öffentliche Wirkung, die weit über die tatsächliche Bedeutung der Sache hinausging. Der Kapitän der Nationalmannschaft versieht nach dem Verständnis nicht weniger Fußballfans eine Art Staatsamt. Er befehligt zwar weder Flotten noch Flugzeuge, aber in der Fantasie mancher Betrachter ist er der führende Repräsentant der fußballspielenden Nation und somit eine der vornehmsten Persönlichkeiten des Landes, knapp hinter dem Bundespräsidenten.

Fußball
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Der Bundestrainer hat entschieden: Er bestimmt den Bayern-Keeper zum Nachfolger von Bastian Schweinsteiger. Jérôme Boateng muss sich noch gedulden.

Der Bundestrainer Joachim Löw, zu dessen Befugnissen die Bestimmung des Spielführers gehört, vertritt hingegen die Ansicht, dass in seinem Wirkungskreis nicht viele Themen weniger wichtig sind. Dies hat er zuletzt dem interessierten Publikum so schonend wie möglich beizubringen versucht. "Das Thema ist für mich persönlich nicht so dominant", erklärte er dieser Tage, als er wieder gefragt wurde, wer denn nun Schweinsteiger beerben werde.

Irgendeinem Spieler, so setzte er mit subtilem Spott fort, "werde ich die Binde schon geben, klar". Dass er jetzt Manuel Neuer zum neuen Hauptmann des Nationalteams erhoben hat, dürfte niemanden überraschen. Es ist eine unspektakuläre Entscheidung, sie ist logisch, vernünftig und sachlich richtig - manche werden sie trotzdem für umstritten und falsch halten. Und sogar das: für eine verpasste Chance, den inneren Frieden im Land zu fördern.

Auch Löw hat gewusst, dass sein persönlicher Standpunkt in der Kapitänsfrage im Kontrast zur öffentlichen Wahrnehmung steht. Diesmal ging es außer um Stolz, Ehre und Eitelkeit der Kandidaten auch um Politik und Moral. Löw war unter Druck geraten, aber den Druck hatten nicht DFB-Funktionäre oder Alt-Stars ausgeübt, sondern der Nationalspieler Jérôme Boateng, den Löw mit Recht schätzt und ehrt.

Indem Boateng aber immer wieder erzählte, dass er stolz darauf wäre, der erste dunkelhäutige Kapitän der deutschen Fußballgeschichte zu sein, gab er dem Thema eine gesellschaftspolitische Dimension. Im Zuge dieser unglückseligen Kampagne entstand der Eindruck, dass Löw ein wichtiges Signal versäumen würde, wenn er Boateng nicht symbolhaft zum Spielführer ernennen würde.

Diese Auslegung ist jedoch ein grobes Missverständnis. Die Nationalelf ist ein Fußballteam und keine politische Anstalt zur Bekämpfung gesellschaftlicher Missstände, und das Kapitänsamt ist ein Merkmal innerbetrieblicher Hierarchie, keine ideologische Institution - trotz der starken öffentlichen Wirkung. Hätte er Boateng befördert, dann hätte Löw Spieler wie Sami Khedira, Mats Hummels, Toni Kroos oder Thomas Müller düpiert, die den gleichen Ehrgeiz haben. Vor allem darauf musste der Trainer achten. Es ging für Löw darum, das Gleichgewicht in seiner Mannschaft zu wahren, in der es viele starke Figuren mit einem manchmal verdächtig großen Selbstbewusstsein gibt. Manuel Neuer, als Persönlichkeit und als Spieler über jeden Zweifel erhaben, ist in dieser Situation genau der richtige Mann.

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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